R’n’B, HipHop & Poetry Slam

Der Hoffnung entgegen: Jamila Woods spielt im Frannz Club

Mit ihrem neuen Album nimmt die Chicagoer Künstlerin und Aktivistin Jamila Woods ihre Zuhörer mit auf einen Ritt durch die afroamerikanische Kulturgeschichte. Und hat damit ganz nebenbei eines der besten Alben des Jahres aufgenommen

„Jeder Song ist ein Selbstporträt, aber aus verschiedenen Perspektiven“: Jamila Woods tauchte ein in die Leben ihrer Vorbilder. Foto: Bradley Murray

Nikki Giovanni, Sun Ra, Eartha Kitt, Muddy Waters und Jean-Michel Basquiat – wie Heilige ruft Jamila Woods diese Künstler*innen auf ihrem aktuellen Album „Legacy! Legacy!“ an. Legacy, das lässt sich mit Vermächtnis übersetzen, und darum geht es der Chicagoer Künstlerin: Auf 13 Tracks, jeder benannt nach einer künstlerischen Ikone der afroamerikanischen oder Latinx-Community, huldigt sie auf ihre ganz eigene Art ihren Vorbildern. Mit Songs, die sich irgendwo zwischen R’n’B, HipHop und Poetry Slam bewegen und alle ihren ganz eigenen Charakter haben.

Es bleibt natürlich nicht nur bei den Namen: Jamila Woods taucht ein in die Geschichten und die Lebenswelten ihrer Vorbilder, verwebt Vergangenheit, Gegenwart und ihr eigenes Leben mit den Narrativen ihrer Protagonist*innen. „Jeder Song ist wie ein Selbstportrait“, erzählt sie beim Skype-Gespräch, „aber aus der Perspektive dieser verschiedenen Menschen. Es geht darum, was ich von ihnen gelernt habe. Ich wollte verschiedene Teile meiner selbst erkunden.”

Klingt nach Nabelschau, ist es aber nicht. Woods verbindet in ihrer Arbeit das Private immer mit dem Politischen, jeder Track ist eine Beschwörung ihre eigenen Geister – und gleichzeitig auch eine Auseinandersetzung mit ganz gegenwärtigen Problemen. Und die kennt sie gut.

Die 29-jährige Woods ist aufgewachsen in der berüchtigten Southside von Chicago, wenn auch in einer der wenigen schwarzen Familien in einer kleinen weißen Enklave. Dieses Gefühl, überall ein Außenseiter zu sein, hat die Künstlerin dazu angespornt, ihre eigenen Ausdrucksformen zu entwickeln. Ihre Karriere begann sie auch nicht in der Musik, sondern als Poetin und Aktivistin – auch wenn sie diesen Begriff nicht gerne hört. „Für mich sind Aktivist*innen Personen, die sich physisch einsetzen für eine Sache – ich bin Community Organizer.“ Sie engagiert sich in der Organisation Young Chicago Authors, wo sie bis vor kurzem das künstlerische Programm betreute und immer noch Schreibkurse für Jugendliche aus benachteiligten Milieus anbietet. „Ich habe das Gefühl, ich könnte nie nur eine Sache machen“, sagt sie lachend. So ist auch ihre Kunst nicht einfach einem Genre zuzuordnen – und trotzdem oder gerade deswegen schafft sie es, Musik- und Literaturfans aller Sparten hinter sich zu vereinen.

Gedichte und Texte sind für sie mehr als nur eine Ausdrucksform. Das Schreiben, insbesondere auch von Poesie, ist ein politischer Akt. Und so ist auch „Legacy! Legacy!“ zu verstehen: Es ist ein zutiefst politisches Album, auf dem sie sich nicht nur in Sun Ra oder Muddy Waters einfühlt, sondern auch in die Lebenswelten von Künstler*innen (und meistens sind es eben leider Frauen*), die von der Geschichtsschreibung eher vergessen wurden. Eine davon ist zum Beispiel die Sängerin Betty Davis, die kurz mit Miles Davis verheiratet war, aber seine Musik für den Rest seines Lebens beeinflusste. Im Song „Betty“ setzt sich Woods mit weiblicher Selbstbestimmung auseinander – und wie diese als Gefahr wahrgenommen wird. In zwei Versionen rahmt er das Album ein, das dann in einem tanzbaren Rave, einer lustvollen, Chicago-House-inspirierten Nummer endet.

