Rückblick

„Tempelhof Sounds“ in Bildern: So schön war die Festivalpremiere

Mit dem „Tempelhof Sounds“ hat Berlin ein neues Rockfestival gewonnen. Nach der Premiere, die vom 10. bis zum 12. Juni mit großen Acts wie Florence + the Machine, Muse und Strokes auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Tempelhofs gefeiert wurde, ist klar: Die Stadt hat lang genug auf ein solches Festival gewartet. Die Freude war so groß, dass die Festivalbesucher:innen sogar ein kleines Erdbeben ausgelöst haben sollen. Die schönsten Bilder und Eindrücke.

Kraftvolle Acts in schöner Kulisse beim „Tempelhof Sounds“. Foto: Imago/Votos-Roland Owsnitzki

Das „Tempelhof Sounds“ ist das erste Berliner Riesenfestival seit Pandemiebeginn

Joe Talbot, Sänger der britischen Post-Punk-Sensation Idles, steht auf einem Laufsteg zwischen Moshpits und Flughafenterminals. Auf der großen „Supersonic“-Bühne treibt seine Band mit einer ordentlichen Portion Noise die Menge an, die sich hier, am ehemaligen Flughafen Tempelhof, nach der langen Zeit des Verzichts zum gemeinsamen Rocken getroffen hat.

Das „Tempelhof Sounds“ ist das erste Musikfestival in dieser Größenordnung seit Pandemiebeginn: Insgesamt 48 Acts auf drei Bühnen und Kapazitäten für 35.000 Besucher:innen wurden für die Premiere des Festivals organisiert. Und das Line-Up des „Tempelhof Sounds“ hat es in sich: Die Indie-Legenden von den Strokes, die Bombast-Rocker von Muse und die Hippie-Magierin Florence Welch sind Headliner.

Endlich wieder Festival in Berlin: Die Stimmung beim „Tempelhof Sounds“ ist super. Foto: Imago/Jan Huebner

Dazu gesellen sich spannende Acts zwischen Nostalgie (The Libertines, Interpol, Two Door Cinema Club) und Gegenwart (Anna Calvi, Molchat Doma, Big Thief). Auch die Location des historischen Flughafen Tempelhof und dem anliegenden Tempelhofer Feld, die zum letzten Mal bei der Premiere des Berliner „Lollapalooza“ 2015 zur Festival-Fläche wurde, ist ein Highlight für sich.

Das „Tempelhof Sounds“ ist minimalistisch gehalten

Anders als beim ersten „Lollapalooza“, das mit zu wenigen Toiletten und langen Warteschlangen trotz starkem Line-Up für Verärgerung sorgte, läuft die Jungfernfahrt des „Tempelhof Sounds“ komplett reibungslos. Der Einlass geht schnell und unkompliziert, auf Bier und Limonade muss nicht lange gewartet werden, problemlos gelangt man direkt vor die Bühnen, die Acts spielen pünktlich und der Sound ist insgesamt solide. Gelegentliches Anstehen an Toiletten und Gastro-Ständen verzeiht man beim ersten Mal auch schnell.

Abgesehen von vereinzelten Attraktionen wie dem quietschbunten Arte-Bus ist das „Tempelhof Sounds“ sehr minimalistisch gehalten. Foto: Imago/Jan Huebner

Das Festival ist minimalistisch gehalten. Bühnen und Versorgung, kein Riesenrad, Zirkus, Chill-Garten und Co. Hier geht es abgesehen von vereinzelten Shops, einem Arte-Bus zum Relaxen und anderen kleinen Abwechslungen einfach um Musik.

Das „Tempelhof Sounds“ konzentriert sich auf Rock-Musik im weiteren Sinne: Punk, Indie, Folk-Rock, Funk, alles, was scheppert, viele Gitarren, viel Bums. Techno, Hip-Hop, RnB gibt es hier nicht. Die Festlegung funktioniert gut. Das Publikum teilt den Musikgeschmack und ist bunt gemischt, von jung bis alt, von Ur-Berliner bis Touri-Gruppe. Es gibt keine Interessenkonflikte, die Leute sind freundlich und offen. Pöbelnde Suff-Truppen und Drogen-Zombies sieht man so gut wie gar nicht.

„Tempelhof Sounds“ mit Idles, Sleaford Mods, Fontaines D.C.: Punk ist nicht tot

Die Stimmung ist trotzdem, oder gerade deswegen, super. Das Publikum ist textsicher, tanz- und pogo-motiviert. Besonders bei den vielen interessanten Punk-Acts toben die Moshpits. Doch wer hinfällt, wird direkt wieder auf die Beine gebracht, verlorene Handys in den Himmel gehalten. Selten erlebt man so rücksichtsvolle und nette Moshpits.

