Am 9. Juli zieht die „Rave The Planet“ durch die Stadt. Der Loveparade-Mitgründer Dr. Motte hat mit uns über die neue Loveparade gesprochen – und wie diese den Spirit der 90er wiederaufleben lassen soll.
Dr. Motte will Rave the Planet zur neuen Loveparade machen
tipBerlin Herr Dr. Motte, was unterscheidet die Rave-the-Planet-Parade, die Sie für den 9. Juli planen, von der originalen Loveparade?
Dr. Motte Wir haben die Rave-The-Planet-Parade als Demonstration für Anerkennung der elektronischen Musikkultur als kulturelle Leistung angemeldet. Wir werden leider dazu gezwungen, das politischer zu machen, wir haben gar keine andere Wahl. Meiner Meinung nach ist es auch politisch, wenn Menschen tanzend zusammenkommen und darüber Völkerverständigung stattfindet, aber das reicht der Versammlungsbehörde nicht. Die will Redebeiträge sehen. Deshalb demonstrieren wir auch für das Durchführen nonverbaler Demonstrationen. Wir kommunizieren über unsere Musik. Wir brauchen die Worte nicht, weil: Die können missverstanden werden. Musik spricht alle Sprachen. Jeder versteht Musik. Und im Tanzen kommen wir uns näher, als mit jedem gesprochenen Wort.
tipBerlin Was hat die Loveparade an der Welt verändert?
Dr. Motte Das Nonverbale hat eine Wirkung. Wenn man ein Wochenende lang tanzt, dann merkt man das auch. Dann schwingt man sich ein auf die Musik. Und das trägt man mit in den Alltag. Da schwingt man weiter. Da entsteht eine Energieerhöhung. Eine positive Energie und eine freie, kreative Atmosphäre. Das ist etwas, das einen abschalten lässt von dem Wahnsinn, in dem man hier leider gefangen ist. Das bringt dann den Frieden für die Menschen.
tipBerlin Hat die Loveparade Hedonismus gesellschaftsfähig gemacht?
Dr. Motte Wenn das so wäre, dann hätten wir jetzt bessere Gesetze, um diese Kultur weiterleben zu lassen. Ich habe mal gelesen: „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.“ Es gibt einige Politiker, die erkannt haben, wie wichtig diese Club-Kultur ist, aber am Ende kommt ein Investor und dann ist der Club weg. Das Schöne an der Loveparade war, dass wir der Öffentlichkeit gezeigt haben, wie elektronische Musikkultur aussieht.
Die Idee war von Anfang an, das jedes Jahr zu wiederholen und so Leute zu inspirieren. Und weil wir immer mehr werden auch in anderen Ländern, ist irgendwann ein Punkt erreicht, wo wir in allen Ländern Paraden haben. Und dann auch ein Punkt, wo alle erkennen: Wir sind ja Brüder und Schwestern. Techno ist Frieden. Das bringt die Menschen zusammen, tanzenderweise. Und was kann es Schöneres geben.
Wir wollen Techno deshalb bei der Unesco als immaterielles Kulturerbe anerkennen lassen. Den Antrag haben wir im November 2021 abgegeben. Es geht um den Erhalt der lebendigen elektronischen Musikkultur.
tipBerlin Was würde das bringen?
Dr. Motte Dass die Gesellschaft sieht, dass das viel mehr als ein Amusement ist. Es ist Wahnsinn, wie viele Firmen und Vereine um Techno entstanden sind. Es hat weltweit eine parallele Ökonomie geschaffen. Da gilt es doch eine Perspektive zu schaffen und die Anerkennung von Techno als immaterielles Kulturerbe wäre eine gute Hilfe.
Das Ende der Loveparade und der Weg zur Katastrophe
tipBerlin Warum gibt es die Loveparade nicht mehr?
Dr. Motte 2001 gab es eine Opernsängerin im Tiergarten, die hat die Loveparade gehasst und mit einer Gruppe von Gleichgesinnten und Anwohner:innen eine Demo 2001 angemeldet, auf der Straße des 17. Juni. Wir kamen dann zu spät. Die Politik bestand darauf zu sagen: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Obwohl es dafür keine gesetzliche Grundlage gibt. Man hätte sagen können: Die Loveparade ist wichtiger für die Stadt. Wir mussten dann die Loveparade verschieben, das hat uns einen schweren Schaden beigebracht für die Finanzierung. Wir haben sie dann nicht mehr als Demo, sondern als Veranstaltung durchgeführt.
Wir hatten darauf geklagt, dass sie eine Demo ist, aber verloren. Das wurde dann 2002 und 2003 so teuer, dass wir es nicht mehr finanzieren konnten. 2004/2005 fiel sie dann aus. Dann wurde sie an einen Privatinvestor verkauft. Ich hätte ein Veto abgeben können und bereue, das nicht getan zu haben. Ich dachte, es sei besser, wenn die Loveparade stattfindet, als wenn sie nicht stattfindet. Das hab ich zu spät erkannt, dass sie dann nur noch ein Marketingevent war. 2006 gab es dann noch eine Marketingparade für diese Fitnesskette. 2007 war Berlin dem Veranstalter dann zu langsam und er ist ins Ruhrgebiet abgewandert.
