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Drogen, Sex, Gespräche: Was auf Berliner Clubtoiletten abgeht

In die Kabinen von Berliner Clubtoiletten quetschen sich Wochenende für Wochenende bis zu zehn Menschen auf einmal, um zu quatschen, Drogen zu nehmen, Sex zu haben. Man könnte fast sagen: Es entsteht eine Heterotopie im Foucault’schen Sinne. Ein Essay über die Einzigartigkeit Berliner Clubtoiletten.

Sobald die Tür zu ist, entfaltet sich auf Berliner Clubtoiletten eine beispiellose Dynamik.
Sobald die Tür zu ist, entfaltet sich auf Berliner Clubtoiletten eine beispiellose Dynamik. Grafik: Tobi Meyer/tipBerlin

Die Atmosphäre auf Berliner Clubtoiletten ist beispiellos

„Happy Birthday to you, Happy Birthday to you!“ Acht Menschen stehen dicht gedrängt in einer Toilettenkabine in einem Berliner Club, die Rücken an die metallenen Wände gepresst. Es ist Montagmorgen, 0.01 Uhr, einer von ihnen ist gerade 30 geworden. Die meisten können das Geburtstagskind nicht umarmen, denn sie halten gerade ihre Handys waagerecht in Brusthöhe vor sich, schieben Häufchen weißen Pulvers zu Lines.

Es ist heiß, der Schweiß rinnt den Anwesenden in Bächen an den wenig bekleideten Körpern herunter. Aber auch nachdem die Lines in den Nasen verschwunden sind, bleiben die acht in der Kabine und reden, zwei oder drei Gespräche finden gleichzeitig statt. Unterdessen klopfen von draußen andere Clubbesucher:innen an die Türen. Sie wollen endlich auch eine Kabine besetzen – allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit nicht, um zu pinkeln, sondern um ihre eigene Konsum-Session zu starten.

Was sich jedes Wochenende auf Berliner Clubtoiletten abspielt, ist beispiellos. Nirgendwo sonst wird das Drogennehmen „auf Kabine“ so sehr zelebriert, wie in Berlin: nicht in London, nicht in Amsterdam, nicht in Köln. In anderen Städten passt meist Clubpersonal auf, dass nicht mehrere Clubgäste gleichzeitig in den Kabinen verschwinden. Außerdem gibt es selten All-Gender-Toiletten.

Um aufs Klo zu gehen, muss man viel Zeit einplanen

Auf den Berliner Clubtoiletten dagegen scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu gelten: Versteck deine Drogen beim Reingehen gut, denn die Taschen- und Körperkontrollen sind oft gründlich. Konsumiere sie auf gar keinen Fall außerhalb der Toilettenkabinen. In der Klokabine aber kannst du machen, was du willst – stundenlang ballern, Sex haben, quatschen. Die Folge: Die Toilettenschlangen sind oft fast so lang wie die vorm Club. Clubgäste ziehen ihre Sessions in den Kabinen endlos in die Länge. Um aufs Klo zu gelangen, egal, ob man sich nun wirklich erleichtern muss oder ebenfalls Drogen nehmen will, muss man viel Zeit einplanen.

Drogen gehören zu Technopartys wie der Fernsehturm zu Berlin, keine Frage. Die Idee hinter Techno ist aber wohl eher, sich so lange wie möglich auf der Tanzfläche von Bässen überrollen zu lassen, zu tanzen, bis der Kopf leer ist, als zusammengepfercht neben einem stinkenden Klo zu stehen.

Was also ist es, das Menschen dazu bringt, sich freiwillig in eine gut ein Quadratmeter große Klokabine zu quetschen? Die einfachste Erklärung: Dort kann man immer nachlegen. Die Geburtstagsgruppe zum Beispiel: Inzwischen ist so viel Zeit vergangen, dass einer schon die nächste Ladung auf seinem Handy fertig macht, während er darüber diskutiert, ob in dem Tütchen nun Speed oder Ketamin war. Aber wenn Konsum ohne Hindernisse das Ziel wäre, könnten die Clubgäste auch einfach zu Hause bleiben und dort konsumieren. Vielleicht ist es die Magie eines Ortes, an dem andere Regeln gelten, die die Menschen das Abhängen auf Berliner Clubtoiletten so zelebrieren lässt.

Berliner Clubtoiletten als Heterotopien

Klokabinen werden in Clubnächten zu dem, was der Philosoph Michel Foucault als Heterotopien bezeichnet hat. Mit Heterotopie meint Foucault die Idee eines Ortes, der Gegenentwurf zur Gesellschaft ist, aber sich entsprechend auch in Beziehung zum „Normalen“ befindet – das Normale ist in diesem Fall dem Alltagsort öffentliche Toilette. Außerdem ist die Heterotopie keine Utopie, die immer nur eine Fantasie bleiben kann, sondern ein abgeschlossener Raum zwischen Normalraum und Utopie – in dem aber die Regeln, die in Ersterem gelten, zum Teil ausgehebelt sind.

Außer Kraft ist auf Clubtoiletten offensichtlich die Kriminalisierung von Partydrogen. Aber die Heterotopie wirkt auch auf subtilere Art und Weise. Wenn sich in den Kabinen die Menschen drängen, muss früher oder später jemand wirklich pinkeln. Viele – Männer, Frauen, Nicht-Binäre – verrichten dann einfach ihr Geschäft, ungeachtet der vielen anderen in der Kabine, zwischen Beinen, Brüsten und Handys mit Drogen drauf.

In den Kabinen werden die Menschen noch freizügiger

Sich nochmal extra zum Pinkeln anstellen, würde dann wirklich zu viel Zeit kosten. Aber auch davon abgesehen scheint die Kabine Menschen freizügiger werden zu lassen, als sie in den Clubs eh schon sind – als würde sie Scham aufsaugen und irgendwo außerhalb ausspucken. Brüste vergleichen, Schwänze betrachten? Alles schon geschehen.

Und das Sich-Nicht-Aus-Der-Ruhe-Bringen-Lassen. Es scheint außerhalb von Clubs klar zu sein, dass man sich auf öffentlichen Toiletten beeilt, um die anderen in der Schlange nicht zu lange warten zu lassen. Ob es gut ist, dass auch diese Verhaltensregel auf Club-Toilettenkabinen ausgehebelt ist: zweifelhaft.

Die Mitglieder der Geburtstagscrew jedenfalls sind nach 20 Minuten immer noch in der Kabine. Inzwischen sind zwei von ihnen rausgegangen, sie haben es nicht mehr ausgehalten. Der Rest verlässt die Kabine zehn Minuten später, einer nach dem anderem schiebt sich durch die Tür und blickt in die vorwurfsvollen Gesichter derjenigen, die die ganze Zeit davor gewartet haben. Das hält die Wartenden aber nicht davon ab, sich ihrerseits zu neunt in die Kabine zu quetschen.


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