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Queere Clubkultur in Berlin: Welche Bedeutung hat sie heute noch für die Community?

Die Berliner Clubkultur war von Beginn an queer geprägt. Längst sind die Codes jedoch im Mainstream angekommen, der Techno als kommerzialisiert verschrien. Welche Bedeutung hat die queere Clubkultur heute noch für die Emanzipation?  


Mitties, Ossis und Schwule. In diese drei Gruppen teilte der Autor Tobias Rapp einst die feiernde Subkultur ein. Letztere seien seit jeher am beliebtesten gewesen – weil sie einfach am besten feiern. Die besten Drogen, am meisten Sex. Stimmt das, feiern homosexuelle Männer besser? Boris Dolinski lacht, ganz so will er das nicht ausdrücken. „Aber das seltsame Flirten, das zwischen Heterosexuellen läuft, ist nicht so da“, findet er. 

Eine Berliner Legende: Der DJ Boris beim Auflegen. Foto: Circle Booking

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Dolinski, bekannt als Boris, ist DJ und war von Beginn an dabei, in der Berliner Feierszene. Geboren wurde er 1968 in Neukölln, mit 15 Jahren begann er in den Westberliner Clubs auszugehen. „Schon in den 80ern war Berlin musikalisch unheimlich interessant, hier ist viel los gewesen“, erinnert sich Boris. „Punk, Wave, Disco, Reggae, Rock, alles Mögliche wurde hier gespielt.“ Mit dem Auflegen begann Boris erst Anfang der Neunziger. Die Szene sei damals jedoch deutlich kleiner und übersichtlicher gewesen als heute, vor allem aber waren es schwule Männer, die „den Techno“ prägten. Denn Westberlin hatte damals einen Sonderstatus: Wer hier wohnte, wurde vom Wehrdienst entbunden. „Deshalb hatte man hier immer einen hohen Anteil an homosexuellen Männern“, erklärt Boris. „Das hat natürlich die Entstehung von Subkultur begünstigt.“

Jene Subkulturen, die sich rund um die elektronische Musik sammelten, verstanden sich seit jeher als progressiv. Techno und House entwickelten sich in überwiegend schwarzen Communities in Detroit, als Antwort auf die weiße, ausbeuterische Kulturindustrie. Dieses Verständnis setzte sich fort: Im New York der Siebziger und Achtziger Jahren wurde die Disco-, House- und Technomusik zu einem Symbol queerer Emanzipation. Schon damals ging es um mehr als ein hedonistisches Tanzerlebnis: Die Szene drumherum wurde zu einem wichtigen Schutzraum für marginalisierte Menschen. In den Neunzigern florierte der Techno schließlich in den anarchistischen Zuständen der Nachwendejahre, als sich zahlreiche Clubs in den Leerstand Berlins einnisteten. Die bekanntesten Berliner Clubs: Von Beginn an in schwuler Hand.

Queere Clubkultur: Feiern Schwule besser? Besonders gut tanzt es sich jedenfalls zu einem Set von Boris. Foto: Circle Booking

So hielt sich auch die DJ Kerstin Egert, bekannt als Tama Sumo, seit jeher eher in schwulen Kontexten auf. Anfang der Neunziger zog Egert nach Berlin und begann, in der Bar „Drama“ aufzulegen. Kurz darauf kam der Tresor dazu, mittlerweile tourt sie als DJ um die Welt, veranstaltet gemeinsam mit ihrer Frau, DJ Lakuti, die Partyreihe „Your Love“ in der Panoramabar. Obwohl Egert selbst lesbisch ist, hat sie sich musikalisch eher in der schwulen Community wiedergefunden. „Die Mädels waren damals noch gar nicht auf den Techno- und Housezug aufgesprungen“, schmunzelt sie. Tatsächlich lagen die meisten Clubs und Partys mehrheitlich in der Hand (schwuler) Männer – was auch mit der benachteiligten finanziellen Situation von Frauen zusammenhängen dürfte. 

Queere Clubkultur in Berlin: Die DJ Kerstin Egert, aka. Tama Sumo. Foto: Sven Marquardt

Von Gayness zu Queerness: Der Queer Turn“ im Nachtleben 

Lesbisch, schwul, bi – lange waren das die gängigen Kategorien, in denen man seine sexuelle Orientierung einsortierte. In den letzten Jahren begann sich jedoch eine Veränderung in den Begrifflichkeiten durchzusetzen. Ein neuer Begriff machte sich breit: Queerness. Ein Sammelbegriff für alles, das nicht der cis-heteronormativen Tradition entsprach. Nicht mehr nur Heteros, Schwule und Lesben, sondern auch Menschen außerhalb des binären Geschlechtersystems sollen mitgedacht, Sexualität und Identität als etwas Fluides wahrgenommen werden.

Mit dieser Öffnung gingen auch eine Sensibilisierung und neue Bedürfnisse einher: Ging es lange Zeit primär darum, Räume zu schaffen, die möglichst frei sind, in denen sich möglichst losgelöst von (bürgerlichen) Zwängen bewegt werden kann, wird es zunehmend wichtiger, Partys möglichst sicher zu gestalten.