Das Problem ist, alle Städte außer Berlin haben mit einer Veranstaltung dieser Größe keine Erfahrungswerte. In Berlin stand und steht die Sicherheit der Teilnehmer der Parade immer an erster Stelle. Der neue Veranstalter hatte einen anderen Fokus. Ich hab das Konzept für die Katastrophenparade in Duisburg gesehen, mit abgesperrtem Gelände, und gesagt: Fahrt da lieber nicht hin. Na ja, schauen wir lieber nach vorne.
tipBerlin Was ist das Ziel von Rave the Planet?
Dr. Motte Wir wollen eine kritische Masse erzeugen, wie wir sie schon einmal in den 90ern hatten. Wir wollen den guten Spirit und die guten Menschen zusammenbringen und zeigen: Wir sind die Elektronische Tanzmusikkultur, wir wollen miteinander gut umgehen, wir wollen Frieden in der Welt und nicht agieren wie eine Minderheit, die uns regiert. Wir wollen die Geschichte des Loveparade-Spirits weitererzählen. Wir bleiben der Vision treu, dass durch die „Loveparaden“ in allen Ländern irgendwann Weltfrieden entsteht. Deshalb auch Rave the Planet. Das war von Anfang an die Vision.
tipBerlin Wie meinen Sie, wird Ihre neue Loveparade angenommen?
Dr. Motte Es gibt ganz viele Menschen, die es gar nicht erwarten können. Wir werden einen freudigen Tag erleben voller lachender Gesichter. Wir haben 18 Trucks, einen Zug, der einen Kilometer lang wird. Und sehr viele Freiwillige, die uns als Ordner zur Verfügung stehen. Da kommen gute Leute zusammen. Da gehen viele Wünsche und viele Träume in Erfüllung, wenn wir das jetzt wieder machen. Da werden viele Freudentränen in den Augen haben. Ganz viele wollen endlich beim ersten Mal dabei sein.
tipBerlin Wie sorgen Sie für die Sicherheit?
Dr. Motte Wir haben ein sehr gutes Sicherheitskonzept. 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht. Das ist leider so. Berlin hat sehr viel Erfahrung und wir haben ein mit Feuerwehr und Polizei und Sanitätern abgestimmtes Sicherheitskonzept. Jeder kann sich bei uns noch melden und gerne mithelfen. Wir sind eine gemeinnützige gGmbH und ich arbeite ehrenamtlich.
tipBerlin Werden Sie wieder eine Rede halten?
Dr. Motte Es wird viele Reden geben. Es geht um Themen wie Gentrifizierung, Techno und Frieden, Abschaffung von Tanzverboten und Erhalt der Technokultur. Es gibt Reden von Dimitri Hegemann, Caren Lay, Marc Wohlrabe, Artur Wojtczak aus Polen und vielen anderen. Ich werde die Eröffnungsrede halten und auch die Abschlussrede. Ich möchte auch das Schneckenhorn wieder einsetzen, mit dem ich bei der Abschlusskundgebung 2000 musiziert habe. Weitere Infos stehen auf unserer Webseite ravetheplanet.com.
Rave the Planet wird eine politische Demonstration
tipBerlin Thema wird auch das Grundeinkommen sein, was hat das mit Technokultur zu tun?
Dr. Motte Wenn uns als Gesellschaft das wichtig ist, dass Kultur erhalten bleibt, dann sollte das entsprechend honoriert werden und dann sollten Künstler auch gefördert werden, damit sie nicht abhängig sind vom Minnegesang mit Auftritten, sondern eine stabile Basis haben, um kreativ sein zu können. Das schafft eine gute Basis für den Künstler.
tipBerlin Und am Tag nach der Parade wird aufgeräumt?
Dr. Motte Wir müssten nicht, aber wollen das. Wir haben auch früher schon immer den Park aufgeräumt. Die Betreiber von einem Float sammeln dieses Jahr unterwegs auch Kronkorken und Kippen ein um daraus Taschenaschenbecher zu machen. Wir wollen eine Null-Müll-Parade sein, mit Nachhaltigkeit auf allen Ebenen. Wir haben auch Awareness-Teams die auf Hass und Diskriminierung reagieren können. Wir wollen Peace, Love, Diversity und Respect leben. Wir befinden uns auf dem Weg dahin, das vollumfänglich umzusetzen. Jeder kann gerne bei unserem Clean-Up Day am 10. Juli, 11 Uhr Treffpunkt Brandenburger Tor dabei sein. Ich werde auch helfen.
Zur Person
Dr. Motte heißt mit bürgerlichem Namen Matthias Roeingh, ist DJ, Produzent und Mitbegründer der Loveparade und wird am Tag der „Rave-the-Planet“-Parade 62 Jahre alt. Motte ist politisch vielseitig interessiert, engagierte sich schon für Privatsphäre im Netz, eine solidarische Gesellschaft, Umverteilung, Queer Rights und freie Spreeufer. Motte ist Mitglied im Tierhilfswerk, in der Gesellschaft für bedrohte Völker und im Allgemeinen Deutschen Fahrradverein.
Was ihr zum Loveparade-Nachfolger wissen müsst: Rave the Planet 2022. Wie Dr. Motte mal Bürgermeister werden wollte, lest ihr hier. Mehr Neues aus dem Stadtleben steht hier. Und wenn gerade kein Technoparade durch die Stadt zieht: Hier im Club-Update findet ihr jede Woche unsere Party-Tipps.