Jackie Asadolahzadeh ist seit mehr als zwei Jahrzehnten Kolumnistin beim tip. Sie hat in fast jedem Berliner Club getanzt, Partys geleitet, an der Tür im Bunker gestanden. Und findet, dass in Dokumentationen über Clubkultur und Techno in den 90er-Jahren viel beschönigt wird und es in Clubs heute fairer zugeht.
Jackie A.: Es ging um ein bisschen Gerechtigkeit
Ich hatte neulich ein lustiges Telefonat mit Mo Loschelder. Die Künstlerin betrieb Mitte der Neunziger Jahre den winzigen aber einprägsamen „Elektro“ Club, arbeitete im wichtigsten Plattenladen zu jener Zeit, einer ziemlichen Macker-Domäne für DJs, dem Hard Wax, betrieb ein Plattenlabel mit Freunden und hat bis heute eine Künstleragentur. Regelmäßig geht sie mit Freundin und Veranstalterinnen-Legende Monika Döring ins Berghain, um dort für ein paar Stunden zu tanzen.
Mo kannte ich noch aus der Monumentenstraße. Sie traf sich ein paar Mal mit meiner damaligen Chefin, der Musikerin Gudrun Gut. Gudrun betrieb hier im Erdgeschoss eines Altbaus das erste Label für elektronische Musik von Künstlerinnen, Monika Enterprise. Und Gudrun hatte mich quasi aus dem Tresor von der Tanzfläche weg in ihr Office bei Monika Enterprise integriert. Als ich die Fanpost sortierte, wurde mir klar, dass meine Chefin eine Art Berühmtheit war, wegen ihres Vorlebens bei der Punkband Malaria.
Sie hat einen speziellen Humor und ich kann mich an ihren Gesichtsausdruck erinnern, als ich sie, neu beim Label, erstmal überreden wollte, dieses doch auch für Männer zu öffnen. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich verstand, worum es hier ging: um Netzwerke, Bookings, Akzeptanz und Gagen, wie die männlichen Kollegen sie hatten – kurz: um Gerechtigkeit.
Techno in den 90ern: Weibliche Acts gab es nur wenige
Weibliche DJs oder Live-Acts mit elektronischer Musik gab es bis dahin nur wenige. Dass in den frühen Dokumentationen über jene Zeit vor allem Männer zu Wort kamen, passt ins Bild, und hat sicher mit dem über Generationen manifestierten konservativen Rollenmodel zu tun, das man in der progressiven Clubkultur nicht auf den ersten Blick vermuten würde.
So war es kein Widerspruch, dass in einer revolutionären Situation direkt nach dem Mauerfall, in der Regeln und Lebensmodelle auf den Kopf gestellt wurden, zur gleichen Zeit in Backstages und an DJ Pulten altbekannte Herabsetzungen, Anzüglichkeiten und Flachwitze auf Kosten weiblicher Gäste oder Kolleginnen stattfinden konnten. Darauf folgte selten Entrüstung, denn ein Bewusstsein für überholte Rollenmuster und tiefsitzende Verhaltensstrukturen gingen der frühen Raving-Society an vielen Stellen noch ab.
Zeitgleich gab es in der Clubkulturlandschaft starke Role Models wie die Performance-Künstlerin Rose Zone Rosalind Bee, die das Publikum beim Konzert von „The Orb“ mit outstanding Performances im Spinnenkostüm beeindruckte, oder die Künstlerin Danielle de Picciotto, Mitbegründerin der Loveparade, über deren Bedeutung wir vor kurzem im tip schrieben.
Und wo wir grad bei der Loveparade sind, sollte auch Miriam Scheffler zu Wort kommen. Sie fand an einem Abend im Mai ’89 im „Weird“ Club in der Hasenheide, als DJ Kid Paul auflegte, dass man eine Tanz-Party über den Ku’Damm hinweg veranstalten müsste. Sie habe das in einer Runde mit Freunden gesagt, darunter auch Dr. Motte, erzählt sie im Gespräch. Eine gute Idee hat eben oft mehrere Mütter und mindestens einen Vater, der sich damit schmückt.
Zwei Größen der frühen Szene: Regina Baer und Miriam Scheffler
Die glasklare Miriam – das Härteste, was sie sich einpfiff, waren Koffeintabletten – arbeitete, bevor sie es bis zur Stadträtin brachte, beim Sozialamt. Und als die Clubkultur so richtig Fahrt aufzunehmen begann, bekam sie einen Sohn und war schon wieder raus aus der Szene. Zuvor kümmerte sie sich um die Anmeldung für die erste Loveparade 1989, besprach die Details mit der Polizei, schneiderte Armbinden aus Bettlaken, die für die 30 angemeldeten Ordner Pflicht waren.
Miriam erzählt, dass sie keinen Techno mochte, der Musikstil auf der ersten Love-Parade noch nicht einmal stattfand. Das Motto: „Friede, Freude, Eierkuchen“ stammte laut Miriam auch nicht von Doktor Motte, sondern kam von der gemeinsamen Freundin Karin. „Wir waren sechs, sieben Leute“ erzählt sie, „die kreativen Input, Zeit und Arbeit einbrachten.“ Und auch wenn heute kaum jemand aus der Clique mehr Wert darauf zu legen scheint, erwähnt zu werden, würde das dem Bild der damals familiären, sich unterstützenden Szene, gut tun.
Dazu gehört auch die kürzlich verstorbene Regina Baer. Sie war Mitgründerin und Geschäftsführerin des Tresor. Ich kannte sie nicht persönlich, erinnere mich aber noch gut an ihre Erscheinung: groß, dunkle Haare, Leo-Print-Mantel, knallrote Lippen – ein Style, wie aus einem Tarantino-Streifen. „Regina konnte kompliziertes Gequatsche in einem Satz auf den Punkt bringen. Sie hatte Rückgrat, sie war in den ganzen Jahren eine ständige Inspiration“, zitierte die Groove ihren Geschäftspartner Dimitri Hegemann in einem Nachruf.
Clubkultur heute ist diverser und sensibler als in den 90ern
Ohne Regina Baer wäre der Tresor nicht denkbar gewesen und dass Baer, Mutter zweier Kinder und Clubkulturschaffende der ersten Stunde, posthum von DJ Mag bis Groove mit Nachrufen bedacht wurde, ist nur angemessen. Die breite Öffentlichkeit aber wird weiterhin Dimitri Hegemann als Tresor-Macher wahrnehmen.
Wer Clubkultur 2022 erlebt im About Blank, Festsaal Kreuzberg, Zenner oder Mensch Meier, der findet eine Generation mit ausgeprägter Sensibilität für Geschlechtergerechtigkeit und Diversitäten vor. Daran haben seit Jahrzehnten Frauen wie Gudrun und Mo sowie DJ-Kolleginnen wie Acid Maria und Electric Indigo gearbeitet. Die beiden haben schon 1998 das internationale feministische Netzwerk female: pressure gegründet, um weibliche Künstlerinnen zu vermitteln, sich auszutauschen und zu unterstützen.
Ein Jahr zuvor versammelte Vicki Schmatolla vom WTF-Club in der Holzmarktstraße Künstlerinnen im Verbund „G Point“, aus dem heraus die erste deutschlandweite Clubtour mit ausschließlich weiblichem Line-Up entstand. Den Durchbruch brachten am Ende wohl Fördermittel für Festivals und Club-Residencies vom Musicboard Berlin, für die eine Frauenquote von 50 Prozent Voraussetzung ist. Mo berichtet, dass nach der Pandemie 90 Prozent ihrer vermittelten DJs und Acts weiblich sind. Ich muss nochmal nachfragen, als sie die Zahl nennt: „…90 Prozent? Dass wir das noch erleben dürfen!“
Die 90er waren für viele von Ekstase und Exzess geprägt. Tilman Brembs hat jedes Wochenende in Berliner Clubs fotografiert und sagt: „Wir haben gar nicht damit gerechnet, 50 zu werden.“ Die meisten Clubs der 90er gibt es heute nicht mehr. Ein Grund mehr, sie vorzustellen: Diese Clubs im Techno-Berlin der 90er prägten die Hauptstadt besonders. Ungefähr genauso wichtig waren die 80er. Wir präsentieren 12 legendäre West-Berliner Clubs und Bars, die nicht mehr existieren. Die Clublandschaft entwickelt sich ständig. Immer neue Geschichten zur Berliner Clubkultur gibt es hier.