„Ich wollte den Künstler*innen, die mich beeinflussten, meinen Respekt erweisen“, erklärt sie, „ein bisschen so wie die Tradition des Samplings im HipHop – oder auch in der Dichtung, wo man zeigt, in welcher künstlerischen Tradition man sich verortet.“ Ihr erstes Album „Heavn“ hatte sie zuerst als eine Art Mixtape nur im Internet veröffentlicht. Als es dann 2016 offiziell herauskam, musste sie erst noch die Rechte für die vielen Samples klären: „In der Musik ist man wesentlich rechenschaftspflichtiger, wenn man sich etwas ausleiht – in Gedichten ist das anders, man schreibt einfach eine Fußnote.“

Noch einmal wollte sie sich diesen juristischen Aufwand aber nicht aufhalsen. Ein anderer Weg musste her – und so fing sie an, Cover aufzunehmen, angefangen mit Nikki Giovannis Gedicht „Ego Trippin‘“. „Mein Produzent hat mir dann noch ein paar Beats geschickt und bei einigen musste ich sofort an bestimmte Künstler*innen denken, besonders Miles Davis und Muddy Waters.” Und so wurden aus Schreibexperimenten ein paar Lieder, aus ein paar Liedern eine EP, aus der EP dann plötzlich doch ein ganzes Album.

Ihre Kunst ist geboren aus Schmerz

Ein Album, dass auch vor Hoffnung strotzt. Und vor Stärke. „Menschen, die mich inspirieren – die Personen, die ich auf dem Album nenne, aber auch Menschen um mich herum – zeigen alle eine gewisse Widerstandsfähigkeit“, sagt Woods. „Die schlechten, negativen Dinge, die auf der Welt passieren, sie sind alle nicht neu. Dass ich überhaupt hier bin, bedeutet, dass meine Vorfahren irgendwie überlebt haben, damit ich an diesem Punkt stehen kann.“ Verschleppung, Sklaverei, Unterdrückung, Diskriminierung – man kann weder Woods noch ihre Vorbilder verstehen, ohne sich bewusst zu machen, dass ihre Musik, ihre Texte, ihr Aktivismus auch aus Schmerz und dem unbedingten Willen zum Überleben geboren sind. Die Vergangenheit ist auch immer Gegenwart – gerade in Chicago, einer Stadt, wo sich die strukturelle Diskriminierung schwarzer Amerikaner*innen bis heute fortsetzt.

Nicht nur durch ihr Ehrenamt ist sie tief verwurzelt in der Stadt und in der Community. „Wenn ich über die Harlem Renaissance lese, fasziniert es mich immer wieder, dass sich damals alle kannten und zum Beispiel in der gleichen Schreibgruppe aktiv waren. Deswegen versuche ich auch darauf zu achten, was in der Chicagoer Szene passiert“, sagt sie. Welche Rapper hatten ihren ersten Auftritt bei der gleichen Open-Mic-Nacht? Wer hat bei der gleichen Person gelernt? Und Woods ist mittendrin in dieser Szene: Sie arbeitete beispielsweise schon mit Chance the Rapper und hat einen festen Kreis an Produzent*innen und anderen Künstler*innen, die sich gegenseitig unterstützen, immer wieder miteinander kollaborieren – und so ihr eigenes Vermächtnis schaffen. Mit der geballten Kraft der Vorfahren im Rücken und der Zukunft zugewandt.

Frannz Club Schönhauser Allee 36, Prenzlauer Berg, Mi 30.10., 20 Uhr, VVK 18,30 € zzgl. Gebühren

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