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Geschichte

20 Jahre Festsaal Kreuzberg: So prägte der Konzertort die Stadt

Der Festsaal Kreuzberg ist eine Kreuzberger Legende – und das, obwohl er schon vor Jahren nach Alt-Treptow umgezogen ist. Seit 20 Jahren prägt der Veranstaltungsort die Stadt. Auf der Geburtstagsfeier am 4. und 5. Oktober spielen alte Freunde und neue Helden.

Der Festsaal Kreuzberg befindet sich seit 2017 in Alt-Treptow. Der legendäre Torbogen ist mit umgezogen. Foto: Festsaal Kreuzberg/www.sophiavogel.de

Der Festsaal Kreuzberg prägt die Berliner Musiklandschaft

Fahimi Bar, Monarch, West Germany, Paloma Bar, Möbel Olfe, Südblock: Am berüchtigten Zentrum Kreuzberg (bis 2000 Neues Kreuzberger Zentrum, kurz NKZ) spielt sich die Berliner Musikszene von einer Bühne zur nächsten. Für den Absacker oder die Aftershow geht’s an den Tresen oder auf die Tanzfläche. Das ist Subkultur in ihrer schönsten Form, und das direkt am Brennpunkt Kotti. Stern TV filmte hier die Reportage „Gewalt, Drogen und Kriminalität“, eine neue Polizeiwache soll für Ordnung sorgen. So gut das geht in Kreuzberg, am Kottbusser Tor, wo überall zu spüren ist, warum Leute aus der Stadt wegziehen – oder herkommen.

Ausgerechnet der erste Ort, der schon vor 20 Jahren lokale Helden und zukünftige Weltstars an die Skalitzer Straße lockte, ist schon eine Weile nicht mehr hier. In einem türkischen geprägten Hochzeitssaal, direkt neben der Mevlana-Moschee, konnte man hier bis 2013 die spannendsten Konzerte der Stadt erleben. Heute wird in dem Festsaal auf dem Hof wieder zwischen Plüsch und Plastik gespeist und getanzt. Als wäre nichts gewesen. Der Konzertort Festsaal Kreuzberg befindet sich inzwischen in Alt-Treptow zwischen dem Club der Visionäre und dem Badeschiff. Der Name ist geblieben, der Ruf sowieso.

Der alte Festsaal Kreuzberg hatte seinen ganz eigenen Charme. Foto: Imago/Marius Schwarz

Die Anfänge: Türkische Hochzeiten und Lieblingsbands

2004 übernahmen drei junge Veranstalter die Event-Location im ehemaligen Postzustellbezirk SO 36. „Wir haben die Dekoration ständig auf- und abgebaut“, erinnert sich Björn von Swieykowski, einer der Gründer. Abwechselnd veranstalteten sie türkische Hochzeiten und Konzerte ihrer Lieblingsbands. „Wir wollten nur ’ne kleine Bar mit ’ner Bühne für Auftritte und Lesungen“, sagt er 20 Jahre später, „der Saal war eigentlich viel zu groß, aber plötzlich kamen 500 Leute zu unseren Events.“ Schaut man sich die Liste an Bands und Solo-Acts an, die im alten Festsaal aufgetreten sind, ist das keine Überraschung. Die Goldenen Zitronen spielten hier, Soap&Skin, Sebadoh, Emilíana Torrini. Aber auch Mutter, Jens Friebe und Chuckamuck, die hier erste Bühnenerfahrungen sammelten, ein Mitglied des Berliner Garage-Trios soll sogar eine Zeit lang im Festsaal-Büro gewohnt haben. „So war das damals: chaotisch, spontan, improvisiert“, sagt Björn von Swieykowski. Die US-amerikanische Dance-Punk-Band !!! (Chk Chk Chk) probte im Keller. „Irgendwann lag in diesem modrigen Raum auch mal eine Matratze“, erinnert sich der Gründer. Wilde Zeiten am Kottbusser Tor.

New Weird America in Kreuzberg

Der Festsaal Kreuzberg gehörte bald zu den spannendsten Locations der Stadt. Nicht zuletzt durch das benachbarte West Germany, einem winzigen Club in einer Zahnarztpraxis aus Sichtbeton. Die genialen Booker Paul Carlin und John Fitzgerald luden die verrücktesten Bands aus aller Welt, vor allem aber den USA ein. Jackie-O Motherfucker, Six Organs of Admittance, Aids Wolf. Fast täglich fanden Deutschlandpremieren statt. New Weird America in Kreuzberg. Wenn die Acts zu bekannt wurden, schickte man sie rüber in den größeren Festsaal. Eine perfekte Nachbarschaft. Nach und nach eröffneten Björn von Swieykowski und seine Kollegen weitere Clubs und Bars in den herrlich hässlichen Betonklötzen mit Blick auf die U-Bahn: Fahimi Bar, Monarch, Paloma Bar – längst sind alle nicht mehr wegzudenken aus dem Berliner Nachtleben.

