Kommentar

Bottega Veneta macht Fashion-Event im Berghain: Kalkulierte Kritik

Das mit dem Reinkommen ist beim Berliner Berghain ja schon immer so eine Sache. Mit Ausnahme weniger Events und Ausstellungen im Jahr mit Eintrittskarten entscheidet sich sonst an der Tür, wer in einem der bekanntesten Techno-Clubs der Welt mitfeiern darf. Seit einem Jahr jedoch ist Feiern verboten, exklusiver war der Eintritt folglich noch nicht. Umso überraschter waren viele, dass vergangenes Wochenende eine Modefirma ein Event veranstaltete – Bottega Veneta lud zu einer Fashion Show. Anschließend, heißt es, haben einige Gäste durchaus noch gefeiert.

Berghain Bottega Veneta
Auch in der Pandemie beliebt: Das Berghain war am Freitag Ort einer Fashion-Show von Bottega Veneta. Foto: Imago/Contini

Berghain öffnet für Bottega Veneta: Vogue zeigt Fotos der VIP-Gäste

Dass das Mode-Event schnell eine große Aufmerksamkeit bekam, lag vor allem an der Vogue. Der Instagram-Account „Vogue Hommes“ zeigte Fotos von ankommenden Gästen vor dem Berghain, schrieb dazu: „Von #Skepta bis #VirgilAbloh, #BurnaBoy bis #SlowThai, wische nach links um all die Promis zu sehen, die die neue #BottegaVeneta Kollektion Salon 02 sehen wollten im #Berghain in Berlin.“

Neben den genannten Musikern hatten Fotos zufolge auch die DJane und Produzentin Honey Dijon, die regelmäßig im Club auflegt, und der berühmte Türsteher des Clubs, Sven Marquardt, an dem Event, das offenbar in der „Halle“ stattfand, teilgenommen – letzterer einer der wenigen, die den Bildern nach zu urteilen bei ihrer Ankunft eine Maske trugen.

Wie das Event genau ablief, was sich in den sagenumwobenen Räumlichkeiten des Clubs abspielte, ist unbekannt. Virgil Abloh postete Fotos, die offenbar auch im Inneren aufgenommen sind – trotz des absoluten Fotoverbotes, das generell im Club und normalerweise auch für Prominente gilt. So wies sogar Popstar Kylie Minogue bei ihrer Show vor wenigen Jahren Fans zurecht, die Aufnahmen machten: „Nimm schnell dein Handy herunter, nicht einmal ich darf hier irgendwelche Bilder machen, dann wirst du es auch nicht.“

Fans, die trotzdem Bilder posteten, wurden auch schon mal vom Club-Account angeschrieben und auf das Hausrecht hingewiesen: „Bitte löschen“. Auf dem Foto von Abloh, Designer, Produzent und DJ ist allerdings ein Motiv an der Decke der Halle des Berghains zu sehen. Diese wird vom den Clubchefs weniger hart geschützt als die anderen Räume – die Nachrichtenagentur afp durfte hier zum Beispiel auch bei der Klanginstallation „elevn songs“ von tamtam drehen.

Kritik an Fashion-Event im Berghain: Viele Menschen aus Berlin stinksauer

Was die meisten online aber mehr empört als die Fotos von innen, ist ein anderer Punkt: „Wir dürfen überhaupt nicht feiern, aber die Elite macht, was sie will“, schimpft einer in den vielen Kommentaren. „Für solche Sachen extra reisen und andere gefährden in einer Stadt im Quasi-Lockdown ist nur widerlich“, schreibt eine andere. Die meisten der vielen Hundert Kommentare haben einen ähnlichen Tenor.

Grundsätzlich hat das Berghain erst einmal nichts falsch gemacht damit, die Räumlichkeiten für eine Veranstaltung herzugeben – die Berlin Fashion Week fand online statt, aufgezeichnet werden mussten die Shows trotzdem. Unter Einhaltung von Hygieneregeln wurden und werden TV-Shows produziert, Fußball gespielt, es gibt viele Beispiel. Generell wird eine Kollektionsproduktion eines Modelabels sicher unter Arbeit verbuchbar sein – und da Bottega Veneta ähnlich verschlossen ist wie das Berghain (keine Social-Media-Accounts, keine Fotos des Events, bisher keine Presseanfragen zum Thema beantwortet), können Nichtanwesende schlecht beurteilen, inwiefern die Anwesenden drinnen die Regeln befolgt haben.

Was vielen in den sozialen Netzwerken sauer aufstößt, ist eben die Frage, wieso aber Prominente aus anderen Ländern eingeflogen werden mussten, warum die italienische Luxusmarke nicht in diesen Zeiten lokaler produzieren kann, dazu ziehen viele in Zweifel, dass die Gäste sich an die deutschen Einreiseregeln, die inzwischen immer Quarantäne vorsehen, gehalten haben.

