Interview

Die Places-Kalender porträtieren verschwundene Orte der Berliner Subkultur

Die Illustratorin Tine Fetz und Daniel Schneider, Mitarbeiter beim Archiv der Jugendkulturen, lassen in ihren Places-Kalendern verschwundene Orte der Berliner Sub- und Clubkultur wiederaufleben. Parallel zum fünften Kalender gibt es nun auch ein Buch. Wir haben mit den beiden über Nostalgie, vergessene Geschichten und Laura Palmer auf dem Teufelsberg gesprochen.

Places-Kalender: Auf Tine Fetz' Illustration der Abhörstation auf dem Teufelsberg ist Laura Palmer aus Twin Peaks versteckt. I
Places-Kalender: Auf Tine Fetz‘ Illustration der Abhörstation auf dem Teufelsberg ist Laura Palmer aus Twin Peaks versteckt. Illustration: Tine Fitz

Die Places-Kalender sind keine Nostalgie-Produkte

tipBerlin Eure Places-Kalender und nun das Buch zeigen Orte und Gebäude der Berliner Sub-und Clubkultur, die es entweder so nicht mehr gibt oder die ganz abgerissen wurden. Sind die Kalender und das Buch Nostalgieprodukte?

Daniel Schneider Vor allem der erste Kalender mit den verschwundenen Technoclubs aus den 1990er- und 2000er-Jahren spricht wahrscheinlich auch die Nostalgie der Leute an, die dort früher gefeiert haben. Vielleicht hat sich der Kalender deswegen auch gut verkauft. Aber es geht uns nicht darum, einen verklärten Blick auf die Clubs zu werfen, es war ja nicht immer alles toll. Clubs sind nicht frei von Sexismus und Rassismus und können für manche gefährliche Orte sein, was damals aber kaum reflektiert wurde. Da sind wir heute teilweise schon weiter mit Awareness-Teams bei Partys und offiziellen Policys die „No Racism“, „No Homophobia“ und so weiter beinhalten. Also es geht eher darum, die Geschichten der Orte zu erzählen und zu verstehen, warum wir heute dort sind, wo wir sind. Und natürlich geht’s auch darum, Zeichnungen von Tine von bestimmten Orten zu sehen.

Tine Fetz Ich fand schon immer, dass Subkultur das Interessanteste an dieser Stadt war und auch heute noch ist. In Berlin gibt es ja eigentlich, plakativ gesagt, eben wenig außer dunkle Geschichte und Subkultur. Und ich glaube, dass sich die Subkultur in Berlin irgendwie einen Weg bahnt und alles irgendwie weiter geht, auch wenn es schwieriger wird. Deswegen: Nein, das sind keine Nostalgie-Produkte.

Tine Fetz: „Manchmal musste ich raten“

tipBerlin Wie entstehen Zeichnungen von Orten, die es nicht mehr gibt?

Tine Fetz Manchmal ist es ganz einfach, da gibt es bei Google Bilder mit guten Perspektiven. Aber oft ist es auch ziemlich viel Gesuche in Archiven, in alten Bildbänden. Manchmal muss man sich das auch zusammenbasteln. Da sieht man bei Youtube eine Ecke vom Gebäude oder nur den Eingang und im nächsten Filmchen eine andere Ecke. Und manchmal wussten wir es auch einfach nicht. Beim Big Eden war das zum Beispiel total verrückt. Das ist im neuen Kalender. Da gibt’s einfach kein Bild, wo man mal das ganze Gebäude sieht. Das war ja ein Riesenclub, aber man sieht immer nur den Eingang, zum Teil in verschiedenen Jahrzehnten. Am Ende musste ich dann raten.

Daniel Schneider Jemand, der weiß, wie die Orte aussahen, könnte vielleicht sagen, dass das alles nicht authentisch ist. Aber das ist auch nicht unser Anspruch bei der Bebilderung. Zum Teil hat uns aber auch Google Street View geholfen. Die Aufnahmen sind ja von 2008 und da finden sich einige Orte, die es heute nicht mehr gibt. Zum Beispiel das Icon im Prenzlauer Berg, der Drum’n’Bass Club in der Cantianstraße.

