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29 Jahre Nation of Gondwana: Wie sie entstand, was sie ausmacht, wie es weitergeht

Die Nation of Gondwana ist das wohl älteste Festival im Berliner Umland, entstanden, weil die beiden Macher nach der Love Parade in einen Club nicht reinkamen. 29 Jahre nach der ersten Ausgabe strömen im Juli 2023 wieder 10.000 Besucher:innen auf ein Festival, das Tradition und Veränderung verbinden will – und sich musikalisch von anderen Festivals mit elektronischer Musik abgrenzt. Ein Porträt.

Der Main Floor der Nation of Gondwana öffnet in der zweiten Nacht.
Der Main Floor der Nation of Gondwana öffnet in der zweiten Nacht. Foto: Flickr/Spiritzone

Die Nation of Gondwana ist das wohl älteste Festival im Umland

Hochsommer 2022, ein Acker bei Grünefeld in Brandenburg, kurz nach fünf Uhr morgens. Eine Ballerina tanzt im Nebel über dem See, Drehung um Drehung macht sie, das Bein angewinkelt. Dann verwandeln sich ihre Umrisse in Fraktale, die bald miteinander verschmelzen, bald neu entstehen. Dahinter heben sich die Wipfel der Kiefern und Fichten dunkel gegen den Himmel ab, der, erst grau, dann blassblau, immer heller wird. Die Bässe rollen vom DJ-Pult aus über die Menge in der Sandkuhle und schließlich über den See. Die Bassline ist schnell, die Grundstimmung des Sets trotzdem verträumt. 

Wir sind auf der Nation of Gondwana, dem mit inzwischen 29 Jahren wohl ältesten Festival im Umland von Berlin. Die Nation ist Ravefestival durch und durch. Workshops oder Konzerte wie auf vielen anderen Festivals gibt es hier nicht. Es läuft entweder Techno oder House – für Genres dazwischen und drumherum wie Deep House oder Downtempo ist wenig Platz. Markus Ossevorth, einer der beiden Gründer des Festivals, sagt: „Techno ist meine Berufung. Für mich ist es das größte Glück, die Menschen mit der Nation glücklich zu machen, in die strahlenden Gesichter zu gucken. Während ich das nur sage, bekomme ich Gänsehaut.“ 

Nation of Gondwana: Seebühne
Weniger BPM gibt’s auf der Seebühne. Foto: Flickr/Spiritzone

Dabei blieb er auch, als fast niemand auf den Acker bei Grünefeld kam. Das war 1998. Damals organisierten Ossevorth und sein Freund und Mitgründer Marc-André Janizewski das Festival noch ohne Vorverkauf – und feierten dann mit etwa 1.500 statt der erwarteten 10.000 Menschen. „Da standen wir abends am Eingang und haben uns die Fingernägel blutig gekaut aus Sorge, ob genug Leute kommen. Es kamen nicht genug”, sagt Ossevorth. „Aber den Leuten, die gekommen sind, mussten wir ja was bieten für ihr Geld.“ Danach hatten sie einen Berg Schulden und nahmen „jeden scheiß Drecksjob“ an, um das Festival am Leben zu erhalten. 

Außergewöhnlich gutes Verhältnis zum Dorf

Aufhören aber war keine Option, und so bauten Ossevorth und Janizewski Jahr für Jahr die Bühnen auf, buchten DJs und mieteten Toiletten. Sie konzipierten, koordinierten, korrigierten. Sie stellten sich gut mit der Dorfgemeinschaft in Grünefeld – die Leute aus dem Dorf betreiben auf dem Festival den Bratwurststand, lassen an heißen Tagen Wasser aus dem Feuerwehr-Auto auf die Menschen regnen, betreiben zusammen mit dem Berliner Kollektiv „Who’s That” den kleinen Floor am Waldrand. „Bei Birke” gilt musikalisch als Geheimtipp. Von der Dorfgemeinschaft ging für die Nation, anders als für viele andere Festivals, nie Gefahr aus. Im Gegenteil: „Jeden November besuchen uns die Grünefelder zum Kegeln in Berlin. Und im Sommer sind wir bei denen zu Besuch”, sagt Ossevorth. Als 2019 ein schweres Gewitter aufzog, wurden alle, die sich nicht in einem Auto in Sicherheit bringen konnten, in die Dorfkirche evakuiert. 

Die Stunden der Dämmerung: Immer magisch und auf Festivals besonders. Foto: Flickr/Spiritzone

Probleme von Baugenehmigungen bis Preissteigerungen

Auch die Corona-Pandemie hat die Nation ganz gut überstanden. Trotzdem wird es gerade eng für Ossevorth und sein Team. Schuld ist ein Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg aus dem Jahr 2019. Dem Gericht war im Rahmen einer Verhandlung rund um das Resist-to-Exist-Festival aufgefallen, dass die Brandenburger Bauordnung auch von Festivals eine ordentliche Baugenehmigung verlangt. Nicht nur für den Campingplatz – sondern für  jede Bühne, jede Bar, einfach alle Bauten. „Das ist das Ende des Festivallandes Brandenburg”, sagt Markus Ossevorth. 