Kiezboxgala im Festsaal Kreuzberg: Es ging nie nur um Konzerte. Foto: Imago/Christian Mang

Der Festsaal Kreuzberg blieb das Herzstück des neuen Kultur-Hotspots. Türkische Hochzeiten gab es irgendwann nicht mehr, statt zu Halay zu tanzen, ließ man sich nun zu Avantgarde-Noise, Psychedelic Folk, Drone und Industrial berauschen. Zu der Zeit traute sich das kaum ein anderer Konzertort dieser Größenordnung. 500 Tickets für Bands zu verkaufen, die sogar für New York zu crazy waren, schaffen nicht viele. „Wir hatten alle eine Liebe zu experimenteller Pop-Musik“, sagt Björn von Swieykowski, „Bands, die in den USA schon etabliert waren, kannten hier nur wenige. Aber die wenigen kamen garantiert.“ Eine Nische – für die sich der Festsaal als perfekte Location erwies. Der Torbogen mit dem roten Schriftzug, die Empore mit den hüfthohen Geländern, die dunkelroten Wände, das warme Licht, die drei Diskokugeln – ein eigener Charme.

2013 brannte der Alte Festsaal Kreuzberg ab

Eine Katastrophe für die Berliner Musikszene: 2013 brannte der alte Festsaal Kreuzberg am Kottbusser Tor vollständig aus. Foto: Imago/Olaf Wagner

Unvergessen bleibt ein Konzert von Lightning Bolt im November 2008. Die Bühne wurde leer geräumt und die Helden des Hyperaktiv-Core spielten auf einer winzigen Plattform mitten im Publikum. Wer dabei war, wird sich erinnern – an ein kollektives Ereignis, an einen Abend, an dem aus einem Konzert etwas Größeres entstand und ein Raum zur Kathedrale des Krachs wurde. Künstler:innen, die heute große Hallen füllen, spielten in neun vollgepackten Jahren im Festsaal: Kurt Vile, Villagers, Warpaint, Daughters. Und Rocko Schamoni und Heinz Strunk waren Stammgäste. Björn von Swieykowski erinnert sich an eine der ersten Berlin-Shows von Feine Sahne Fischfilet 2013, lange bevor die größten deutschen Festivals auf die Politpunks aus Mecklenburg-Vorpommern aufmerksam wurden. Der damals stark übergewichtige Sänger Monchi kletterte auf die Empore, sprang ins schwitzende Publikum und ließ sich quer durch den Raum tragen.

Nur ein paar Monate später erschüttert eine Katastrophe die Berliner Kulturlandschaft. In der Nacht des 20. Juli 2013 brannte der Festsaal Kreuzberg durch einen technischen Defekt vollständig aus. Niemand wurde verletzt, doch der Verlust hinterließ Narben. „Der Brand hat uns hart erwischt“, sagt von Swieykowski, „trotzdem haben wir keinen einzigen Moment darüber nachgedacht, aufzugeben.“ Die Musikszene zeigte sich solidarisch. Die Betreiber veranstalteten Exil-Konzerte in befreundeten Clubs, Oska Wald von Chuckamuck verewigte den alten Festsaal in einer Zeichnung. Wer die Crowdfunding-Kampagne unterstützte, bekam ein Poster zugeschickt. Die Einnahmen der benachbarten Bars halfen durch die Krise. Doch der Wiederaufbau an alter Stelle scheiterte an den ambitionierten Plänen des Grundstücksbesitzers.

Alte Freunde: Blumfeld im neuen Festsaal Kreuzberg. Foto: Sophia Vogel

Eine neue Heimat für den Festsaal Kreuzberg

Dreieinhalbjahre dauerte die Suche nach einer neuen Location. 2017 fand der Festsaal Kreuzberg in einer ehemaligen Industriehalle auf dem Arena-Gelände in Alt-Treptow eine neue Heimat. Vorher war hier der legendäre Rockschuppen White Trash Fast Food ansässig. Ein Zusammenschluss aus Festsaal Kreuzberg, Kalkscheune und dem Team vom  Astra, Lido und Bi Nuu übernahm das insolvente Unternehmen und bewahrte die 70 Arbeitsplätze. Der Name und die Betreiber aus der Skalitzer Straße blieben. Sogar den berühmten Torbogen fuhren sie rüber in den Nachbarbezirk. Auf dem deutlich größeren Areal mit grünem Biergarten eröffneten sich neue Möglichkeiten: In den großen Saal passen bei Konzerten doppelt so viele Besucher:innen. Und es gab wieder eine Empore. Kleinere Veranstaltung finden vor bis zu 300 Leuten im Kaminzimmer statt.

