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Interview

Tilman Brembs über 90er-Raves: „Wir haben gar nicht damit gerechnet, 50 zu werden“

Tilman Brembs war Hausfotograf der Frontpage, dem einflussreichsten Magazin zur Technokultur in den legendären 90er-Jahren. Er hat etwa 60 Schuhkartons voll mit Bildern von Raver:innen, die im alten Tresor, im E-Werk, auf der Love Parade feiern, mit Pupillen, die die Iris nur noch erahnen lassen – und anscheinend unbändiger Energie. Immer wieder lädt er Bilder aus seinem Archiv auf seinem Instagram-Account zeitmaschine.analog.rave hoch. Wir haben zusammen mit ihm Bilder angeguckt – und über damals nicht vorhandene Zukunftsängste, den alten Tresor und Camouflage-Bademäntel gesprochen. 

Tilman Brembs: Die Love Parade im Jahr 1997.
Die Love Parade im Jahr 1997. Foto: Tilman Brembs

Tilman Brembs war Hausmeister im Tresor, bevor er Fotograf wurde

tipBerlin Tilman, deine Bilder zeigen Menschen in extremen Zuständen. Hast du viel Zeit mit ihnen verbracht, um solche Bilder zu machen? 

Tilman Brembs Ja, das ist das Besondere an meinen Bildern. Meistens war ich mit den Leuten befreundet. Wir haben zusammen vorgeglüht, sind losgegangen in den Club, ich hab Bilder gemacht, wir haben gefeiert, ich hab Bilder gemacht, wir haben gefeiert. Ich hab da keine Pflichtfotos gemacht und bin in den nächsten Club gegangen. Das hat sich nicht wie Arbeit angefühlt. Deswegen haben auch die meisten Leute auf den Fotos Augenkontakt mit mir. 

Rave auf der Insel der Jugend, 1991. Foto: Tilman Brembs

tipBerlin Wo warst du das erste Mal zu Techno feiern? 

Tilman Brembs Das erste Mal im Tresor, zumindest zu dem Techno, wie man ihn heute kennt. Elektronische Musik, Acid House, das UFO gab es ja schon vorher. Aber den Tunnel, das was einen so packt, wo einem egal ist, wie man aussieht auf der Tanzfläche, dieses Ding habe ich erst im Tresor erlebt. Eine zeitlang war ich da auch mal der Hausmeister, der gute Geist sozusagen für zwei Jahre, habe auch mal hinter der Bar gearbeitet. Ohne fließend Wasser, ohne alles, das war schon ziemlich extrem. 

Raver vor dem alten Tresor, 1997. Foto: Tilman Brembs

tipBerlin Woher wusstest du, dass es den Club gibt? Der war ja anfangs schon eher Underground…

Tilman Brembs Ja, das war früher das Besondere am Tresor. Wir waren im Westen unterwegs, in der Nürnberger Straße, ChaCha, Dschungel und so weiter. Irgendwann hat uns einer gesagt, dass es einen neuen Laden am Potsdamer Platz gibt. Mitten im Nowhere-Land. Irgendwann standen mein Freund Helge und ich an der Bar und dachten uns, naja, so geil isses hier jetzt nicht. Und dann kam so ein total verschwitzter Typ an und fragte, ob wir schon unten waren. Wir: ne, was ist denn unten? Unten ist doch die Party, hat er geantwortet. Da gings dann richtig ab. Acht Stunden am Stück waren wir dann da, und dann wieder zurück ins ChaCha, haben unseren Freunden erzählt, dass wir da was entdeckt haben. Nach und nach kamen die dann auch alle in den Tresor. 

An der Bar im Alten Tresor, Tilman selbst. Foto: Tilman Brembs

tipBerlin Was bedeuten dir deine Bilder? 

Tilman Brembs Ein Bild ist ein Stück Leben. Das ist ein Beweis für einen Moment für die, die drauf sind, aber auch für denjenigen, der es gemacht hat. Viele vergessen diese Person im Rückblick. Aber du siehst ja total crazy Situationen, Leute außer Rand und Band. Und die Person, die das Bild gemacht hat, muss ja mindestens genau so auf dem Vibe mitgeschwommen sein, um dieses Bild machen zu können. Es gibt immer eine gemeinsame Ebene. 

Tilman Brembs: Raver im Jahr 1996.
Raver im Jahr 1996. Foto: Tilman Brembs

tipBerlin Hast du die Leute gefragt, bevor du Fotos gemacht hast? 

Tilman Brembs Ich habe nie gefragt. Die Leute hatten auch kein Problem damit, weil es keine sozialen Netzwerke gab, wo die Fotos hätten landen können. Außerdem hatte ich eine Art Ehrenkodex: Ich hab nie kompromittierende Bilder von Leuten gemacht, beim Drogen nehmen oder so. Das wussten die Leute und dementsprechend haben sie sich mir gegenüber offen verhalten. Aber: früher gab es auch weniger den Sex-Faktor. Da hatten waren die Leute nicht so nackt und hatten eher weniger Fetisch-Sachen an. Das Ding war nur: Viele wollten dann im Gegenzug ein Foto von mir machen. 2005 habe ich dann eine Kiste mit hunderten von Fotos gefunden, wo nur ich drauf bin. 

