Berlin ist das pulsierende Herz der europäischen Clubkultur. Seit den frühen 1990er Jahren hat sich hier eine Szene etabliert, die weit mehr ist als laute Nächte und flackerndes Strobo. Insbesondere Clubkollektive – also Zusammenschlüsse von Künstler:innen, Veranstalter:innen und Kreativen – prägen seither das Bild der Berliner Nachtkultur. Doch während die meisten Clubnamen für sich selbst schon Marken geworden sind, setzen viele dieser Kollektive bewusst auf ein anderes Konzept: Sie ziehen mit ihren Partyreihen regelmäßig von Club zu Club.

Sind wandernde Clubkollektive in Berlin überhaupt etwas Neues?
Clubkollektive, die die vielfältige und lebendige Clubkultur der Stadt prägen, finden sich im post-Covid- Zeitalter immer häufiger in Berlin. Mit ihren Partyreihen ziehen sie von Club zu Club, organisieren Veranstaltungen, fördern Künstler:innen und schaffen dadurch Räume für kreative Ausdrucksformen. Was macht das mit der so gerne angepriesenen Clubexklusivität, wenn die vermeintlich hauseigene DNA einfach weiter zum nächsten Dancefloor zieht? Partys, die sich auf nur eine Location beziehen, scheinen immer häufiger zur Rarität zu werden. Doch ist dieses Phänomen tatsächlich neu?
Als die Mauer im Jahr 1989 fiel, wurde Berlin zu einem Möglichkeitsraum, der wild, leer und frei war. Hier erinnern wird an legendäre Clubs der 1990er-Jahre. Doch wer glaubt, dass sich die Raves jener Zeit in festen Clubs mit geregeltem Betrieb abspielten, liegt falsch. Die Partyszene jener Zeit war mobil, anarchisch und vor allem: ständig in Bewegung. Fernab von gängigen Clubstrukturen entstand besonders in Ost-Berlin (dank dem bis dato rechtlichen Graubereich) eine neue, fluide Subkultur. Statt sich an einen Ort zu binden, wanderten Partys mit der Crowd von Raum zu Raum: Mal eine verlassene Kaufhalle in Friedrichshain, dann ein Bunker in Mitte oder ein Heizkraftwerk in Lichtenberg. Jeder Ort hatte seinen eigenen Sound, sein eigenes Gefühl und jeder Wechsel war ein Versprechen: Das nächste Mal wird anders – vielleicht besser.
Die Entscheidung, sich an keine feste Location zu binden, ist selten Zufall
Ein Gefühl, das Berliner Clubkollektiven bis heute anhaftet: „Es geht uns um den Moment“, sagt Timm Mühlenberg vom Kollektiv Heisss, das seit 2022 existiert und regelmäßig neue Orte bespielt. „Wir wollen, dass jede Veranstaltung für sich steht. Das geht nur, wenn man sich nicht an eine feste Venue klammert.“ Ausprobieren, Andersmachen und Eskapismus bilden schließlich das Fundament der Berliner Clubkultur. Die Atmosphäre soll zur Musik passen und andersherum. Deswegen steht für viele Kollektive hinter dem „Wandern“ eine klare künstlerische Vision. Die Entscheidung, sich an keine feste Location zu binden, ist selten Zufall.
Fragt man Mika Heggemann vom Kollektiv Polyamor nach der Idee von Bewegung, dann spielt für ihn das Gesamtkonzept eine genauso große Rolle wie die Philosophie: „Für uns hat das auch viel mit Community Building zutun. Wir wollen nur in Clubs spielen, in denen sich unsere Partygäste wohlfühlen. Wenn die Getränkepreise für einen Long Drink dann aber astronomisch sind, schließt das automatisch Menschen aus.“ Gemeinsam mit Jonas Purrucker veranstaltete Heggemann (der auch das Berlin Dance Music Event ausrichtet) die erste Polyamor Party 2023 im Lokschuppen, danach zogen sie weiter in den Club Ost und wieder zurück. Der Sound der Party variiere dabei immer wieder zwischen Trance, Eurodance, Groove, Hardgroove, Hardhouse und Techno. „Wir sind experimentierfreudig, was das angeht“, sagt Heggemann. Polyamor eben.
