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A L’ARME! Festival: Gegen Wohlklang und Bequemlichkeit

Improvisation, Noise, experimenteller Hyper-Pop, sehr freier Jazz und Hip-Hop. Beim A L’ARME! Vol. X+I spielen die Beteiligten zum Ungehorsam gegen die Routine auf. Alle Infos zum Avantgarde-Jazz-Festival im Radialsystem gibt es hier.

Immersive Sound-Landschaften: Edwin van der Heide eröffnet mit der Laser-Klang-Show „Intersecting Planes“ das Festival A L’ARME!. Foto: Edwin van der Heide.

A L’ARME! Festival im Radialsystem: Aufruf zum Ungehorsam

Peter Brötzman ist tot. Nicht, dass der legendäre Wuppertaler Freejazzer, der am 22. Juni im Alter von 82 Jahren verstarb, bei dieser Ausgabe von A L’ARME! hätte auftreten sollen. Doch der Brötzmann’sche Geist, sein Wüten gegen die Bequemlichkeit, gegen gemütlichen Wohlklang, gegen das Schweigen, weht seit jeher über dem Festival, das sich als internationales Forum für „avantgarde-jazz & vibrant experimental music“ versteht.

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An drei Abenden im August erklingen im Radialsystem also die vielfältigen Aufrufe zum Ungehorsam, die das Team um Kurator Louis Rastig fordert. Zum Auftakt erscheint erstmals das aktuelle Projekt des New Yorker Drummers, Rappers, Komponisten und laut „Pitchfork“ Futuristen Kassa Overall, an dessen Seite Tomoki Sanders in das vom legendären Vater Pharoah geerbte Saxophon blasen wird.

Auch die Fagottist:in und Komponist:in Joy Guidry gilt als wegweisende Innovator:in des Jazz. Guidry vereint Elemente aus Neuer Musik, Soundscapes und Free Jazz zu radikalen Hörerfahrungen. Die von der eigenen Biografie inspirierte Arbeit „Radical Acceptance“ gastiert erstmals in Berlin: „Hier kommen tiefgründige Texturen, Erzählung, Poesie und experimentelle Gospelmusik zusammen“, sagt Guidry und verweist auf die Band, zu der u.a. Caitlin Edwards an der Violine, Scott Li am Synthesizer und Jessie Cox am Schlagzeug gehören.

Joy Guidry erzählt aus der eigenen Biografie

„Ich freue mich, diese Geschichte meines Lebens in einer Stadt zu erzählen, die ich sehr liebe“, sagt Guidry. Dass ein Festival mit einem so herausfordernden Programm wie A L’ARME! seit vielen Jahren erfolgreich stattfinden kann, liegt eben auch an der Stadt. In Berlin existiert ein internationales und sehr offenes Publikum, hier ist mehr möglich als anderswo. Auch Guidry sieht das ähnlich: „Festivals wie A L‘ARME! helfen, experimentelle Künstler aus aller Welt zu stärken und geben uns den Raum, frei zu sein und unsere Arbeit zu erkunden“. So lässt sich die Zusammenstellung des Programms am besten begreifen, denn A L’ARME! steht weniger für ein Genre als vielmehr für eine Haltung und den kreativen und forschenden Drang nach neuen noch unbekannten Klangwelten. Jazz ist dabei ein Ausgangspunkt, mehr nicht.

Joy Guidry präsentiert bei A L’ARME! das biografische Projekt „Radical Acceptance“. Foto: Nykelle Devivo

Von dort führen die Wege in unterschiedliche Richtungen, etwa zu immersiven Sound-Landschaften wie jener von Edwin van der Heide, der mit der Laser-Klang-Show „Intersecting Planes“ das Festival eröffnet, oder zum Hip-Hop wie in „1 Above Minus Underground“ des Wiener Schlagzeugers und Keyboarders Lukas König, der ebenfalls rappt und längere Zeit mit den österreichischen Indie-Überfliegern Bilderbuch kooperierte. Für sein neues Projekt stellte er einen Pool aus Rapper:innen und Musiker:innen zusammen und entscheidet, wer für welchen Auftritt mitkommt. Für die „Berlin-Edition“ werden Dälek, Rojin Sharafi, Elvin Brandhi, Nik Hummer und Victoria Shen mit ihm auf der Bühne stehen, wo aus Hip-Hop, experimenteller Musik und Noise eine Live-Show entsteht. Für König bietet A L’ARME! eine Nische: „Es sind diese wenigen Festivals, die nicht nur einzelne Genres präsentieren, sondern seltsame Sachen buchen, bei denen viele andere Veranstalter die Hosen voll hätten und sich das nie trauen würden. Diese Orte sind für uns überlebensnotwendig!“

Peter Brötzmann ist tot, aber A L’ARME! lebt

Diesem Credo wird A L’ARME! auch in diesem Jahr mehr als gerecht. Zwischen den atonalen Kompositionen von Carl Michael von Hauswolff, der Hommage an den Serge-Modular-Synthesizer des in Berlin lebenden Niederländers Thomas Ankersmit oder der Hyper-Pop-Oper von No Plexus,  eines  „genre-queer electronic duos“, deren Werk die Klischees über die Generation Y dekonstruiert, dürfte jeder Programmpunkt die eigenen Hörgewohnheiten überprüfen, erweitern und (hoffentlich) Räume für den geforderten Ungehorsam schaffen.

Peter Brötzmann dürfte das alles gefallen, oder vielleicht auch gar nicht. Denn der Ungehorsam, der Bruch mit Traditionen, die brachiale Klangwut, die den dröhnenden Jazzpreisträger auszeichneten, in einem Wort die Unangepasstheit, mit der er indirekt den Weg für Festivals wie A L’ARME! ebnete, stehen für eines: man kann sich niemals sicher sein. Die Gewissheit ist schließlich der erste Schritt in die Langeweile. Deshalb sollte man stets alarmiert bleiben. Peter Brötzmann ist tot, aber A L’ARME! lebt.

  • A L’ARME! Festival Vol. X+I Radialsystem, Holzmarktstr. 33, Friedrichshain, Do 10.8. bis Sa 12.8., Beginn jeweils 20 Uhr, Einlass ab 18 Uhr, Tagesticket 25 €, Festivalpass 60 €, weitere Informationen und Tickets hier

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