Willkommen in Calais, der grauen Hafenstadt im Norden Frankreichs. Sie ist seit einigen Jahren zu tristem Ruhm als Umschlagplatz illegaler Einwanderer gelangt, die hier zu Hunderten in den umliegenden Dünen und im Hafen herumirren, in der vagen Hoffnung, sich von hier aus ins gelobte Land Großbritannien durchschlagen zu können. In Calais hat Philippe Lioret seinen packenden Film „Welcome“ angesiedelt, die Geschichte des Schwimmlehrers Simon, dessen banale Existenz durch die Begegnung mit dem jungen kurdischen Flüchtling Bilal eine neue Wendung erhält. Bilal, der in seinem Versteck in einem Lastwagen vergeblich versucht hat, mit einer Plastiktüte über dem Gesicht den britischen Spürhunden zu entkommen, kann nichts mehr schrecken. Seine letzte Möglichkeit, zu seiner geliebten Freundin nach England zu gelangen, ist, den Ärmelkanal trotz der Strömungen und Patrouillenboote zu durchschwimmen, selbst mitten im Winter, und Simon soll ihm helfen, sich auf dieses wahnwitzige Unternehmen vorzubereiten. Ohne ins Pathos oder eine plakative soziale Militanz abzugleiten, lässt Lioret uns langsam eine unerträgliche Realität entdecken, so wie auch Simon sie entdeckt, der mit seinem Engagement zunächst einfach nur seine Frau (die ihn verlassen hat) beeindrucken möchte, dann aber bewusst Stellung bezieht und aufgrund seiner Solidarität schließlich in die Mühlen der Justiz gerät.
Der Film, der in Frankreich eine erregte nationale Debatte auslöste, nachdem Lioret die Situation der illegalen Einwanderer mit der der Juden in Frankreich im Jahre 1943 verglichen hatte, wurde unter anderem mit dem europäischen Lux-Preis ausgezeichnet – eine Gelegenheit, die Lioret nutzte, um während der Preisverleihung die Streichung des umstrittenen Gesetzes zu fordern, das die Unterstützung illegaler Flüchtlinge unter Strafe stellt.
Text: Barbara Lorey
tip-Bewertung: Sehenswert
Orte und Zeiten: „Welcome“ im Kino in Berlin
Welcome, Frankreich 2009; Regie: Philippe Lioret; Darsteller: Vincent Lindon (Simon), Firat Ayverdi (Bilal), Audrey Dana (Marion); 115 Minuten
Kinostart: 4. Februar