tip Die Toten Hosen treten diesen Sommer gleich zweimal in Berliner Freiluftarenen auf. Warum in Wuhlheide und Waldbühne?
Campino Wir streiten uns schon seit Jahren, welche von beiden Locations die bessere ist.
tip Und?
Campino Nachteil der Waldbühne ist halt, dass die Lautstärkebeschränkungen dort extrem sind und du ab einem gewissen Punkt nur noch Wohnzimmerlautstärke hast, weil es sonst Ärger mit den Anwohnern gibt. Das ist für ein Rockkonzert grenzwertig. Andererseits ist die Atmosphäre dort unheimlich schön, auch von der Bühne aus ist das einfach beeindruckend.
tip Und die Wuhlheide?
Campino Die hat einen größeren Innenraum, die Leute können dort mehr rumtoben, man kann ein bisschen lauter machen. Aber es ist auch ein unheimlicher Aufwand, da rauszufahren. Ich habe mich lang an die Wuhlheide gewöhnen müssen.
tip Weil du jetzt in Charlottenburg wohnst?
Campino Nein, ich hatte mal ein ganz beschissenes Konzert dort gegeben, und das hängt einem dann lange nach. Aber jetzt sind wir froh, dass wir beides haben. Es gibt in Berlin keine Alternative zu den beiden, auch nicht indoor. Wir haben ja alles ausprobiert. Die Columbiahalle ist fantastisch in ihrer Größenordnung, das SO 36 ist Kult, aber wenn man in die größeren Hallen geht, dann ist da immer ein Riesenkompromiss mit verbunden. Auch die neue O2 World ist ein solcher Kompromiss.
tip Merkt man der Halle ihre Allzweckausrichtung an?
Campino Das merkst du schon. Akustisch gesehen ist die neue Arena natürlich schon eine Verbesserung, aber die beiden Open-Air-Locations sind konkurrenzlos. Doch was sollen die Bands machen, die im Winter hier vorbeikommen?
tip Wie empfindet man als Musiker den Unterschied zwischen Open-Air- und Hallenkonzerten?
Campino Open-Air-Konzerte sind meist natürlich viel, viel besser, weil es da einfach atmet, du nimmst jede Situation mit; wenn es kalt wird, frierst du auch. Es ist ja nicht so, dass man auf der Bühne in einem abgetrennten Raum wäre. Es ist einfach mehr Rock’n’Roll, es taucht nicht sofort ein Steward auf, wenn irgendwo ein Bier fliegt.
tip Unterscheidet sich euer Programm von draußen zu drinnen?
Campino Weniger. Das macht sich nicht an Liedern fest. Eher, dass man berührt ist von der Atmosphäre, da geht es einfach feierlicher zu. Das hat eine andere Größe, und ich spreche da nicht von Raum oder der Publikumszahl. Ich würde im Freien viel eher mal auf die Idee kommen, in eine Menge hineinzuspringen und auf deren Händen zu surfen.
tip Welches Open-Air-Konzert hat dich selbst als Zuschauer am meisten beeindruckt?
Campino Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich mich als Kellerratte eigentlich in kleinen, dunklen Läden am wohlsten gefühlt habe. Wetter und freier Himmel waren für mich im Zusammenhang mit Musik komisch, da habe ich lange gebraucht, um mich damit anzufreunden. Aber dann fand ich das irgendwie locker auf Festivals, dass nicht immer solch ein Druck darauf lag, weil die Menschen für verschiedene Bands kamen und sich auch mal nach hinten verabschiedet haben, wenn sie genervt oder gelangweilt waren. Ich habe das über die skandinavischen Festivals wie Roskilde wirklich lieben gelernt.
tip Und das große Ereignis?
Campino Zu den besten Momenten gehörten die Ramones im River Plate Stadion (Argentinien) – 70.000 Kids, alle mit einem Ramones-Hemd, die andächtig wie in der Kirche mitsingen.
tip Du wirst selbst kaum je mit Kombiwagen und Zelt nach Roskilde gefahren sein, um dort drei Tage im Matsch zu sitzen, oder?
Campino Doch, solche Sachen habe ich gemacht. Ich bin früher mit Andi (Meurer, TH-Bassist) mit einem Interrail-Ticket den ganzen Bands hinterher gefahren. Da haben wir wochenlang in Zügen geschlafen, weil wir kein Geld für eine Absteige gehabt haben. Dieses Gefühl, zu stinken und auf ein Konzert zu warten, das kenne ich. Und wenn man einmal über eine gewisse Grenze hinweggesprungen ist, dann macht einem das auch alles nichts mehr aus. Ich kann durchaus verstehen, wenn jemand anderes damit nichts anfangen kann, aber solch ein Drei-Tage-Festival entspricht meiner Art von Humor.
tip Die Manic Street Preachers hatten einst ihr eigenes Dixi-Klo auf dem Reading-Festival reservieren lassen. Habt ihr auch solche Eigenheiten?
Campino Wenn man früher jahrelang in der Punkszene gespielt hat, in Kreuzberg, Hannover-Kornstraße, Hamburg-Buttstraße, dann ist man in Sachen Klo härtegetestet. Klar, wenn man am vierten Tag auf einem Festival spielt und versäumt wurde, zwischendurch die Toiletten zu leeren, dann macht es keinen Spaß mehr. Insofern ist das auch legitim, dass die Manics einfach ihre Ruhe auf dem Scheißhaus haben wollten. Aber ich muss schon zugeben: Die sanitäre Situation hat sich für Gruppen unserer Größenordnung bei Open Airs inzwischen deutlich gebessert.
Interview: Hagen Liebing
Fotos: Dieter Eikelpoth (Campino), Roland Owsnitzki (Wuhlheide)
Die Toten Hosen
Adresse: Kindl-Bühne Wuhlheide, Fr 3.7., 19 Uhr, ausverkauft,
Adresse Waldbühne, Fr 28.8., 19 Uhr, VVK: 31 Ђ,
Tickets unter www.tip-berlin.de/tickets
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