Ultraschall-Festival

Komponist Jörg Widmann im Gespräch

„Man reißt sich halt am Riemen“ Komponist Jörg Widmann über das Violinkonzert für seine Schwester Carolin beim Ultraschall-Festival – und über musikalische Wegwerfpolitik

Foto: Marco Borggreve, 2015

Jörg Widmann geboren am 19. Juni 1973, ist als Klarinettist ähnlich erfolgreich wie als Komponist. Er studierte in seiner Heimatstadt München sowie an der Juilliard School in New York und in Karlsruhe bei Wolfgang Rihm. Seine Oper „Babylon“ wurde 2019 an der Berliner Staatsoper aufgeführt.

tip Herr Widmann, Ihr neues Violinkonzert eröffnet das Festival Ultraschall (15. bis 19.Januar, siehe Seite 58). Ein wichtiges Festival?

Jörg Widmann Dieses Festival hat große Bedeutung für mich. Ich habe dort viele schöne Sachen machen können. Andere Festivals, zum Beispiel „Wien Modern“, mögen größer sein. Oder anders spezialisiert wie die Münchner „Biennale“. Als Versuch, Musik-Sprachen aller Formen vorzustellen, ist „Ultraschall“ höchst originell.

tip Obwohl Ihr Werk erst 2018 entstand, ist dies schon die achte Aufführung. Gut im Geschäft!

Jörg Widmann Vier weitere Aufführungen sind sogar schon geplant. Oft denkt man sich: „Du kannst von Glück sagen, wenn du dies Werk zwei Mal hörst…“ Und dann wird’s vielleicht von Tokio bis New York wiederaufgeführt. Im Fall des 2. Violinkonzertes liegt das auch an persönlichen Gründen. Es ist für meine Schwester komponiert ist und wird jedesmal von ihr aufgeführt.

tip Ein Fall von Familienhilfe?

Jörg Widmann Das ist drastisch ausgedrückt, stimmt aber. Ich finde es erstaunlich, dass ich so lange gewartet habe, bis ich für Carolin ein Werk mit großem Orchester geschrieben habe. Sie hat mich mehr beeinflusst als alle anderen. Das ging so weit, dass ich in unserer Jugend über Nacht Zettelchen vor ihrer Tür deponierte, wo ich ihr Fachfragen stellte. Ich war sehr nachtaktiv.

tip Die Antworten kamen schriftlich?

Jörg Widmann Und lauteten: „Mach das bloß nicht!“, „Du bist völlig verrückt!!“ Oft hat sie auch Vorschläge gemacht. Heute rufe ich lieber an und spiele ihr die Stelle am Klavier vor. Sie antwortet am Telefon mit der Geige.

tip Wie haben Sie es geschafft, die Wegwerfpolitik zu unterlaufen, die darin besteht, dass neue Werke nach der Uraufführung auf Nimmerwiedersehen verschwinden?

Jörg Widmann Ein fataler Brauch! In Freiburg, wo ich gelebt habe, gibt es die schöne Sitte, was in Donaueschingen in der Turnhalle Erfolg hatte, in einem besseren Saal wiederaufzunehmen. Da erlebt man positive Akustik-Schocks. Ansonsten kann man gegen diese Wegwerfpolitik wenig tun. Sie müssen bedenken, dass ich bei einer Uraufführung mit den Gedanken immer schon ganz woanders bin. Man kann nur so komponieren, dass die Musiker selber das Werk wiederspielen wollen.

tip Wie oft erlebt man, dass ein Dirigent das Stück selber nicht richtig verstanden hat?

Jörg Widmann Das kann vorkommen. Ich war deswegen beim Aufschreiben immer ein absoluter Genauigkeits-Fetischist. Weniger ist mehr, und weniger ist auch unmissverständlicher. Das betrifft natürlich nur den Buchstaben, nicht den Geist der Sache. Wenn etwas schief geht, betrachte ich es als meine Pflicht zu sagen: „So ist es nicht gemeint.“ Es kann aber trotzdem toll werden, weil die Musiker sich so ins Zeug legen. Mit Dirigenten wie Daniel Harding oder Marc Albrecht hatte ich immer Glück.

tip Sie sind ein Darling der Komponisten-Szene. Auch deswegen, weil Sie so pünktlich sind?

Jörg Widmann Schön wär’s! Im Zug auf dem Weg zu Pierre Boulez habe ich einmal festgestellt, dass ich ein Stück gar nicht fertig kriege. Sogar die Wiener Philharmoniker habe ich im Stich gelassen. Inzwischen ist es anders. Mein 6. Streichquartett, für Anne-Sophie Mutter, war schon ein Jahr im Voraus fertig. Man reißt sich halt am Riemen.

Großer Sendesaal (Haus des Rundfunks) Masurenallee 8-14, Westend, Mi 15.1., 20 Uhr, VVK 18, erm. 12 €

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