Zu alt für Techno? Ganz sicher nicht. Der Loveparade-Erfinder Dr. Motte feiert am 9. Juli 2020 seinen 60. Geburtstag und ist immer noch aktiv für die Sache der elektronischen Tanzmusik. Matthias Roeingh, wie Dr. Motte bürgerlich heißt, wurde 1960 in Spandau geboren. Er lernte Betonbauer, trieb sich seit den frühen 1980er-Jahren in der West-Berliner Subkultur herum und spielte in diversen wenig erfolgreichen, aber zuweilen recht experimentellen Bands, darunter bei Die Toten Piloten und Deutsch-Polnische Aggression.
Um 1985 begann er seine Laufbahn als DJ und Partymacher. Er entdeckte House und legte in legendären Berliner Clubs auf, die als Keimzelle der Techno-Kultur in Berlin gelten. Darunter im Ufo und der Turbine Rosenheim. Mit seiner damaligen Freundin, der Künstlerin und Musikerin Danielle de Picciotto, erfand er 1989 die Loveparade, der Rest ist Geschichte.
Zum Jubiläum haben wir 12 Fotos aus dem Leben des DJs und Loveparade-Erfinders Dr. Motte ausgesucht. Herzlichen Glückwunsch und Friede, Freude, Eierkuchen!
Rave the Planet, 2020
Dr. Mottes neustes Projekt ist eine Neuauflage der Loveparade in Berlin. Unter dem Hashtag #ravetheplanet weihte er kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie ein Modell der alten Loveparade in der Mall of Berlin ein. Man konnte sich kleine Figürchen kaufen, damit die Partypläne unterstützen und die Miniatur-Parade immer voller werden lassen. Wer weiß, was die Zukunft bringt, aber es soll die größte Party der Welt werden. Auch mit 60 denkt Dr. Motte noch groß!
Save Griessmuehle, 2020
Er ist ein Streiter und Lobbyist für die Techno-Kultur. Und wenn ein Ort, wie der angesagte Neuköllner Techno-Club Griessmuehle bedroht ist und für den Erhalt protestiert wird, ist Dr. Motte als Vater der Berliner Technoszene mit dabei und demonstriert gegen das Clubsterben.
30 Jahre Loveparade, 2019
Im Juli 2020 feiert Dr. Motte seinen 60. Geburtstag, im Juli 2019 feierte die erste Loveparade den 30. Geburtstag. Als dem Anlass ging der Miterfinder der politische bewegten Technoparty, bei der damals etwa 150 Leute zu elektronischen Klängen über den Ku’damm tanzten, noch einmal zum Ursprung zurück. Im gelben „Techno“-Shirt erinnerte der Veteran an die legendäre Loveparade 1989.
re:publica, 2018
Techno ist längst mehr als eine Tanzmusik, die in den Clubs für die Hintergrundbeschallung sorgt und zu der man sich die Seele aus dem Leib vögelt und verbotene chemische Substanzen konsumiert. Techno ist ein Lebensgefühl, ein kultureller Impuls, ein Soundtrack der Globalisierung und Digitalisierung der Welt.
Fortschritt, technologische Innovationen, die Veränderungen des Alltags, neue politische Konzepte, Datenschutz und Überwachung, Aktivismus, Life-Hacks, kreative App-Lösungen für nahezu jedes Problem des Lebens – all das und dazu der theoretische Überbau wird bei der Internetkonferenz re:publica diskutiert, präsentiert und postuliert. Auch Dr. Motte als Stichwortgeber und Symbolfigur der Techno-Kultur ist mit dabei, wie hier im Jahre 2018.
Fünfter Jahrestag der Loveparade-Katastrophe in Duisburg, 2015
Es ist das dunkle Kapitel der Loveparade, auch wenn Berlin und Dr. Motte mit der Sache kaum etwas zu tun hatten. Dennoch fuhr der Loveparade-Erfinder am Vorabend des fünften Jahrestages der Loveparade-Katastrophe in Duisburg zu der „Nacht der 1000 Lichter“. In dem Rahmen gedachten zahlreiche Menschen im Juli 2015 am Karl-Lehr-Tunnel in Duisburg der Opfer des Unglücks.
Am 24. Juli 2010 waren bei einer Massenpanik auf der Technoparty in Duisburg an eben diesem Tunnel 21 Menschen gestorben. Mehr als 500 wurden verletzt.
Dr. Motte wird 50, 2010
In einem Interview zu seinem 50. Geburtstag im Juli 2010 sagte Dr. Motte: „Privat bin ich froh, wenn mal Ruhe ist. Musik im Radio nervt und macht kulturell unkreativ und passiv! Privat singe ich sehr viel mit meiner Süßen.“ Er wollte den Tag im kleinen Kreis verbringen.
In dieser Zeit trat er immer wieder politisch in Erscheinung und engagierte sich etwa gegen die Bebauung des Spreeufers und fordert mehr Basisdemokratie und Bürgerbeteiligung bei wichtigen Entscheidungsprozessen.
One-Festival, 2009
Dr. Motte schlug sich als Musiker, DJ und Partymacher durch. Er erfand und veranstaltete die Loveparade, zu der auf ihrem Höhepunkt über eine Million Menschen kamen. Doch reich ist er mit all dem nicht geworden. Es erschienen zwar ein paar Platten mit seinen Tracks, aber auch das brachte nicht viel ein.
