Miley Cyrus’ letztes Album, die Anbetungswürdigkeit einer Dolly Parton und der Anstieg von Line-Dance- Aktivitäten im Berliner Umland sind Gründe genug für meine Forschungsreise zum „Country Music Meeting“
Während ich am Eingang der Messeräume am Wilhelmsruher Damm gefilzt werde, werfe ich einen ersten Blick hinein: Herrenzopf zu Lederweste, eine Seniorin mit Lesebrille, zwei Federn auf dem Kopf und „Can Can“-Rock, sowie der Schriftzug „HALT DEN MUND, WENN ICH DICH UNTERBRECHE“ auf dem Bauch des glatzköpfigen Security-Mitarbeiters. Erst mal ankommen! Gefolgt von ungläubigem Staunen über die fremdartige Welt zwischen Verkaufsständen mit T-Shirts voller schreiender Adlerköpfe, handgemachten Traumfängern, Naturschmuck und friesländischen Camping-Angeboten. „Country Music? Yes, we can!“, steht auf einem Werbebanner, während eine Frau mit Haarnetz und mit bodenlangem Rock, Typ puritanische Bäuerin des 19. Jahrhunderts, vorbeizieht. Ein sächsischer Country-Fan bestellt gerade einen „Gardoffeläckendällar“ am Imbiss. Überhaupt fällt das Wort Kartoffeleckenteller häufig, man muss davon ausgehen, dass 98 Prozent aller Country-Fans für Kartoffelecken zu haben sind. Ich setze mich an einen Tisch und schaue in mehrere schlechtgelaunte Gesichter. Was ist dir über die Leber gelaufen, Country-Welt?
Vielleicht ist es auch nur Melancholie, denn heute ist schon Sonntag und damit der letzte Tag dieser einzigartigen Messe. Dabei gibt es noch so viel zu erleben! Eine Moderatorin empfiehlt Vladimir Spiridonov mit seiner Zaubergitarre auf der „Locker vom Hocker“-Bühne. Auf meiner Suche lande ich vor der „Roger Boss Memorial Stage“ und bekomme erstmal einen Schrecken. Jemand, der aussieht wie mein Steuerberater, steht da mit einem Banjo und singt. Am Lichtpult stelle ich meine Handtasche ab, frage den cowboybehüteten VJ, ob es okay wäre, wenn ich jetzt auf dem Podest tanze. Aus Sicherheitsgründen ginge das nicht, sagt er, und als ich eröffne, dass dies nur ein Witz gewesen sei, beginnt er extrem laut zu lachen. Zum Abschied ruft er: „Erst anmachen, dann abhauen, wa?“, darauf ein „Hahaha!“ von mir – so locker flirtet es sich auf der Country-Messe!
Am Ende traue ich mich sogar zum Workshop „Line Dance“ rein. Das ist dieser Tanz, bei dem es darum geht, komplexe Schrittfolgen emotionslos, im Verbund mit anderen Emotionslosen, abzuarbeiten. Der perfekte Tanz für Menschen, die möglichst wenig mit ihrem Körper zu tun haben wollen! So dachte ich zumindest. Und nun beim Workshop werde ich zum ersten Mal Zeuge, wie so ein Line Dance vor lauter Spaß in fohlenhaft gehüpfte Lebensfreude ausufert. Country-Welt, du bist schon okay!
„98 Prozent aller Country-Fans sind wohl auch für Kartoffelecken zu haben“