Nee, Leute, alles prima, ich bin gerade auf Tee und Croissants„, schmettert Benjamin Clementine, 26, den Zweiflern aus der eigenen Familie im Gesang entgegen. Leicht sarkastisch sei das schon gemeint, gesteht er dem tip. „Was um alles in der Welt willst du in Paris?“, hatten seine Verwandten in London mutlos genervt, wo er in einem Vorort im Nordosten lebte, bis er 19 war.
Wie er dann seinen Weg nimmt, liest sich so märchenschön, wie er auch aussieht, sodass man alles glauben will: letzte Groschen zusammengekratzt, mit dem Billigflieger über den Kanal, ruhelose Jahre im Montmartre, kleine Gigs in schäbigen Bars, ohne festen Wohnsitz. Videos kursieren bei YouTube. 2012 glänzt er bei den Filmfestspielen in Cannes, Leute glauben an ihn, gründen ein Plattenlabel. Clementine wird Klickprinz auf Spotify und ist für manche mit seinem Debütalbum „At Least for Now“ voller rauem, auch disharmonischem Piano-Pop der Senkrechtstarter der Saison.
Am liebsten legt er die Füße nackt auf die Klavierpedale. „Weil ich mich auf der Bühne wohlfühlen will und mich barfuß am besten fühle“, sagt uns Benjamin Clementine. Er als Autodidakt gewöhne sich immer noch ans Klavier und verstehe es langsam besser: „Wenn der Flügel nach links schwingt, folge ich nach links. Wenn er nach rechts schwingt, dann dorthin.“ Untertreibung! Denn wer ihn erlebt hat, weiß, dass Benjamin Clementine den Flügel effektvoll im Griff hat, von fein arpeggierten bis hin zu wutstrotzenden Akkorden.
Doch wäre er nur Pianist, würde er noch in Pariser Bars spielen. Dass seine Karriere gerade durchstartet, liegt an den Lyrics und der Stimme. Alle Vergleiche (Antony Hegarty, Tom Waits und Pavarotti unter anderem) scheppern schlecht. Wenn er spricht, klingt er rauchig dunkel, doch im Gesang dringt er auch in Höhen vor, von denen mancher Tenor träumt. Fast schon androgyn. Sauber gehaltene Arientöne, Sprechgesang und aufgebrachtes Schreien. An manchen Stellen klingt das Album weichgespülter, als er live so drauf ist. Ohne Kammerstreicher geht es aber nie. Bass ist mit auf der Platte, Schlagzeug auch. Das spielt er sogar selbst.
Aber wie war das mit Tee und Croissants? In Paris esse man halt Croissants, sagt er, doch er sei Brite. Also Tee statt Cafй au Lait. Beide Länder haben Spuren hinterlassen. Clementines Debütalbum erzählt stark autobiografisch eingefärbt von den Wegmarken von einem, der auszog, das Glück auf eigene Faust zu lernen. Bei Metaphern wie dem Zuhause als Box aus Stein in dem Lied „Cornerstone“ stellt man sich ihn wie den einsamsten Außenseiter auf der Insel vor. Doch er fühle sich nicht wie ein Ausgestoßener, „ich bin bloß einfach ich“.
Dabei befragt er auch sich durchaus selbst kritisch, etwa im Song „London“: „London steckt doch ganz in dir, warum leugnest du es überhaupt?“ Manchmal habe er sogar daran gedacht, zurückzuziehen, gibt er zu, habe es aber schließlich bleiben lassen. Wenn er singt, „let the lesson be mine“, meine er, „let my life be mine“. Im Booklet dankt er, fast scheint es Namedropping, vielen, von William Blake bis Jimi Hendrix. „Hendrix bewies mir“, haucht er, „dass dich niemand aufhalten wird, wenn du ein Original bist und das Einzige tust, was du kannst.“ Doch keiner könne ein Prophet im eigenen Land sein, heißt es in „London“. „Die Beatles hatten doch erst Erfolg in Deutschland, dann in England, oder? Aber ich will nicht mal ein Popstar sein oder so – bloß, dass ein paar Leute meine Arbeit schätzen. Ehrlich gesagt bin ich manchmal unruhig und mache mir Sorgen.“ Das könnte er zurzeit auch bleiben lassen.
Der Junge denkt aber gerne melancholisch von den Texten aus: „Ich liebe physische Bücher und besonders diesen William-Blake-Gedichtband, den ich vor vielen Jahren in einer Bibliothek gefunden habe.“ Und schon als ganz junger Typ wollte er wissen, worum es in diesen Büchern geht. „Ohne Melodie keine Harmonie“, sagt er heute. Und: „Ohne Melodie ist da nur noch der Text. Ohne Text keine Melodie.“
Text: Stefan Hochgesand
Foto: Micky Clйment
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