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Indie-Pop

Angel Olsen erscheint auf ihrem aktuellen Album in neuem Gewand. Am Donnerstag spielt sie im Huxleys

Bond-Songs im Ballsaal: Die einstige Folksängerin Angel Olsen erscheint auf ihrem aktuellen Album „All Mirrors“ in neuem Gewand: Mit Orchester-Opulenz statt Rock’n’Roll ist sie auf dem besten Wege, die neue Grande Dame des Indie zu werden

Singt von Einsamkeit, Zweisamkeit und der Pein, sich in dieser Welt durchzuschlagen: Angel Olsen. Foto: Cameron McCool

Wenn man die neue Musik von Angel Olsen hört, dann merkt man erst, wie sehr man Kate Bush vermisst hat. Allein das Video zu „All Mirrors“, dem Titellied des vierten Albums der Singer/Songwriterin: In einem perlenfarbenen, geisterartigen Lampenschirmkleid und toupierten Haaren schreitet (kein anderer Begriff passt an dieser Stelle so perfekt) Olsen eine Treppe aus dem schwarz-weißen Nichts hinauf, vorbei an Spiegeln, begegnet ihrem Abbild (diesmal in schwarzem Samt und mit Krone) und schreitet (ja) die Stufen salbungsvoll wieder herab (nun im Glitzerlamettakleid, übrigens) wie eine Päpstin oder etwas noch Erhabeneres. Dazwischen: Windmaschine, Nebelmaschine, das volle Programm. Dazu erklingen nostalgische Synthesizer und ein filmreifes Streichorchester. Welche Grandezza! Welche Dramatik! Welche Opulenz!

Dasselbe Gefühl wie einst bei Kate Bushs Video zu „Wuthering Heights“ kommt auf bei Olsen – nur mit Raucherkneipencoolnessblick statt aufgerissener Augen. Und ohne Ausdruckstanz, aber den darf eh nur Kate Bush. Eine Nutzerin in den Kommentaren fühlt sich an den Fantasyfilm „Labyrinth“ mit David Bowie erinnert. Viele andere an David Lynch. Film-Freak Olsen selbst nennt die Science-Fiction-Klassiker „Metropolis“ und „Aelita“ als Referenz. Klar ist: Das ehemalige Girl an der Gitarre, die rotzige Indie-Rock-Musikerin Angel Olsen aus dem Mittleren Westen der USA, bittet mit ihrem neuen Werk ins ganz große Kino und es ist möglicherweise der Beginn von etwas Epischem.

Bekannt wurde die 32-jährige Musikerin 2014 mit ihrem zweiten Album „Burn Your Fire For No Witness“, mit dem sie sich in sämtliche Bestenlisten croonte, mit Songtiteln wie „Unfucktheworld“ und Zeilen wie „Everything is tragic, it all just falls apart“, ausgekleidet von kargem Folk und Alternative Country. Spätestens mit dem Nachfolger „No Woman“ von 2016 war dann klar: Diese Frau ist das neue Postergirl des Indie Rock. Der nachtschwarze Lo-Fi-Sound wurde poppiger, grungiger, ungestümer. Im Hit „Shut Up Kiss Me“ etwa blafft sie die Zeilen mit einer Chuzpe, die die meisten Menschen erst nach dem fünften Bier erreichen. Angel Olsen vollführte das Kunststück, cool zu sein, bei gleichzeitiger Komplett-Entblößung (was vermutlich die einzig wahre Coolness ist). Ihre Stimme und ihre Intonation sind dabei stets ein Erlebnis: Mal bratzig, mal bibbernd, mal sarkastisch, mal süß singt sie über Einsamkeit, Zweisamkeit und generell die Pein, sich in dieser Welt durchzuschlagen.

Und nun also: Szenenwechsel. Raus aus der Bar, rein in den Ballsaal. Hat Olsen sich mit bisher jedem Album klanglich weiterentwickelt und gewissermaßen neu erfunden, scheint sie mit „All Mirrors“ bei einem vorläufigen Höhepunkt angelangt: Die elf Songs wurden mit einem 14-köpfigen Orchester eingespielt, Lederjacke durch Wallekleid getauscht – alles ist nun große Geste. Dass die Songs ursprünglich als reduzierter Akustik-Folk konzipiert waren, kann man sich angesichts des Streicher-Bombasts kaum mehr vorstellen. Als Beweis soll die alternative Album-Version noch dieses Jahr erscheinen.