Genau die Wut, die diese Zeiten verdienen: Die Sleaford Mods pöbeln beim „Tempelhof Sounds“. Foto: Imago/ Votos-Roland Owsnitzki

Einer der ersten größeren Acts am Eröffnungstag sind die Sleaford Mods. Produzent Andrew Fearn drückt auf Play, sein Laptop scheppert stoische Beats und Sänger Jason Williamson feuert Hasstiraden in bester Lydon-Manier und charakteristischem East-Midlands-Accent ab. Besonders in Post-Brexit-Zeiten und nach dem gescheiterten Misstrauensvotum über Boris Johnson liefern die Sleaford Mods den wütenden Soundtrack zu all der Fassungslosigkeit.

Bei den Idles geht es rund. Die Musiker springen wie besessen über die Bühne. Bei der Migrations-Hymne „Danny Nedelko“ lässt sich Gitarrist Lee Kiernan im Kleid auf den Händen des Publikums tragen, während er manisch ins Mikrofon buchstabiert.

Die belarussische Band Molchat Doma versprüht besonders in Zeiten von Putin und Lukaschenko eine düstere Aura. Foto: Imago/Votos-Roland Owsnitzki

Die belarussische Band Molchat Doma strömt mit ihrem düsteren New-Wave, der sich am 80s-Sound des sowjetischen Undergrounds orientiert, gerade in Zeiten von Lukaschenko und Putin eine enorme emotionale Wucht aus. Die irischen Feuilleton-Lieblinge Fontaines D.C. zeigen dahingegen mit hypnotischen Schlagzeugwirbeln und hallenden Gitarrenwänden, dass Punk noch lange nicht tot ist.

Florence Welch bringt Berlin zum Beben

Erdbeben gibt es in Berlin für gewöhnlich nicht. Die englische Sängerin Florence Welch soll bei ihrem Headline-Konzert am Freitagabend gemeinsam mit dem euphorisch hüpfenden Publikum tatsächlich umliegende Häuser zum Wackeln gebracht haben. So registrierten mehrere seismologische Stationen um 20:58 einen Ausschlag von 1,4 auf der Lokalmagnitudenskala im Umkreis des Tempelhofer Feldes.

Sängerin Florence Welch soll mit ihrem kraftvollen Auftritt beim „Tempelhof Sounds“ ein Erdbeben beschworen haben. Foto: Imago/Votos-Roland Owsnitzki

Anwohner:innen berichteten von schwankenden Stehlampen und tatsächlicher Angst vor einem Erdbeben. Die Erde wortwörtlich zum Beben zu bringen, können nicht viele Acts behaupten. Die Sängerin Florence Welch ist bekannt dafür, das Publikum mit ihrer entfesselten Bühnenpräsenz aufzuladen. Jetzt dürfte sie auch dafür bekannt sein, mit ihrer performativen Zauberei und der Unterstützung der Fans ein Erdbeben beschworen zu haben.

Die Indie-Helden sind alt geworden

The Strokes, Muse, The Libertines, Maximo Park: Das Line-Up des „Tempelhof Sounds“ hat teilweise schon einige Jahre auf dem Buckel. Die BVG scherzte im Vorhinein: „Ist das noch Verspätung oder schon Nostalgie?“ Und ja, teilweise fühlte es sich schon an, wie eine Jugenddisko in den frühen Zweitausendern. Das muss allerdings nicht unbedingt schlecht sein. Spätestens beim Konzert der Libertines wird klar, dass auch alte Männer mit grauen Haaren und Doppelkinn — Pete Doherty sieht schon lange nicht mehr aus wie der Skandalboy des Schrammel-Indies — noch ordentlich einheizen können.

Indie-Helden wie Pete Doherty (links) sind alt geworden. Ihre Musik geht aber auch heute noch ab. Foto: Imago/Jan Huebner

Das Publikum freut sich, als wäre es 2004 und als würden sie „Can’t Stand Me Now“ zum ersten Mal hören. Tatsächlich waren einige der euphorisch Mitsingenden 2004 noch nicht geboren, mit Indie-Fans der ersten Stunde liegen sie sich bei „Don’t Look Back into the Sun“ natürlich trotzdem in den Armen. Wie könnte es auch anders sein. Für die nächste Ausgabe des „Tempelhof Sounds“ wünscht man sich dann allerdings doch noch etwas mehr Mut zu gewagteren Acts.

Paul Smith von Maximo Park trägt ein T-Shirt mit „Peace“-Aufdruck. Ansonsten bleiben Statements zum Krieg größtenteils aus. Foto: Imago/Jan Huebner

Bei der Festival-Premiere liefern jedoch erstmal alte Indie-Helden solide ab. Während Interpol ihre Verstärker heulen lässt, steht die Abendsonne prächtig über dem monumentalen Flughafen, Paul Smith von Maximo Park trägt ein T-Shirt mit „Peace“-Aufdruck und die Show von Muse ist wie immer bombastisch. Auf der Bühne steigen Feuerfontänen in die Luft, futuristische Dune-Action-Sequenzen flackern auf den Bildschirmen und eine gigantische squid-game-artige Statue wacht über die Art-Rock-Band.

Ein altes Ehepaar aus Liverpool umarmt sich überglücklich, während ihre Ganzkörpergänsehaut nicht zu übersehen ist. Sänger und Gitarrist Matt Bellamy zeigt seine zukunftstauglichen Instrumental-Skills auf modifizierten Telecastern mit Touchpad und einem Neonröhrenklavier. Beim Mega-Hit „Uprising“ steht er wie selbstverständlich mit Synthesizer-Cyborg-Arm auf dem Laufsteg.

Lediglich die Strokes, die das „Tempelhof Sounds“ am Sonntagabend mit einer 90-minütigen Headline-Show beenden, schaffen es nicht, die hohen Erwartungen zu erfüllen. Julian Casablancas scheint nicht besonders Lust auf das Konzert zu haben, dem neben den tausenden Festivalbesucher:innen hunderte Hörlustige auf dem Tempelhofer Feld entgegen fiebern.

Julian Casablancas redet ungewöhnlich viel, nur scheint das Publikum nicht immer ganz folgen zu können. Foto: Imago/Jan Huebner

Gesprächig ist der Sänger allemal, nur scheint niemand so richtig zu verstehen, worum es in seinen launischen Ansprachen geht. Die Band spielt grundsolide, natürlich auch große Hits wie „Someday“ und „Reptilia“ und auch einige Live-Raritäten, nur trotz aller Nostalgie und Post-Corona-Laune scheint der Funke nicht überzuspringen.

Den Sonntag dominieren spannende Musikerinnen

Die meisten Festivals engagieren zu wenige weibliche Acts. Ausgewogene Line-Ups gibt es in den seltensten Fällen. Beim „Tempelhof Sounds“ überzeugen mit Adrianne Lenker von Big Thief, Courtney Barnett und Anna Calvi gerade die Musikerinnen. Adrianne Lenker gehört zu den spannendsten und eigenwilligsten Sängerinnen und Texterinnen unserer Zeit. Auf der Bühne bricht ihre Stimme so gekonnt, dass sich ihre scharfen Worte tief ins Gedächtnis schneiden.

Adrianne Lenker von Big Thief gehört zu den spannendsten Musikerinnen unserer Zeit. Foto: Imago/Jan Huebner

Die Musikerinnen der spanischen Rockband Hinds feiern eine kraftvolle Gitarrenparty voller guter Laune. Die 21-jährige Pop-Sensation Griff bietet einen eindrucksvollen Ausblick auf eine große bevorstehende Karriere. Ellie Rowsell von Wolf Alice lässt himmlische Melodien über das Tempelhofer Feld fliegen und peitsch das Publikum mit manischem Geschrei auf.

Anna Calvi verfügt über eine einzigartige Ausstrahlung. Foto: Imago/Jan Huebner

Courtney Barnett groovt sich in einer verlorengeglaubten Gelassenheit durch Highway-Blues-Hymnen und schmettert ohne große Anstrengung nebenbei noch Monster-Riffs auf der Fender. Anna Calvi steht bei fast 30 Grad im schwarzen Mantel und Sonnenbrille auf der Bühne. Ihre Ausstrahlung ist so einnehmend, dass das gesamte Publikum jede einzelne Geste bejubelt. Bei „Don’t Beat the Girl out of My Boy“ liefert sie die wohl beeindruckendste Gesangseskalation des gesamten „Tempelhof Sounds“ ab. Und Florence Welch? Tja, sie hat halt mal eben ein Erdbeben beschworen.


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Musikfans können sich auch auf weitere Konzerte auf dem Tempelhofer Feld freuen: Die Ärzte besuchen auf ihrer Berlintour 2022 auch den ehemaligen Flughafen. Ihr wollt mehr über den Bezirk Tempelhof wissen? Hier findet ihr all unsere Tempelhof-Texte. Noch nicht genug von Festivals? Hier findet ihr alles zu Musikfestivals in und um Berlin 2022. Immer auf dem Laufenden bleibt ihr mit unserer Auswahl an Konzerten diese Woche in Berlin.

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