Dass die Fusion ein Ort des grenzenlosen Hedonismus ist, dürfte einigen bekannt sein. Jährlich findet die Veranstaltung mit rund 70.000 Besucher:innen in Mecklenburg-Vorpommern statt und ist damit eines der größten Festivals in Deutschland. Dennoch tritt nur weniges, was auf der Fusion passiert nach außen. In einem Erfahrungsbericht erzählt unsere Autorin Leonie Kratz, wie sie die Fusion 2025 erlebt hat.

Pampa, Frieden, Fusion
Irgendwo in der Pampa entsteht einmal im Jahr eine kleine Parallelgesellschaft. Zumindest für ein paar Tage. Denn wenn Verrückte aus der ganzen Welt plötzlich zusammentreffen, dann formiert sich etwas, das nur als ein irrer Zirkus beschrieben werden kann. Nein, ein alternativer Zirkus, dessen Ziel es ist, Frieden und Einheit zu stiften – so zumindest einer LSD-Weisheit zufolge, über die zwei Personen auf einer Pampa-Wiese gemeinsam philosophiert haben. Der Trip war bestimmt gut. Die Pampa, die eigentlich Lärz heißt und eine kleine Gemeinde mitten in Mecklenburg-Vorpommern ist, ist jährlicher Austragungsort des Fusion-Festivals. Und vergangene Woche herrschte dort Ausnahmezustand. Nicht im Sinne von vollgekotzten Bürgersteigen, betrunkenen Machos und literweise Bier, nein, eher kommen hier seit 1997 tausende Menschen zusammen, um eine Art links-alternatives Live-Action-Roleplay zu zelebrieren. Dass dabei von der Polizei das ein oder andere Koks-Gummibärchen konfisziert wurde, tut hier erstmal nichts zur Sache. Die Fusion ist schließlich zum loslassen da.
Ein irrer Zirkus? Besser ließe sich die Fusion wohl nicht beschreiben
Es ist Donnerstagabend, es tröpfelt hin und wieder aus dem wolkenbedeckten Himmel, doch das Thermometer schlägt noch immer 26 Grad. Die Campingplätze der Fusion, auf denen dieses Jahr rund 70.000 Besucher:innen zusammenfinden, sind längst überfüllt. Pavillons, Zelte und alte Wohnwägen aus DDR-Zeiten reihen sich aneinander. Doch als Menschen in Blumenhemden, Glitzer-Lidschatten und pinken Highheels in Richtung Gelände laufen, ist die Stimmung wie elektrisiert. Es geht los, die Fusion startet. Zwischen teils bunten und ausgefallenen Outfits, langweiligen T-Shirts, Barfuß-Liebhaber:innen, Raver:innen und echten Hippies wird im Staub ab sofort endlos getanzt, gelaufen und Ketamin geballert. Anna Reusch läutet auf der legendären Turmbühne das Opening ein, am Rosa Platz rappt Ikkimel fotzige Zeilen ins Mikrofon und Kat und Nina von 6euroneunzig lassen einen Sektkorken nach dem anderen im Publikum knallen. In der Masse brechen endgültig die Endorphine los und es beginnt ein viertägiger Feiermarathon, den so nur die Fusion bieten kann. Wo soll man da nur anfangen?
Vielleicht erst einmal so: Zum Programm gehörten 2025 Techno, Rock, Pop, viele weitere Musikstile, Theater, politische Vorträge oder Workshops. Auf dem alten Militärflugplatz kommen auf mehr als 30 Bühnen mehr als 2.500 Künstler:innen zusammen. Drag-Shows, Speed-Dating, Drug-Checking-Labore, Bingo mit der erogenen Zone, Workshops, die erklären wie man ins Darknet kommt und ein Postamt, bei dem Postkarten selbst gedruckt und verschickt werden können, zählen genauso zur Fusion wie Stände, die auf Anti-Rassismus aufmerksam machen, FLINTA* das Auflegen mit elektronischen Geräten erklären und zeigen, wie man Allyship schaffen kann. Sogar heiraten war dieses Jahr auf der Fusion möglich. Wie gesagt, ein irrer Zirkus.
Magic Mushrooms, LSD und endlose Koks-Lines
Für mich heißt das: Stundenlang vor der Turmbühne im Sand tanzen, die psychedelischen Skulpturen auf dem Gelände bewundern und sich ganz fest vornehmen, auf politische Info-Veranstaltungen zu gehen und dann doch mit Freund:innen auf dem Hangar zu versacken. Das sollte man sich keinen Sommer entgehen lassen. Und auch wenn jeder Toiletten- und Duschgang, bei dem erstmal zwanzig Minuten angestanden werden muss, genauso nervt wie die rund 8.000 Schritte, die man braucht, um vom Campingplatz bis zur Stage zu kommen, ist die Fusion ein toller, unbeschwerter Ort, der mit viel Liebe zum Detail hergerichtet wird. Die Stages sind unglaublich bunt, überall kann man etwas entdecken oder schlichtweg verloren gehen.