Places-Kalender 2023: Rolf Eden eröffnete mit dem Big Eden 1967 auf dem Ku’Damm seine vierte Disco in West-Berlin, 2006 schloss das Big Eden. Illustration: Tine Fetz

tipBerlin Kam eigentlich auch die Idee, exotische Tiere oder Ähnliches in die Bilder einzubauen, daher, dass sie nicht ganz akkurat sind?

TF Also das Ufo über dem Ostgut musste da einfach hin, das hat einfach gepasst. Manchmal passen die Details aber auch thematisch. Beim Bild vom Teufelsberg habe ich Laura Palmer versteckt, weil ja zwischendurch mal David Lynch die Abhörstation kaufen wollte.

Daniel Schneider „Universität unbesiegbares Deutschland“ sollte das dann heißen, ganz abstrus.

Die Geschichte vieler Orte war bis zum Places-Kalender kaum dokumentiert

tipBerlin Hat sich dein Stil mit den Kalendern und Motiven verändert, Tine?

Tine Fetz Schwarz-weiß zeichne ich schon immer. Der erste Kalender ist noch ganz anders, da habe ich noch viel freier gezeichnet, alles ist ein bisschen rumpeliger und nicht so ganz gerade und exakt. Den Unterschied sieht man im Buch besonders deutlich.

tipBerlin Ihr sagt, manchmal war es schwer, an Bilder der Orte zu kommen. Wie war es mit Fakten, Infos, Geschichten?

Daniel Schneider Das war teilweise auch wirklich schwierig. Im neuen Kalender ist zum Beispiel das Café Nord an der Schönhauser Allee, ein Club in Ost-Berlin. 1993 hat das geschlossen. Aber bis ich überhaupt rausgefunden hatte, wann das geschlossen hat, musste ich ewig rumrecherchieren. Noch länger habe ich gebraucht, um herauszufinden, seit wann es das gab, nämlich schon mindestens seit 1908. Bei manchen Clubs ist kaum etwas dokumentiert, bei anderen wiederum sehr viel.  

Places-Kalender 2023: Den Klub der Republik in Prenzlauer Berg gab es von 2002 bis 2012. Illustration: Tine Fetz

tipBerlin Eigentlich krass, oder?

Daniel Schneider Ja, vor allem, wenn man bedenkt, was für eine kulturelle und soziale Relevanz solche Orte haben. Partys sind flüchtig, klar, und da ist es wahrscheinlich auch gut, dass wenig dokumentiert wird, aber die sind ja meistens in etwas Größeres, eben Orte, eingebettet. Da ist es eigentlich gut, zu wissen, was dort geschehen ist. Clubs sind ja nicht erst seit kurzem politische Orte. Im 19. Jahrhundert etwa hat sich dort die Arbeiterbewegung getroffen, dazu kommt die Rolle von Clubs als Schutzräume.

tipBerlin Habt ihr Lieblingsmotive?

Tine Fetz Das Teufelsberg-Bild vom Kalender 2020.

Daniel Schneider Meins ist wahrscheinlich das mit dem Bikini-Berlin, wo früher die Tanzarena Linientreu war.

  • Places – Vergangene Orte der Berliner Club- und Subkultur von Tine Fetz und Daniel Schneider, Ventil Verlag, 120 Seiten; 20 €; Kalender erhältlich hier

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Besonders berühmt in Berlin sind einige verschwundene Technoclubs. Hier stellen wir ein paar der besten Technoclubs der 1990er-Jahre in Berlin vor. Einige Orte in den Kalendern befinden sich im ehemaligen West-Berlin. Auch wir haben ein paar legendäre Bars und Clubs im alten West-Berlin zusammengetragen, die nicht mehr existieren. Auch manche Wahrzeichen sind mittlerweile Geschichte: Legendäre Berliner Gebäude, die nicht mehr existieren. Auch oft glanzvolle Orte: Kinos. An verschwundene Kinos erinnern wir uns hier. Einen wichtigen Teil von Berlins Anziehungskraft machen die Clubs aus. Immer neue Geschichten zu Berlins Clublandschaft gibt es hier.

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