In Deutschland fast unbemerkt hat sich James Gray in den letzten Jahren zu einem der interessantesten Regisseure der USA entwickelt. Von „Little Odessa“ über „The Yards“ bis „We Own the Night“ erzählten seine Filme bisher immer (Kriminal-)Genregeschichten, auf deren klassizistischer Folie er mit präzisem Gespür psychische Intensitäten in Konfliktsituationen darstellte. „Two Lovers“ erzählt nun eine dramatische Liebesgeschichte, die lose auf Dostojewskis früher Erzählung „Weiße Nächte“ beruht. Schon mehrfach ist der Text, der auf engstem Raum Extremformen von Liebessehnsucht und Selbstaufgabe ausbuchstabiert, verfilmt worden. Luchino Viscontis „Weiße Nächte“ betonte 1957 das träumerisch irreal Tänzelnde zweier von Marcello Mastroianni und Maria Schell gespielter Liebessüchtiger; Bressons Adaption („Vier Nächte eines Träumers“, 1971) die entleerte Selbstaufgabe der Hauptfiguren, die durch ein nächtliches Paris wandeln, als hingen sie an bleiernen Marionettenfäden.
Grays atmosphärisch dichter Film variiert die psychotische Liebesgeschichte und versetzt sie in das heutige New York, in das Milieu russischer und jüdischer Einwanderer von Brighton Beach. Dort findet sich Leonard (Joaquin Phoenix), der, nach einer missglückten Beziehung psychisch labil geworden, zu seinen Eltern zurückkehrte, bald in einem klassischen Liebesdreieck zwischen der sanft verständnisvollen Sandra (Vinessa Shaw) und der sirenenhaft verwirrten Michelle (Gwyneth Paltrow). Die Inszenierung Grays umkreist dabei stets Joaquin Phoenix, der in einer atemberaubend an Grenzen gehenden Darstellung innere Verirrungen, Projektionen, Übermut und Niedergeschlagenheit zum Ausdruck bringt. In diesem herausragenden Hauptdarsteller hat der vorwiegend in warmen, dunklen Tönen und Raum betonenden Distanzen fotografierte Film ein labiles Zentrum. Um ihn herum agieren bis in die kleinste Nebenfigur hervorragend besetzte Akteure (so Isabella Rossellini als beängstigend umsorgende Mutter). Deren Interaktionen verschaltet „Two Lovers“ einerseits erzählerisch „altmodisch“, anderseits inszenatorisch entschieden modern.
Text: Michael Baute
tip-Bewertung: Herausragend
Orte und Zeiten: „Two Lovers“ im Kino in Berlin
Two Lovers, USA 2008; Regie: James Gray; Darsteller: Joaquin Phoenix (Leonard Kraditor), Gwyneth Paltrow (Michelle Rausch), Vinessa Shaw (Sandra Cohen); Farbe, 110 Minuten
Kinostart: 11. Februar