Die wandernden Clubkollektive Berlins: „Natürlich erhoffen wir uns dadurch auch, eine größere Zielgruppe anzusprechen“
Sicher gibt es sie, die exklusiven Partys, die nur clubspezifisch funktionieren, da sie letztlich untrennbar mit der DNA der Location verwachsen sind. Die Klubnacht im Berghain zählt genauso dazu wie der Carneball Bizarre im KitKat Club. Doch die Szene scheint sich dahingehend zu verändern. Auch Jonas Purrucker sieht aktuelle Entwicklungen als Auslöser für den rasanten Anstieg clubunspezifischer Kollektive: „Besonders eine neue Generation von Raver:innen trägt dazu bei. Sie orientieren sich nicht mehr am Stammpublikum, welches für bestimmte Clubs steht, sondern richten sich lieber nach dem Vibe verschiedener Partyreihen.“ Außerdem könne man durch den ständigen Wechsel mit Raum, Sound, Licht und Publikum experimentieren. „Natürlich erhoffen wir uns dadurch auch, eine größere Zielgruppe anzusprechen“, sagt Mika Heggemann weiter.
Hinzu kommen praktische Komponenten: Der Berliner Clubkalender ist voll. Die meisten Clubs vergeben ihre Wochenendnächte an mehrere Veranstalter:innen – mitunter Monate im Voraus. Wer nicht Teil des festen Clubpersonals ist, bekommt meist nur sporadisch Termine. Daher wählen viele Kollektive den Weg der Rotation. Heute im Revier Südost, morgen in der Else, übermorgen vielleicht sogar in einem leerstehenden Industriegebäude.
Die Mobilität der Clubkollektive als Zeichen einer dynamischen, unabhängigen Szene, die sich ständig neu erfindet
Fragt man Timm Mühlenberg vom Kollektiv Heisss nach weiteren Ursachen, nennt er auch wirtschaftliche Gründe: „Wir haben im Humboldthain Club gestartet, aber als wir wegen Kapazitätsgründen fast 50 Prozent der Leute an der Tür abweisen mussten, haben wir uns entschieden, den nächsten Schritt zu wagen. Wir sind dann in die Münze weitergezogen, ins Revier Südost und in die Else. Ganz nach dem Motto: Höher, schneller, weiter“, grinst er. Was dann passierte, sei wie ein Dominoeffekt gewesen, denn weitere Clubs wurden auf den Erfolg der Partyreihe aufmerksam und fragten das Kollektiv für Partynächte an. „Das Watergate zum Beispiel wollte, dass wir eine Party bei ihnen ausrichten“, so Mühlenberg. Mit einem Sound, der sich zwischen Techno, House und progressive House bewegt, veranstaltet Heisss mittlerweile auch in München, Hamburg, sogar Asien.
Doch wie stehen eigentlich die Clubs dazu? Authentizität wird in der Szene schließlich großgeschrieben, da ist Clubhopping nicht unbedingt im Sinne der Venues: „Wenn die Partys gut laufen und ein großes Publikum anziehen, dann wünschen sich die Clubs natürlich Exklusivität“, erklärt Mühlenberg weiter. Sind Clubkollektive deswegen als Zeichen wachsender Unverbindlichkeit im Berliner Nachtleben zu deuten? Nein. Vielmehr geht es hierbei um den Ausdruck einer dynamischen, unabhängigen Szene, die sich ständig neu erfindet. Und das ist in einer Clublandschaft, die mittlerweile ständigen Bedrohungen ausgesetzt ist, auch notwendig, wie Jonas Purrucker von Polyamor betont: „Indirekt haben die Wechsel auch etwas mit den Clubschließungen zutun. Durch die Planung der A100 ist der Club Ost bedroht, der Lokschuppen würde mit der Beseitigung des RAW-Geländes wegfallen. Da ist es schon besser, wenn man sich nicht nur auf eine Location fokussiert.“
So könnte man es deuten: Die Mobilität der Clubkollektive ist Teil des kreativen Widerstands gegen Gentrifizierung, Kommerzialisierung und kulturelle Monotonie. Sie halten die Szene offen, vielfältig und in Bewegung – genau das, was Berlin seit jeher auszeichnet.
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