Unbeschwert ist die Fusion auch, weil es mitten in der Pampa kaum bis gar keinen Handyempfang gibt. Und das ist auch gut so. Kein Schreiben, kein Telefonieren, kein Filmen, sondern das volle Festival-Erlebnis. Ein ungeschriebenes Gesetz, das hier für alle sehr gut funktioniert. Denn was Handykameras hier festhalten würden, wären nicht nur Videos von Live-Auftritten, die man sich hinterher sowieso nie wieder anschaut, sondern auch nackte Menschen, Liebe und Augen, die heller leuchten als jedes Fernlicht.
Auf der Fusion wird schließlich nicht nur massig Musik, euphorisierende Gespräche mit neuen Menschen und Dosenravioli konsumiert. Der große Unterschied zu anderen Festivals ist, dass hier in alle Himmelsrichtungen geballert wird. Dealer:innen, die ans Zelt klopfen und fragen, ob man Magic-Mushrooms kaufen möchte, finden sich auf der Fusion genauso wie Menschen, die mit „I’m looking for good LSD“-Schildern über die Tanzfläche fliegen oder schlichtweg auf einer Bank eine Line Koks legen. Ziehröhrchen werden für den „safer use“ neben Rum-Erdbeer-Slushies an Ständen verteilt. Gibt ja schließlich niemanden, der etwas dagegen sagt. Warum also nicht?
Hat sich das ein oder andere Hirn vielleicht ins Nirvana geballert?
Den Höhepunkt der Druffi-Gesellschaft erreicht am frühen Samstagmorgen ganz klar der Trance-Floor. Nur noch wenige hundert Menschen wippen mit tiefen Augenringen, dunklem Staub im Haar und großer Sonnenbrille über die Tanzfläche. Der nächste Act ist dran, schneller Techno dröhnt durch die Lautsprecher und vier als Mönche verkleidete DJs treten hinter die Decks. Manche Raver:innen können nur noch schmunzeln bei dem Anblick, wieder andere schauen verdutzt. Die Mönche nehmen ein Mikrofon in die Hand, treten nach vorne und fordern das verbrauchte Publikum auf, sämtlichen Stoff leer zu ziehen. Die Mönche haben gesprochen, die Jünger:innen befolgen. Alle rasten komplett aus und geben alles. Ja, das ein oder andere Hirn hat sich hier längst ins Nirvana geballert. Zeit um ins Zelt zu gehen.
Was auf der Fusion passiert, wissen nur diejenigen, die es tatsächlich hingeschafft haben. Die Tickets werden per Losverfahren vergeben und vieles, was auf dem Festival geschieht, ist nur durch Hörensagen bekannt. Die Elektro-Veranstaltung setzt schließlich auf ein wenig kommerzielles Image, das ist auch vor Ort deutlich spürbar. Nichts wirkt profit-orientiert, vielmehr sollen sich alle wohlfühlen und eine unbeschwerte, freie Zeit genießen. Überall stehen Couches herum, Menschen liegen auf Teppichen und kiffen und an einem kleinen Fluss versinkt man mit völlig Fremden im Gespräch. Fast wie in einer Hippie-Kommune.
Zurück zum Samstagmorgen: Mit pochenden Füßen, ungewaschener Haut und zerzausten Haaren wiegen mich auf meiner zwei Zentimeter dicken Isomatte die entfernten Goa-Beats in den Schlaf. Eine Stunde später kocht die Sonne alle Menschen im Zelt bei lebendigem Leibe gar. Können wir noch? Die Schädel, die am nächsten Tag brummen wie nach einem Verkehrsunfall kommen nur noch mit einer Portion Käsespätzle und einem Sprung in den anlegenden Fluss wieder klar. Einen Tag tanzen wir noch alle gemeinsam zu einem Techno-Set, bei dem Ausschnitte von Scooter reingemixt werden, während Menschen bunte Quallen an langen Stäben in die Luft halten. Als sich die Sonne ein nächstes Mal lichtet schleppen wir leichten Herzens unser Gepäck Richtung Bassliner und können nur noch müde lächeln. Fusion, es war uns mal wieder ein Fest – mitten in der Pampa.
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