Er und sein Team säßen seit Februar an dem Antrag für die Baugenehmigung 2024 – dieses Jahr gilt noch die alte. Er ist sich nicht sicher, ob die Nation of Gondwana die Genehmigung bekommt. Und selbst wenn: „Wenn Brandenburg bei der Bauordnung keine Ausnahme für Festivals macht, werden wir nur noch 08/15-Festivals von der Stange haben”, sagt Ossevorth. „Mit Bühnen, die nur aus Metall-Traversen aufgebaut sind und wo alles einfach nur noch hässlich ist. Diese Bauordnung erstickt jegliche Kreativität.” 

Obendrein machten Preissteigerungen dem Team zu schaffen. Schrauben, Holz, Dixie-Klos – alles sei teurer geworden. Im Vergleich zum vergangenen Jahr hätten sich die Kosten für das Festival um 400.000 Euro gesteigert. „Da fragen wir uns schon, wie wir das alles noch bezahlen sollen, wenn die Tickets noch erschwinglich bleiben sollen.” 

29 Jahre Nation of Gondwana: Das Festivalgelände schmiegt sich an den See. Foto: Flickr/Spiritzone

Werbung und Sponsoring ist keine Option

Wirklich erschwinglich sind die Tickets schon lange nicht mehr. 198 Euro kostet ein Nation-Ticket dieses Jahr. „Eigentlich zu viel für ein Festivalwochenende”, sagt Ossevorth. „Da fragen wir uns schon manchmal, wie es weitergehen soll, wie die Leute sich das in Zukunft noch leisten sollen.” Vergrößern wäre eine Option, aber dann müsste das Festival umziehen. Der Acker ist begrenzt und fasst nicht mehr als die 10.000 Menschen, die jedes Jahr ein Ticket erwerben. „Außerdem bin ich kein Freund von immer größer”, sagt Ossevorth. 

Geld über Werbung und Sponsoring reinholen wäre eine andere Möglichkeit. Aber das will Markus Ossevorth nicht. Denn er ist zwar Geschäftsmann, betreibt neben der Nation die Bars Tante Lisbeth und Zur Fetten Ecke in Kreuzberg und das Böhmische Dorf in Neukölln – aber eben im Herzen Raver mit einer Aversion gegen Kommerz. 

Die Idee für die Nation of Gondwana entstand 1994, als Markus Ossevorth und Marc-André Janizewski nach der Love Parade in den Eimer wollten und nicht hinein kamen, weil es darin zu voll war. Alle anderen Partys seien ebenso überfüllt gewesen, erzählt Ossevorth. Also: Einfach eine eigene Party machen. Aber selbst im in den 90er-Jahren mit Freiräumen gesegneten Berlin gab es am Love-Parade-Wochenende keine freien Locations mehr für weitere Partys. „Dann haben wir gesagt, gut dann gehen wir eben nach Brandenburg, da ist es auch schön und draußen ist es sowieso viel schöner. Lass uns doch für Berliner, denen die Stadt zu voll ist, was draußen machen”, sagt Ossevorth. 

Tief ist der See am Festivalgelände nicht. Die Gäste der Nation of Gondwana freuen sich trotzdem. Foto: Flickr/Spiritzone

29 Jahre Nation of Gondwana: Balanceakt zwischen Tradition und Veränderung

Mittlerweile steht ein Generationenwechsel bevor. Das Team verlor Marc-André Janizewski 2020 an Krebs. Janizewski hatte sich immer um das Booking der Nation gekümmert. Die künstlerische Leitung hat nun Aena Spitz zusammen mit Anton Janizewski inne. Zusammen mit Suse Laukert wird sie in ein paar Jahren die gesamte Verantwortung für die Nation übernehmen. 

Aena Spitz will beim Booking wie Janizewski einen klaren Fokus auf House und Techno legen und sich so von anderen Festivals abgrenzen. Und wie Ossevorth hält auch sie nichts davon, die Nation größer werden zu lassen. „Es ist doch schön, dass die Chance besteht, Menschen wiederzutreffen”, sagt sie. Die Nation soll ihre Traditionen wahren. Veränderungen wird es aber trotzdem geben. 

Aena Spitz sagt: „Wir legen besonderes Augenmerk auf Intersektionalität, Feminismus, Diversität. Das gab’s zwar schon immer bei der Nation, aber wir haben wahrscheinlich einen besonderen Blick dafür.” 

Markus Ossevorth sagt: „Von zwei alten Männern geht die Leitung bald an zwei junge Frauen. Ich finde das gut.” 


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