Irgendwie muss aber auch ein Dr. Motte Geld verdienen. Zum Beispiel als DJ. Er verriet im Juli 2020 in einem Interview mit der „B.Z.“, dass er etwa 120 Euro Rente erwarte und ihm wegen Corona sämtliche Einnahmen weggefallen seien. Zum Glück gilt er als Ikone und wird gerne von Clubs und Festivals gebucht. Wenn der Betrieb wieder los geht, sollte Motte wieder im Geschäft sein.
Loveparade 2002
Die Loveparade fand in Berlin von 1989 bis 2006 statt, ab Mitte der 1990er entwickelte sich aus der anfangs überschaubaren Szene eine gewaltige Großveranstaltung. Vom Brandenburger Tor bis zur Siegessäule tanzten mehr als eine Million Menschen. 1999 gilt als der absolute Höhepunkt des Megaraves. Doch auch hier im Jahre 2002, damals unter dem Motto „Access Peace“, kamen noch ungezählte Feierwillige. Zugleich regte sich in Berlin der Protest. Bürgerinitiativen beschwerten sich über den Müll, Krach und die Zerstörung des Tiergartens.
Als politische Demonstration kam die Loveparade irgendwann nicht mehr durch und musste als kommerzielle Veranstaltung durchgeführt werden.
Loveparade 2000
Ein wenig Wahnsinn gehörte schon immer zur Loveparade dazu. Aber ohne den fast messianischen Glauben an die weltverändernde Kraft des Techno hätte die Idee nicht solche Dimensionen angenommen. Dr. Motto wurde zu einer Art Rave-Guru und übersah das Projekt, rieb sich dafür auf, sprach wirr-charmante Reden und dachte sich die Motti aus. 2000 feierte man etwa zu dem Slogan: „One World One Loveparade“.
Ready to Ruck, 1998
In den 1990ern wurde Dr. Motte zunehmend bekannter, er galt als Promi, bekam den Bambi und den Kulturpreis der „B.Z.“, trat bei Talkshows auf und hielt auch sonst sein Gesicht gerne in die Kamera. Techno war ein noch relativ junges Phänomen und man sprach zurecht von einer kulturellen Revolution, die neben dem Mauerfall das Schicksal und die Entwicklung von Berlin stark prägte und den Charakter der Stadt für die Zukunft mitbestimmte. Dr. Motte war dafür zumindest mitverantwortlich.
Loveparade 1995
Der Spandauer Junge war nicht auf den Mund gefallen, er sprach, wie es ihm gefiel und sorgte schon mal für Kontroversen, etwa als er 1995 im „Tagesspiegel“ sagte: „Dies ist mein Aufruf an alle Juden der Welt, sie sollen doch mal eine neue Platte auflegen. Und nicht immer nur rumheulen.“
Auf der anderen Seite hat sich Dr. Motte schon früh für Charity-Projekte eingesetzt, Geld gesammelt und viel geholfen. In Berlin hat man eine feststehende Wendung für die Kombination aus grober Sprache und großem Mitgefühl: Schnauze mit Herz.
Loveparade 1992
Wie alles am Anfang noch ganz unschuldig war. Auf dem Ku’damm feierten 1992 fröhliche Menschen mit 15 Wagen. Aus Frankfurt kam der „Love Train“ mit der dortigen Technoszene angereist. Alles war noch überschaubar. Dr. Motte gründete in der Zeit ein Label, legte weltweit auf und konnte vermutlich nicht ahnen, wohin ihn Techno noch führen wird. Zum Beispiel, dass er 30 Jahre später dafür streiten wird, dass die elektronische Tanzmusik Weltkulturerbe bei der Unesco wird.
Dr. Motte’s Birthday Stream 2X30
Loveparade-Gründer Dr. Motte & Friends laden zum digitalen Geburtstags-Rave „Dr. Motte’s Birthday Stream 2X30“, am Sa 11.7.2020 ein. Alle Infos findet man auf der Facebook-Seite der „Gärten der Welt“ und dem YouTube-Kanal von Dr. Motte.
Clubs in Berlin öffnen wieder: Kater Blau startet endlich, Pizza im Suicide. Die geschlossenen Clubs treffen manche Communitys härter als andere. Drag-Queen Bambi Mercury etwa sagt: Die queere Szene ist akut bedroht. Wenn Schutzräume wie Blank und Schwuz die Krise nicht überleben, sei das ein massives Problem.
Generell leidet die Club-Kultur enorm. Schon längst ist der Supermarkt das neue Berghain,die vom Koks-Berge werden maximal beim Geheim-Raves wegkonsumiert. Wobei – nicht dass die am Ende so geheim sind, dass die Koks-Taxis den Weg nicht finden. Dass es auch andere Wege aus der Krise gibt, hofft man zum Beispiel beim Kater Blau – der Club hat einen neuen Sampler veröffentlicht. Berlin informiert regelmäßig über alle Entwicklungen in der Corona-Krise. Generell gibt es natürlich auch weiterhin die traditionellen Biergärten.