Nach Berghain-Präsentation: Afterparty im Soho House?

Zumal weitere online kursierende Videos ein problematischeres Licht auf den Freitag werden: Den Aufnahmen nach zu urteilen feierten einige der Gäste im offenbar von Bottega Veneta vollständig gemieteten Nobel-Hotel-Club Soho House noch weiter – ob es sich dabei um eine offizielle Afterparty oder um ein von den Gästen privat organisiertes Event handelt, ist unklar. Dazu kommen Berichte, dass sowohl das Modelabel in seiner Heimat als auch das Soho House in Berlin schon einige Zeit immer mal wieder mehrere Augen in Sachen Pandemie zudrückten. Dem Tagesspiegel sagte eine Sprecherin des Soho House, man werde dem sehr genau nachgehen.

Die Wut der Berliner*innen ist nachvollziehbar. Sie sollen derzeit unter anderem nach 21 Uhr nicht einmal private Gäste empfangen dürfen, derartige Geschichten produzieren da Wut. Dass das Berghain mit der Bereitstellung von Räumen für Kritik sorgte, ist wenig überraschend. Zumindest ganz sachlich ist es derzeit erlaubt, für Arbeitsveranstaltungen, die die Vorschriften beachten, Räume zur Verfügung zu stellen – was derzeit auch überall ohne größeres Aufsehen geschieht.

Sven Marquardt bei der Eröffnung seiner Fotoausstellung im Oktober 2020 – da im Friedrichstadt-Palast. Foto: Imago/Contini

Heidi Klum etwa drehte in den vergangenen Wochen gut dokumentiert, aber ohne ganz großes Aufsehen eine ganze Staffel „Germany’s Next Topmodel“, gerade erst in der vergangenen Woche spielten sie und ihre Teilnehmerinnen Clubnacht in Berlin nach – ohne dass das groß für Empörung sorgte. Dass nun die Ereignisse vom Wochenende einen ganz anderen Shitstorm erzeugen, ist logisch: Ein ohnehin exklusiver Club macht die Türen für eine extrem exklusive Firma auf, die wiederum prominente Gäste einlädt, von denen sich einige dann später auch noch dabei filmen lassen, wie sie es krachen lassen. In einer Zeit wie dieser eine Verbindung von Umständen, die niemand beklatschen wird. Außer, und das ist ein entscheidender Punkt: jenen, die dazugehörten.

Skandale wie diese in Fashion-Welt auch gern Kalkül

Denn derartige „Skandale“ sind absolut Aufmerksamkeitsbringer (beweist der tipBerlin ja auch gerade), die in der Fashion-Welt quasi als Jackpots gelten. Die, die sich bei Bottega Veneta einkleiden, dürften häufig auch jene sein, die ohnehin auf der wohlhabenderen Seite des Lebens stehen. Und dass Reichtum Türen öffnet, ist bekannt. Von Kardashians, die groß Geburtstage feiern, bis zu Schauspieler*innen, die seelenruhig trotz Corona zwischen Dreharbeiten für Urlaube um die Welt jetten. Die italienische Firma wird mit der Berghain-Show das Interesse an der neuen Kollektion (und am Ende damit auch die Verkaufszahlen) gesteigert haben. Vor dem Club werden sich, so es denn irgendwann wieder geht, schnell wieder lange Schlangen bilden. Events wie dieses helfen am Ende der Legendenbildung.

So es offizielle Bilder von innen gibt, und sie jemals, veröffentlicht werden, wird es darauf keine Regelverstöße zu sehen geben, sie bleiben also spekulativ. Dass zwischenzeitlich der Club zum Beispiel für eine Ausstellung genutzt wurde und die Eröffnung der Ausstellung Studio.Berlin mit Kultursenator Klaus Leder und Dutzenden Journalist*innen stattfand, hatte eigentlich niemanden gestört. Allerdings herrschte auch Masken- und Abstandspflicht. Und anschließend tauchten keine Videos auf, die Lederer und Kunstsammler Christian Boros bei einem launigen Aftershow-Rave filmen. Gewinner des vergangenen Wochenendes war eindeutig: Bottega Veneta.


Mehr zum Thema

Wenn es irgendwann wieder aufmacht: So kommt ihr auch mal in Berghain – vielleicht. Die leeren Clubs der Stadt sind im Fotobuch „Hush“ dokumentiert. Und Tresor-Gründer Dimitri Hegemann will die Club-Infrastruktur in kleinere Städten stärken.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad