Festival

Melt 2024: Ein letzter Tanz unter den Baggern

Nach 27 Jahren endet die Ära Melt in Ferropolis. Zum Abschied des Festivals gab es 2024 noch einmal eine große Party mit DJ-Größen, Newcomern – und Blümchen.

Letzte Ausgabe des Melt Festivals: 2024 fand die Party in der „Stadt aus Eisen“ zum letzten Mal statt. Foto: Imago/Pic One/Ben Kriemann

Melt 2024: Noch einmal auf den Spielplatz der Sounds

Es ist der wohl größte Chor des Melt-Festivals 2024: Tausende haben sich vor der großen Gremmin-Beach-Stage versammelt, um in Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt mit den Sugababes ihren Hit “About You Now” zu singen. Es geht darum, dass man erst wirklich weiß, wie man fühlt, wenn etwas vorbei ist. Der Text, gesungen im Rahmen des ersten Deutschlandkonzertes des Original-Line-ups der Sugabaes seit mehr als 20 Jahren, ist nicht unpassend, leider:

Denn die diesjährige Ausgabe des Festivals in Ferropolis, einem ehemaligen Braunkohleabbaugebiet, ist die letzte. Und einige werden wohl erst merken, was für ein wunderbares Fest das eigentlich war, nun, da es vorbei ist. Im Sinne der Sugababes: “Can we bring yesterday back around, ‘cause I know how I feel about you now.”

___STEADY_PAYWALL___

Die Sugababes beim Melt Festival 2024. Foto: tipBerlin
Die Sugababes spielten auf dem Melt 2024 ihr erste Konzert in Deutschland in Originalbesetzung seit mehr als 20 Jahren. Foto: tipBerlin

27 Jahre haben die Veranstalter:innen die “Stadt aus Eisen” in einen Spielplatz der Sounds verwandelt, in den größten Jahren spielten auch Björk und Oasis hier auf. Schwerpunkt aber schon immer: die Spielarten der elektronischen Musik, auch in diesem Jahr von innovativ-genial, wie DJ und Produzent Bonobo, der uns auf einen experimentellen Trip nahm und gefühlt die gesamte Welt der Musik in einem Set durchgespielt wissen wollte, bis zum dem Aufmerksamkeitshorizont der tiktokenden Gen-Z angepassten BPM-Irrsinn von DJ Horsegiirl, die immer mit Pferdemaske auftritt.

Melt immer zwischen Mainstram und Abseitigem

Tatsächlich changierte das Melt seit der Erstausgabe zwischen Mainstream und Abseitigem. Während am Wasser ein kleines, verwunschenes Wäldchen trippige Fusion-Gefühle weckte, gab es unter dem größten der riesigen Kräne, die hier früher die Erde ausgehoben haben, oft satten Techno weltweit großer Namen wie Job Jobse und Freddy K. Die Collaboration “Soft Crash” des Berghain-Residents Phase Fatale und Pablo Bozzi dagegen war frisch und eins der grandiosen Sets des Melt 2024.

Der Charme des Festivals lag vor allem eben auch in diesem beeindruckenden Gelände, das Raue und Gewaltige der nun nutzlosen Industriemaschinen und dessen Wiedergeburt als Projektionsfläche für Lichtshows, die dem, ja, oft berauschten Publikum eine einzigartige Kulisse für ihre Trips lieferten.

Nach Corona: Höhere Preise, weniger Besucher:innen

Dass das nun vorbei ist, liegt schlicht am Geld. In den Post-Corona-Jahren lief der Kartenverkauf schleppender, Festivaldirektor Florian Czok klagte über steigende Versorgungskosten und hohe Künstler:innengagen. Letztlich schlug sich das in den Ticketpreisen wieder – wer nicht früh genug in den ersten Ticketphasen zuschlug, musste bis zu 210 Euro auf den Tisch legen. Ein genereller Trend in der Branche. Und wer das Geld nicht extrem locker sitzen hat, überlegt sich eben, ob er wie früher vielleicht auf zwei, drei Festivals fährt, oder nur noch auf eins, und das dann ganz genau.

Gleichzeitig dürfte der allgemeine Technoboom der vergangenen Jahre einiges zum Ende des Melts beigetragen haben. Neue Festivals wurden ersonnen, in der deutschen Hochburg des Genres, Berlin, spielen eigentlich alle DJ-Größen regelmäßig von Berghain bis RSO auf. Honey Dijon, zum Melt-Closing am Sonntag an der Beach Stage neben dem Campingplatz gebucht, konnte man Samstagabend sogar kostenlos an der Fanmeile sehen, auch DJ Koze, DJ Heartstring, Efdemin, FKA.M4A und KI/KI sind öfter in der Hauptstadt – oder eben auch auf Konkurrenzfestivals.

Die Autoscooter-Bühne auf dem Melt war vor allem für Fans sehr hektischer Musik mit hoher BPM-Schlagzahl erste Adresse, hier spielten zum Beispiel Horsegiirl und DJ Heartstring. Foto: tipBerlin

Melt: Und plötzlich steht Blümchen mit Blaskapelle im Camping

Das ist schade, denn der Mix und das traumhafte Gelände haben immer einen besonderen Zauber ausgelöst. Dass Domiziana, Slayyter und Romy, die grandiose Sängerin von The XX, am selben Ort auftreten, ist nicht selbstverständlich. Oder dass 90er-Techno-Ikone Blümchen plötzlich mit einer Marching Band über den Campingplatz zieht, um dann abends mit ihren Hits, aber auch einem Chor aufzutreten. Ihre Songs wie “Herz an Herz” und “Boomerang” klingen gar nicht so weit entfernt von dem, was oft an der “Autoscooter”-Bühne an Happy-Hardcore läuft. 

Dass ihre Musik plötzlich wieder modern ist, freut sie: “Das ist eine wunderschöne Zeit für mich, denn als ich angefangen habe, meinen Weg zu gehen, mit dem Sound, der relativ neu war, haben wir etwas geschaffen, dass auch angeeckt ist und polarisiert hat”, sagt sie tipBerlin. “Die Kritik daran war nicht immer einfach auszuhalten.” Dass ausgerechnet ihre Musik letztlich validiert und heute eine Inspiration für junge Künstler:innen ist, macht sie “sehr glücklich.” Umso bedauernswerter sei es, dass ihr erstes Melt nun auch das letzte ist.

Überraschung auf dem Melt-Campingplatz: Blümchen zog mit Blaskapelle übers Feld, später gab es sie auf dem Festival auch mit Bumms und sogar einem Chor. Foto: tipBerlin

Melt ist Geschichte – aber Comeback unter neuen Bedingungen nicht ausgeschlossen

Verloren ist zumindest der Ort aber nicht für Festivals, unter anderem findet drei Wochen später in Ferropolis “Whole” statt, ein queeres Festival – bei dem auch einige DJs auflegen, die in der Vergangenheit große Sets beim Melt spielten. Trotzdem schade. Festivaldirektor Florian Czok will aber offenbar nicht ganz aufgeben: Das Melt könnte wiedergeboren werden, an einem anderen Ort, mit anderem Namen, vielleicht. Zumindest hatte er das am Wochenende angekündigt. 


Mehr zum Thema

Von Berliner Club-Events bis zur Party in Industriekulisse: Die Übersicht über Musikfestivals in Berlin und drumherum, von Brandenburg bis Mecklenburg-Vorpommern. Highlights im Berliner Musiksommer: Das erwartet euch beim Citadel Music Festival in Spandau. Kein Platz für Frauen? Die Studie „Wer gibt hier den Ton an?“ untersucht die Repräsentanz von Geschlecht auf deutschen Festivalbühnen. Das größte Festival der Stadt ist das Lollapalooza – die Infos haben wir hier für euch. Es ist immer eine Welt für sich, aber jedes Festival kommt mit diesen 12 typischen Festival-Charakteren daher. Mehr über Festivals gibt’s in dieser Rubrik. Alles über Konzerte in Berlin findet ihr hier.

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin