Die 2000er-Jahre sind zurück, eine Hand zwischen den Beinen, die andere von sich gestreckt, auf und ab wippend. 50 Cent kam für ein Konzert nach zwölf Jahren zurück nach Berlin. Das Publikum: von der Dorfparty ins mittlere Management aufgestiegen. Und auch 50 Cent ist heute mehr Geschäftsmann denn Musiker. Sie alle stürzten sich nochmal in die Adoleszenz, grölten und pöbelten, tanzten und rempelten, pafften und schnupften – like it’s their birthday. Ob Rap-Superstar oder Bürohengst, noch einmal holen sie die Zeit zurück, in der sie Frauen und „schwache“ Männer an ihren Platz verweisen konnten, die Renaissance der Machokultur. Unser Autor hat den konzertgewordenen Clint-Eastwood-Streifen gesehen.
Ein Schreiben zum 50 Cent-Konzert
Hallo alter Mann,
offensichtlich geht’s dir gut, sogar deutlich besser als viele von dir erwartet hätten. Die meisten deiner Freund:innen dürfte vielleicht denken, du hättest deinen Elan verloren, wärst im Sumpf aus familiären Stress und beruflicher Verantwortung versunken. Hast schließlich Kinder, eine Partnerin, musst malochen, Geld auftreiben, „Hustler Ambitions“. Früher war das anders. Du warst vielleicht noch vital, stähltest deine Muskeln im Fitnesscenter, zogst mit den Jungs los, hattest Spaß. „In the club, bottle full of bub“, Song und Lebenseinstellung zugleich. Mittlerweile ist dafür keine Zeit mehr. Und dein Sixpack, eigentlich dein Markenzeichen, ist unter einer Wohlstandsschicht verschwunden. Deine besten Jahre schienen gezählt.
Doch da ist er nun. Der Moment, an dem du die Schwere erwachsener Pflichten abschütteln kannst, an dem du allen zeigen kannst, da geht noch was. In den sonst so gläsernen Augen blitzt kurz jugendlicher Elan auf. Durch deinen Körper schießt Energie, die alte Kraft kehrt zurück. Da ist er, der „motherfuckin P.I.M.P“.
Cocaine is a hell of a drug, aber meine Güte, so gut hast du dich lange nicht gefühlt. Verstärkt wird das Gefühl durch die Menschenmenge, die du von deiner Position überblickst. Und sie alle brüllen sie, die Texte zu den Songs, die dein Leben prägten, es (deiner Ansicht nach) zu dem machten, was es mal war.
Endlich wirst du wieder wahrgenommen
In deinem ganzen Körper pulsiert es. Du bewegst dich. Du tanzt. Hart. Mit hektischen Arm- und Beinbewegungen reißt du dich von den Fesseln des Lebens los. Das sieht komisch aus, aber ist okay. Keiner bemerkt es, außerdem bist du der Star des Abends. Wer nicht mitmacht, wird angeheizt. Du zwinkerst überraschten Frauen zu, baust dich vor den Männern auf. Früher siechender Karpfen, nun bedrohlicher Hummer. Die Brust rausgestreckt, die Muskeln angespannt. „Many Men wish death ‚pon you“, aber du zeigst es ihnen. Ein letztes Mal. Du hast Bock. Du bist stark. Alle anderen tun nur so. „You say you a gangsta, but you never pop nothin“, denkst du dir.
Irgendwann schwindet die Energie. Der Schweiß läuft dir übers Gesicht, die Glieder werden schlaff. Nochmal nachlegen? Kurz nach hinten verschwinden? Mittendrin? Egal, du machst Halbzeit. In der Halle wird es ruhig. Du streust ein paar Steine auf dein Handydisplay, hackst sie mit der Kreditkarte klein. Zug. Weiter.
Kaum bist du wieder da, brüllt die Menge. Du wusstest es, du kannst es noch. Deinen Arm streckst du von dir, wie früher. Deine Beine bewegen sich im Rhythmus auf und ab, wie früher. Deine Stimme hallt durch den Raum, wie früher. „The top feels so much better than the bottom“, endlich wieder zuhause.
Also, älterer Herr in der Reihe vor mir, freut mich, dass dir das 50 Cent-Konzert gefallen hat, ich fand’s eher mittelmäßig. Fifty ist mittlerweile leider ein blutleerer Künstler, ausgebranntes „Napalm“, eine entschärfte „Bombe“, ein altersschwacher „Don“, ein gezähmter „King Kong“. Die 2000er-Jahre sind vorbei, seine Songs taugen entsprechend nur noch für Mottopartys. Und du, lieber alter Mann, bist dafür die Kostümvorlage. Auf dein Comeback können wir gut verzichten.
Liebe Grüße
Tim Kröplin
50 Cent war okay, aber vielleicht sind diese Konzerte in Berlin spannender. Das gilt übrigens auch für die Festivalsaison in der Nähe von Berlin. Und mal was anderes: Wir sprachen mit Daniel Freitag über sein neues Album „The Laws of Attraction“. Noch mehr Tipps findet ihr in unserer Konzerte-Rubrik.