Mehrere Kameras auf Partys verloren

tipBerlin Hattest du keine Angst, die Kamera aus der Hand zu geben? 

Tilman Brembs Nein. Eigentlich habe ich selbst auch gar nicht so gut darauf aufgepasst. Ich habe mehrere Kameras verloren, manchmal ist auch was kaputt gegangen. Ich hatte aber auch keine teure Spiegelreflex-Kamera. Das war eine kleine Point-and-Shoot-Kamera, die automatisch fokussiert hat. Das sah eigentlich total unprofessionell aus, aber die hat gute Bilder gemacht. 

Tilman Brembs: Die Love Parade im Jahr 1993.
Die Love Parade im Jahr 1993. Foto: Tilman Brembs

tipBerlin Wie reagieren die Leute heute, wenn sie sich auf deiner Instagram-Seite entdecken? 

Tilman Brembs Die freuen sich. Oft weiß ich auch gar nicht den Namen der Leute und die entdecken sich dann und sagen, wer da noch drauf ist. Für mich ist das auch weniger Kunst, als etwas Dokumentarisches. Ich bin ein Chronist, ich habe diese Zeit, in der wir alle Spaß hatten, abgebildet. 

„Wir sind auf dem Weg zur Party über Kartons und Pfützen gestiegen“

tipBerlin Hat man früher anders gefeiert als heute? 

Tilman Brembs Wir haben uns mehr treiben lassen übers Wochenende, wir hatten weniger ein Programm. Heute weiß man genau, in welchem Club was geht, welchen Slot man nutzen muss. Das war früher nicht so. Da war ja alles noch ganz neu, man ist in irgendeinen Keller gegangen, über Kartons und Pfützen. Du wusstest nicht, was dich erwartet, weil alles ganz frisch am Entstehen war. Ich finds aber genau so gut wie es heute ist. Ich bin keiner, der sagt “Früher war alles besser” und ich will auch nicht, dass die Leute mein Projekt benutzen um das zu sagen. Das war einfach eine andere Zeit. Wir haben das Fundament gebaut, die Büsche rausgerissen, die Steine zur Seite geräumt. Heute stehen überall Tempel. 

Vor dem SEZ. Foto: Tilman Brembs

„Wir haben gar nicht damit gerechnet, 50 zu werden“

tipBerlin Also ist es eigentlich heute besser? 

Tilman Brembs Nicht unbedingt. Wir haben uns keine Gedanken gemacht über die Zukunft, alles war irgendwie egal. Klar hatte das auch mit unserem Alter zu tun, wir waren Anfang 20, und haben gelebt nach dem Motto “no risk, no fun”. Wir haben gar nicht damit gerechnet, 50 zu werden. Wie Maulwürfe, die gar nicht wussten, wo sie rauskommen, aber Hauptsache Erde unter den Schaufeln. Sparen, für die Zukunft vorsorgen, sowas kannten wir nicht. Aber die Gesellschaft war auch anders aufgestellt, Existenzangst war nicht so weit verbreitet, es wurde nicht so sehr erwartet, dass alle immer etwas leisten. Die Mieten waren niedrig und wenn du vom Amt Geld bekommen hast, hattest du lange nicht so viele Auflagen wie heute. 

Am E-Werk. Foto: Tilman Brembs

„Wenn ich feier, dann feier ich, dann fliegt die Kuh“

tipBerlin Hattest du immer ein bestimmtes Outfit an? 

Tilman Brembs Ja, am Anfang habe ich immer orange getragen. Ich hatte sogar eine leuchtend orangene BSR-Latzhose. Danach bin ich auf Camou gekommen, hab nur noch so Tarn-Sachen getragen. Ich hatte dann irgendwann sogar ein Label, womit ich Camouflage-Bettwäsche gemacht habe, Bademäntel, viele verschiedene Muster. Aber letztlich konntest du früher zum Raven alles tragen. Wir hatten die billigsten Turnschuhe von Woolworth und haben die dann mit Edding auf der Afterhour bemalt. 

tipBerlin Gehst du heute noch in Clubs? 

Tilman Brembs Wenn ich feier, dann feier ich, dann fliegt die Kuh. Aber eigentlich habe ichs so ein bisschen hinter mir. Jeder der älter wird, wird irgendwann sehen, dass es nicht mehr so geht wie früher. Aber: Die besten Partys habe ich schon erlebt. Und inzwischen sehe ich, dass der Club immer nur so gut ist wie die Leute, mit denen man dort ist. 

  • Mehr von Fotos aus den 90ern von Tilman Brembs hier

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