Vom Schwulen-Mekka zur Institution der queeren Clubkultur: Das SchwuZ in Neukölln. Foto: Luka Godec

„Man kann darin einen Generationenkonflikt sehen“, erklärt Xan Egger, Mitglied des queeren interdisziplinären Kunstkollektivs „( ) s-p-a-c-e“. Die schwulen Aktivisten der ersten Stunde mit ihren „Freiräumen“ auf der einen Seite, die queeren Millennials mit ihren „Safer Spaces“ (Schutzräumen) auf der anderen. Vielleicht, so Egger, sei der Diskurs gerade auf einem Zwischenstand. Denn „Femme-to-the-front”-Partys, auf denen vor allem Frauen und nicht-binäre Menschen auflegen, seien zwar wichtig, um ein Ungleichgewicht auszugleichen. „Sie schaffen aber auch neue Hierarchien und Ausschlüsse.“ Derartige Widersprüche müsse man jedoch aushalten, findet Egger.

Queere Clubkultur in Berlin: Queerness im Überangebot

Eine dieser jüngeren Queer-Partys ist die Veranstaltungsreihe „BRENN.“ Nikki Germeys, selbst queer und nicht-binär, hat die Party 2017 gemeinsam mit Lewamm Ghebremariam gegründet, seit diesem Jahr ist Germeys allein dafür verantwortlich. Das Motto: Revival der Housemusik – aber in queer! „Unsere Musik geht zurück zu den Wurzeln des 90er Jahre Detroit und Chicago House und soll gleichzeitig ein Safer Space für queere BIPOC und „Allies“ sein.“ So ist etwa das Personal, das Booking und die Tür mit queeren und/oder nicht-weißen Menschen besetzt, jede Veranstaltung hat ein Awarenessteam.

Fragt man Germeys nach den Schwierigkeiten, denen man beim Veranstalten einer dezidiert queeren Party begegnet, ist es vor allem das Communitybuilding, das Germeys als Hürde sieht. „Es ist nicht leicht, die Leute dazu zubringen, überhaupt zu kommen“, erzählt Germeys. Das liege vor allem an dem Überangebot in Berlin. Teilweise konkurriere „BRENN“ mit drei, vier anderen queeren Partys an einem Wochenende. Um dem entgegenzuwirken, hat sich die Szene intern vernetzt. Mit circa 30 anderen Veranstalter:innen, wie etwa von der „Buttons“, ist das Kollektiv in einer Gruppe organisiert, in der man versucht, die Wochenenden untereinander aufzuteilen. 

Queerness als Verkaufargument?

Ein Blick in die Veranstaltungsplattform Resident Advisor bestätigt: Es gibt längst unzählige dezidiert queere Partys in Berlin. Eine Entwicklung, die nicht nur bei den Veranstaltenden Kritik nach sich zieht. Queerness würde zum Verkaufsargument, queere Codes als Fashionstatement missbraucht, heißt es etwa in Szenemedien. „Tatsächlich ist Queerness fast zu einem Trendfaktor geworden“, meint Boris. Dass die Line-ups mittlerweile so divers seien, sei aber nur fair, findet er und bemüht einen Pendel-Vergleich: „Lange war DJ-Kultur sehr weiß und männlich dominiert. Jetzt schwingt das Pendel zurück, geht vielleicht ins andere Extrem“, erklärt er. „Aber viele wurden über Jahre unterrepräsentiert. Warum sollen sie jetzt nicht auch mal überrepräsentiert sein? Irgendwann pendelt es sich dann ein.“

Herunterbrechen ließe es sich wohl auf die folgenden Episoden: Clubkultur war von Beginn an queer geprägt, auch, wenn damals andere Begrifflichkeiten üblich waren. Dann jedoch gewann der Techno an Bekanntheit und Prestige – weiße, heterosexuelle Männer übernahmen die Szene. Nun, rund zwanzig Jahre nach dem Ende der berüchtigten Neunziger, ist eine junge, politisierte und digital vernetzte Generation Raver nachgewachsen. Szeneinterne Diskurse und Kritik werden digital breit ausgetragen, Begriffe wie Awareness, Diversität und Allyship („Verbündetenschaft“) sind Usus. Selbst die schwule Institution Berghain buchte in diesem Jahr zum Frauentag am 8. März erstmals ein rein weibliches Line-up. Repräsentation gilt als hohes Gut im Berliner Nachtleben 2023. 

Queere Clubkultur: Ekstase und Exzess

Eine begrüßenswerte Entwicklung? Tama Sumo aka. Kerstin Egert warnt: „Wir müssen aufpassen, dass wir den Begriff Diversity nicht nur kosmetisch nutzen.“ Diversere Line-ups allein würden nicht reichen. „Es muss der ganze Kontext passen. Wenn ich erwarte, dass sich die DJs einem europäischen Entwurf von House und Techno anpassen, ist nichts gewonnen. Sondern es geht auch darum, dass wir Hörgewohnheiten verändern, neugieriger werden, was Sounds betrifft. Da sind wir sicherlich noch sehr am Anfang.“ Egert zufolge, sei zwar ein Stein ins Rollen gekommen. „Der kann aber gut und gerne noch weiterrollen.“ 

Auf dem Floor im RSO sind jene Fragen an diesem Sonntag wohl zweitrangig. Hier wird gefeiert, nach allen Regeln der Kunst. Und die Ekstase und der Exzess auf dem Floor will vielleicht auch gar nicht intellektuell erklärt werden. Wenn man sich so umschaut, kann man nur denken: Queer ist sie definitiv, die Clubkultur. Da kann wirklich niemand etwas anderes behaupten.


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