Khruangbin im Festsaal Kreuzberg: Viele berühmte Bands spielten hier ihre ersten Berlin-Shows. Foto: Imago/Votos-Roland Owsnitzki

Wie früher gibt es neben Live-Musik auch Lesungen, Wrestling-Shows, Filmvorführungen und Diskussionsrunden. Mit vermieteten Events wie Messen, Firmenfeiern und Veranstaltungen von Parteien, NGOs oder Gewerkschaften stellt man sich auf eine Zukunft ein, in der immer mehr Kulturorte wegen steigender Energiekosten und sinkender Besucherzahlen schließen müssen. „Wenn wir nur auf den Konzertbetrieb angewiesen wären, würden wir ängstlicher in die Zukunft blicken“, sagt von Swieykowski. In den vergangenen Jahren fand sogar die re:publica in der Arena und dem Festsaal Kreuzberg statt. So lebt der Geist der wilden Kreuzberger Zeiten auch in Alt-Treptow weiter. Das Programm bleibt gewagt und vielseitig. Wie früher spielen viele angesagte Bands aus Übersee erst einmal im Festsaal, bevor es in die Columbiahalle geht – und die lokalen Lieblingsbands gehen ein und aus. „Natürlich ist eine 1000er-Location was anderes als eine 500er-Location“, sagt von Swieykowski, „trotzdem trägt das Ganze immer noch unsere Handschrift.“

20 Jahre Festsaal Kreuzberg: Chuckamuck, Fuffifufzich und Brezel Göring sind dabei

Viele Wegbegleiter sind geblieben. Mit den alten Freunden vom West Germany tauscht man sich immer noch gerne aus. Sogar Feine Sahne Fischfilet spielten zehn Jahre nach ihrer Kotti-Show an der neuen Adresse. Der Kreis schließt sich immer wieder. Björn von Swieykowski träumt davon, dass Kurt Vile noch einmal vorbeikommt. Sicher ist: Zeitgeistig, divers und interessant ist der Festsaal weiterhin – auch nach 20 Jahren.

Fuffifufzich spielt bei 20 Jahre Festsaal Kreuzberg. Foto: Elena Peters Arnolds

Das zeigt sich einmal mehr in der Sause am 4. und 5. Oktober. Viele Freunde kommen vorbei. Brezel Göring zum Beispiel, eine andere Kreuzberger Legende. 2019 stand er hier noch einmal mit der 2021 verstorbenen Françoise Cactus als Stereo Total auf der Bühne. Auch aus einem Duo kennt man den Rapper grim104, der mit seinen lyrischen Wutausbrüchen den Frust dieser Zeit einfängt. Beim Dampf ablassen helfen auch die prügelnden Beats der queerfeministischen Punkband Deutsche Laichen. Verträumter geht es bei den Synth-Fantasien von Discovery Zone und den lässigen Flows von Fuffifufzich zu. Wer sich bierselig in den Armen liegen will, macht das am besten beim langersehnten Comeback von Chuckamuck. Wäre ja auch ’ne Frechheit, wenn die nicht zum Gratulieren vorbeikommen würden. Immerhin hat doch einer von denen mal im Büro gewohnt, oder? Wann war das noch mal? Irgendwann in den letzten 20 Jahren, aber auf jeden Fall im guten alten Festsaal.

  • 20 Jahre Festsaal Kreuzberg Am Flutgraben 2, Treptow, Fr 4.+ Sa 5.10., 20 Uhr, Festivalticket 63 €, Tagesticket 29,50 €, weitere Informationen und Tickets online
Dieses Poster gestaltete Oska Wald von Chuckamuck kurz nach dem Brand 2013. Spender:innen bekamen es zugeschickt. Poster: Oska Wald

Mehr Musik

Den alten Festsaal Kreuzberg gibt es nicht mehr, genauso wie diese verschwundenen Konzertorte. Neue Sounds in Weißensee: Das Kulturzentrum Peter Edel meldet sich zurück. Es gab nicht nur Livemusik, früher wurde auch viel getanzt: Das sind 12 legendäre Clubs in West-Berlin, die nicht mehr existieren. Auch weg: Diese berühmten Gebäude sind aus dem Berliner Stadtbild verschwunden. Die Berliner Jazzszene pulsiert: Diese Jazz-Clubs und Jazz-Bars in Berlin servieren beste Klänge. Berlin und Musik passen einfach zusammen, wie die Berliner Hip-Hop-Geschichte in Bildern zeigen. Immer gut über das Leben in Berlin informiert: Abonniert jetzt unseren tipBerlin-Newsletter. Was ist noch los? Hier sind die besten Veranstaltungen heute in Berlin. Bisschen vorplanen: Alle Konzert-Tipps fürs Wochenende in Berlin findet ihr hier. Zelt einpacken und los: Die Infos zu Musikfestivals in Berlin und rund um die Stadt.

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