Das Festival Heroines of Sound im Radialsystem beleuchtet mit Performances, Klangkunst and Avant Pop die Geschichte und Zukunft der elektronischen Musik aus weiblicher Perspektive – und das seit zehn Jahren! Alle Infos zum spannenden Musik-Event liefert tip-Autorin Stephanie Grimm.
Heroines of Sound: Wie klingt Protest, rein akustisch betrachtet?
Wie klingt Protest, rein akustisch betrachtet? Nun, verschiedenste Schlagwerke wären dabei. Nicht umsonst redet man davon, für etwas zu trommeln, wenn es ums Erzeugen von Aufmerksamkeit geht. Außerdem eine Klampfe. Und natürlich gehören Stimmen zum Klangbild. Schließlich gilt es zu vermitteln, wofür protestiert wird.
Nicht nur darum, wie Protest sich anhört, auch um die Frage, wofür er steht, geht es in Julia Mihálys Stück „18WEST – Songs für den Untergang“ (2019). Die Komponistin und Performerin ließ sich von den Konflikten um die Startbahn West am Frankfurter Flughafen in den 1970er- und 80er-Jahren anregen. Die Uraufführung des Stücks liegt nur fünf Jahre zurück, doch Mihály wollte ein Update. „In der neuen Fassung gibt es stärkere Bezüge zu aktuellen Protesten“ – etwa von Klimaaktivisten gegen die Braunkohleförderung, erzählt Mihály. „Die Startbahn wurde zwar gebaut – so gesehen sind die Proteste gescheitert. Doch sie haben Strukturen für künftigen Aktivismus geschaffen und die Gesellschaft geprägt.“ Faszinierend war bei dieser Arbeit, mit „roher Klanglichkeit“ zu arbeiten. Neben Gesang hat Mihály elektronische Musik studiert, heute arbeitet sie im Bereich der Neuen Musik – eine Sphäre des Abstrakten. Protest ist dagegen oft sehr konkret.
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Es könnte sich also produktiv reiben, bei der Neuaufführung der wuchtigen Klangcollage, die sie zusammen mit Teresa Riemann (die mit Schlagzeug, Klavier und ihrer Stimme improvisiert) und der Perkussionistin Laura Robles erarbeitet hat. Zu erleben ist das bei Heroines of Sound, das zum elften Mal stattfindet. Das Festival widmet sich dem Musikschaffen von Frauen in der elektronischen und experimentellen Musik – und einigem dazwischen oder außerhalb: Abstrakte Klangforschung, wie sie das irische Quiet Music Ensemble betreibt, gibt es dort ebenso wie den avancierten Art-Pop der Multiinstrumentalistin Theresa Stroetges alias Golden Diskó Ship.
Neben der Festivalgründerin und Hauptkuratorin Bettina Wackernagel hat Mihály als Co-Kuratorin die diesjährige Ausgabe mitgestaltet. Schlagzeug und Perkussionsinstrumente – in Mihálys Augen „Instrumente der Straße“ – stehen im Fokus, neben menschlichen Stimmen. Bei dieser Schwerpunktsetzung drängt sich natürlich die Frage auf, warum schlagzeugspielende Frauen durch alle Genres hinweg besonders stark unterrepräsentiert sind.
Vermutlich ist es die alte Leier: Es ist nicht sittsam. Nicht leise. Es nimmt Raum und entschuldigt sich nicht.
Katharina Ernst, Schlagzeugerin und bildende Künstlerin
Katharina Ernst – Schlagzeugerin und bildende Künstlerin aus Wien, mittlerweile in Berlin zu Hause – macht sich, mit dieser Frage konfrontiert, Luft. „Vermutlich ist es die alte Leier: Es ist nicht sittsam. Nicht leise. Es nimmt Raum und entschuldigt sich nicht. Grundsätzlich eine gute Voraussetzung für: Ist nix für Frauen.“ Beim Festival wird sie ihr polyrhythmisches Solodebüt „Extrametric“ (2019) vorstellen, bei dem unter anderem Drum-Synthesizer, Gongs und eine elektrisch verstärkte Kalimba zum Einsatz kommen. Ernst spannt den Bogen von Groovigem über abstrakte Passagen zu ekstatischen Momenten; das Schlagzeug nutzt sie oft wie ein Melodieinstrument.
Raumnehmend wirkt auch die Stimme von Katalin Ladik, Pionierin der Klangkunst. Geboren der 1942 im ehemaligen Jugoslawien, erhielt sie gerade in den letzten Jahren für ihre vielgestaltige Kunst viel Zuspruch, vor allem aus der Bildenden Kunst. 2017 war sie bei der Documenta, letztes Jahr wurden ihre Werke im Münchner Haus der Kunst ausgestellt. In Musikkontexten traf man sie bislang eher selten an. Dabei widmete sie sich seit den 1960er Jahre neben der visuellen auch der akustischen Poesie. Sprache und darin eingeschriebene Geschlechterrollen erforscht sie nicht zuletzt mit ihrer Stimme. Ihre neueste Komposition „Membrane Universe“ ist eine Auftragsarbeit des Festivals.
Es ist in die Gesellschaft eingesickert, dass Geschlechtergerechtigkeit eine schöne Sache wäre.
Bettina Wackernagel, Festivalgründerin und Hauptkuratorin
Seit der ersten Ausgabe von Heroines of Sound 2014 hat sich die inzwischen dreitägige Veranstaltung zur Institution entwickelt. Zwar sieht die Gründerin Bettina Wackernagel gerade in Elektronik-Gefilden „sehr starke Beharrungskräfte am Wirken“. Doch zugleich lässt sich nicht zuletzt an der Evolution des Festivals ablesen, dass sich einiges getan hat. Entsprechende Debatten sind kein Nischenthema mehr. „Es ist in die Gesellschaft eingesickert, dass Geschlechtergerechtigkeit eine schöne Sache wäre.“
Zumindest das Festivalpublikum ist genderparitätisch, Zuspruch von Männern gibt es reichlich – zumindest für die Konzertabende, die sich jeweils durch ein breites Spektrum an Klangwelten auszeichnen. Offenbar ist die Praxis aber attraktiver als die Theorie. Bei den Panels und Workshops, im Diskurs-Teil des Festivals, erzählt Wackernagel, lassen sich kaum Männer sehen. Es gibt noch Luft nach oben.
- Radialsystem Holzmarktstr. 33, Friedrichshain, 11.-13.7., Tagesticket 22/15 €, Festivalpass 55/40 €, weitere Infos und Tickets hier
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