Filmfestival

Rückblick auf das 15. Filmfestival von Zürich

Im Leben von Anne (Trine Dyrholm) und Peter (Magnus Krepper) stimmt einfach alles. Er setzt sich als Anwalt für Opfer sexuellen Missbrauchs ein, auch sie ist erfolgreich in ihrem Job. Auf einem abgelegenen Waldgrundstück haben sie ihr lichtdurchflutetes Traumhaus gebaut, wo sie gemeinsam mit ihren Zwillingstöchtern wohnen. Die Harmonie wird nur kurz durch die Ankunft von Peters Sohn Gustav (Gustav Lindt) gestört. Der beinahe volljährige Teenager gewöhnt sich schnell ein. Dazu trägt auch bei, dass Anne ihn in eine amouröse Liaison verwickelt. Als Peter hinter das gut gehütete Geheimnis kommt, muss sich Anne entscheiden, ob sie ihre Ehe rettet.

After the Wedding, Foto: Telepool 2019

Bei den Kritikern galt „Dronningen“, der Film der dänischen Regisseurin May el-Thoukhy als Favorit des Wettbewerbs des 15. Film Festivals in Zürich. Doch die Jury unter Oliver Stone, zu der auch der deutsche Schauspieler Sebastian Koch gehörte, wollte viele Filme bedenken. Und so gab es für die Oscar-Einreichung Dänemarks den Preis für Trine Dyrholm für ihr atemberaubendes Spiel. Seine Premiere feierte der brillante Film bereits beim Filmfest in Sundance – was die Frage aufwirft, wie die Berlinale dieses Meisterwerk übersehen konnte.

Berlin hat die Dogma-Bewegung vor mehr als 20 Jahren mit entdeckt, die Filme aus dem kleinen skandinavischen Land galten stets als Höhepunkte des Wettbewerbs und begeisterten die Zuschauer. In Zürich waren die dänischen Filmemacher indirekt durch zwei US-amerikanische Remakes mit Starbesetzung präsent. Der bei uns bereits angelaufene „After the Wedding“ von Bart Freundlich basiert auf dem gleichnamigen Film von Susanne Bier aus dem Jahr 2006. Und Roger Michell (Notting Hill) verfilmte für „Blackbird“ Bille Augusts „Silent Heart“ aus dem Jahre 2014 erneut.

Die beiden Regisseure wählen dabei unterschiedliche Ansätze. Während Michell sehr nah am Original bleibt, nahm Freundlich eine einschneidende Veränderung vor. Freundlich vertauschte bei allen Rollen die Geschlechter und spitzte den Grundkonflikt zu. „Im Original wusste der Mann nicht, dass er Vater ist. Während sich Isabel bewusst für die Adoption ihrer neugeborenen Tochter entschieden hatte,“ ist sich Freundlich der Brisanz bewusst. „Beim Schreiben hatte ich Angst, dass mir nicht gelingt, Sympathie für sie und ihre Entscheidung zu wecken, die sie sich als 18-Jährige nicht leicht gemacht hatte.“ 20 Jahre später leitet Isabel ein Waisenhaus in Indien, das von einem großzügigen Scheck der New Yorker Medienunternehmerin Theresa (Julianne Moore) profitieren soll. Bei ihrem Besuch am Big Apple platzt Isabel in die Hochzeitsfeierlichkeiten von Theresas Tochter Grace (Abby Quinn). Als sie in deren Vater ihren einstigen Freund Oscar (Billy Crudup) wiedererkennt, ahnt sie, dass Grace ihr Kind sein könnte. „Aus dieser Konstellation erwächst eine explosive Spannung zwischen Oscar, der alle angelogen hat, Isabel, die unter ihrer Entscheidung und seiner Lüge leidet, sowie Theresa, die alle manipulieren will.“

Freundlich, der auch das Drehbuch schrieb, war von der Wirkung des Rollentausches überrascht. „Selbst für mich, der sich einbildete, für alle Rollen die nötige Sensibilität aufzubringen, war die Arbeit an diesem Buch ein Weckruf. Die Frauenfiguren wurden sofort sehr viel dreidimensionaler als die Rollen, die Frauen sonst angeboten werden. Sie leben wirklich, sie definieren sich nicht nur über die Familie oder ihren Job. Und sie bestimmen den Lauf der Story,“ gesteht er beim Gespräch in Zürich. „Heute weiß ich, wie bevorzugt Männer in dieser Industrie wirklich sind.  Wir geben Lippenbekenntnisse für die Gleichberechtigung ab, aber kaum jemand sind die subtilen Mechanismen in unserem Denken klar.“

Auf ein starkes Frauenensemble konnte auch Michell setzen. Er gewann Susan Sarandon als an einer unheilbaren Muskelerkrankung leidende Großmutter Lily, die nach einem erfüllten Leben selbst aus dem Leben scheiden will, um nicht jahrelang ans Bett gefesselt vegetieren zu müssen. Ihr Mann (Sam Neill) wird ihr zunächst zur Seite stehen, muss dann aber das Haus verlassen, damit er sich nicht der Sterbehilfe schuldig macht. Zu Thanksgiving haben sie ihre Töchter Jennifer (Kate Winslet) und Anna (Mia Wisakowska), deren Familien und Lilys beste Freundin Liz (Lindsay Duncan) eingeladen, um Abschied zu nehmen. Doch beide sind emotional noch nicht so weit, ihre Mutter gehen zu lassen. Michell vertraut ganz der Vorlage. Das Buch sei ihm so angeboten worden, verrät er in Zürich, er wusste nichts vom Film von Bille August. Bei der Adaption wurden nur winzige Veränderungen an der Handlung vorgenommen, so darf die Alt-Achtundsechzigerin Lily die Familie zum Kiffen anstiften und nicht eine ihrer Töchter. Doch auch wer das Original kennt, das mit einem kleinen Start auch in deutschen Kinos war, wird sich bei „Blackbird“ nicht langweilen. Was vor allem der herausragenden Susan Sarandon geschuldet ist, die sehr genau die Gründe für den Wunsch zu Sterben auslotet.

Das Drama kommt nach der Uraufführung und Toronto im kommenden Jahr auch in die deutschen Kinos. Im Gegensatz zu „Queen of Hearts“. Die Zurückhaltung deutscher Verleiher ist unverständlich, nicht zuletzt gehört Trine Dyrholm zu den bekanntesten europäischen Schauspielerinnen. Hoffentlich wird die Shortlist für den Oscar als bester nichtenglischsprachiger Film, auf die es der Film trotz harter Konkurrenz auf jeden Fall schaffen sollte, zur kleinen Nachhilfe.

26.9.-6.10., Zürich, www.zff.com

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