Beobachtet von grasenden Pferden

„Als ich an den neuen Songs gearbeitet habe, sind in kurzer Zeit viele Veränderungen in meinem Leben passiert. Ich hatte viele Entscheidungen zu treffen, und ich fühlte mich sehr allein dabei.“ Damit ist nicht nur das Ende falscher Freundschaften gemeint, sondern auch das Ende ihrer bis dato längsten Beziehung. „Take what’s left, and get out/ Tell them what it’s about“, heißt es dazu etwa in „Impasse“ (zu Deutsch: Sackgasse), einer Art Bond-Song für Menschen, denen Bond-Songs sonst zu unterkomplex sind.

Im Video zum Album-Opener „Lark“, stolze sechs Minuten und 19 Sekunden lang, rennt Olsen nach einem Streit mit ihrem Freund aus dem Haus in die Dunkelheit, lässt sich von einem Fremden auf der Ladefläche ins Ungewisse mitnehmen, um dann pünktlich zum Sonnenaufgang auf einer Bergspitze in grüner Landschaft zu schmettern: „Hiding out inside my head/ It’s me again, it’s no surprise I’m on my own now.“ In den restlichen Minuten wird sie unter Wasser schweben und mit schwarzem Schleier am Strand entlang rennen – lediglich beobachtet von einer Gruppe grasender Pferde. „In dieser Phase fühlte ich mich isoliert. Ich war eine Zeit lang wütend. Aber nun bin ich da durch. Ich bin älter geworden, habe mich verändert. Ich muss nicht mehr einer bestimmten Art von Leuten hinterherlaufen und ihre Meinungen über mich auf mich nehmen.“

Fremdbilder und Selbstbilder waren immer schon Themen in Olsens Werk, doch mit „All Mirrors“ setzt sie dem eine Krone auf. „Wir sind alle Spiegel füreinander“, sagt die Künstlerin. „Selbst wenn das nicht alles ist, ist da doch immer dieses Element von Projektion in dem, was wir gern in Menschen und in Szenarien sehen wollen und in dem, wie wir uns selbst sehen, in diesen Szenarien, mit diesen Menschen.“

Olsen hat es geschafft, die Intimität und Intensität, die sie seit ihren ersten Veröffentlichungen auszeichnet, inmitten der neuen Opulenz beizubehalten. Die Streicher tönen, und Olsen tönt mit. Während vereinzelte Kritiker von der neuen Olsen etwas überfordert waren, überschlugen sich die meisten mit Lob: Nancy Sinatra, Scott Walker, Richard Hawley und Leonard Cohen waren nur einige Vergleiche, die gezogen wurden. Wobei ihr solche Referenzen wie Schubladen vorkommen. Sie selbst hat während der Produktion viel Brian Eno, Patti Smith und „Drama of Exile“ von Nico gehört.

„Ich habe darauf geachtet, dass die Platte nicht intellektuell klingt, nur weil wir all diese Streicher hatten. Ich wollte, dass es wild klingt und weird“, sagt sie. „Ich tauche für jedes Album in die Ästhetik und Performance drumherum ein, fast wie beim Theater.“ Bei ihrer Show im Huxleys wird sie sowohl neue als auch alte Songs spielen, der ein oder andere Musiker mehr als früher wird auf der Bühne stehen, und erstmals wird das alles untermalt mit einer Lichtshow.

Ein paar Tage davor, am 22. Januar, feiert Olsen ihren Geburtstag. „Mit 31 Jahren dachte ich: Ich bin durch mit meiner alten Art zu denken. Jetzt bin ich bald 33, und manchmal wünsche ich, ich hätte wieder mehr Konflikte, weil ich so gelangweilt bin von jedem. Ich finde niemanden interessant“, sagt sie mit dreckigem Lachen. Bleibt fast zu hoffen, dass Olsen trotz der neu gewonnenen inneren Ruhe genug Inspiration für künftige Knaller findet – jetzt, wo sie Diva mit Ansage ist. Das Mädchen mit Gitarre war gestern. „Ich fühle mich besser als je zuvor und bin bereit für das nächste Kapitel. Ich habe meinen Frieden mit mir gefunden – gerade noch mal pünktlich vor dem Weltkrieg!“, sagt sie, und da ist es wieder, dieses kehlige Lachen, dieser Sarkasmus, und vielleicht bringt dieser Moment Angel Olsen auf den Punkt: selbstbewusst des Dramas bewusst.

Huxleys Neue Welt Hasenheide 107–113, Neukölln, Do 30.1., 20 Uhr, VVK 24,20 €

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