Konzerte

Bruce Springsteen in Berlin: Trigger für Trump

Bruce Springsteen rockt fast drei Stunden lang das Berliner Olympiastadion mit seiner legendären E Street Band. Und hat wieder einiges über Donald Trump zu sagen. Die Konzertkritik von Erik Heier.

Bruce Springsteen am 11. Juli 2025 in Berlin. Foto: Imago/Berlinfoto

Bruce Springsteen in Berlin: Drei Stunden Power

„Guten Abend, Berlin! Es ist großartig, wieder in Deutschland zu sein.” Fast auf die Minute pünktlich betritt Bruce Springsteen kurz nach 19 Uhr die Bühne. Über dem Berliner Olympiastadion macht der Himmel blau, die Abendsonne steht Spalier. Noch haben gar nicht alle im ausverkauften Rund ihre Plätze gefunden. In Berlin ist man Akkuratesse in Uhrzeitangelegenheit nicht so gewöhnt. Aber Springsteen hat keine Zeit zu verlieren. Er ist hier, um zu gewinnen.

Fast genau drei Stunden wird der Boss mit seiner legendären E Street Band die erste von drei Deutschland-Shows auf der kurzen „Land of Hope and Dreams”-Europa-Tour spielen, eine kleine Zugabe nach ausgedehnter Konzertreise in den vergangenen beiden Jahren. Der 75-Jährige erscheint in edlem Zwirn: Hemd, Weste, Krawatte. Es gab Zeiten, da war sein Kleidungsstil deutlich dürftiger. Stirnband und Shirts mit abgeschnittenen Ärmeln. An der bahnbrechenden „Born In The U.S.A.”-Tour Mitte der 80er-Jahre war auch nicht alles gut. Aber Springsteen darf das. Der Boss darf alles. Manchmal denkt man: So wichtig wie jetzt war er noch nie. Das ist vermutlich Quatsch. Aber er tut gut. Richtig gut.

Jedes Konzert von Bruce Springsteen müsste man dieser Tage eigentlich mit einer Triggerwarnung für Donald Trump versehen. Kaum jemand im amerikanischen Showbusiness stellt sich derzeit dem autokratischen Präsidenten derart vernehmlich entgegen wie er. Außer vielleicht noch Robert de Niro. Erst allmählich weicht unter den amerikanischen Kulturschaffenden die Schockstarre, die ganz viele seit der Wiederwahl des gelbhaarigen Wüterichs befallen hat. Und das liegt tatsächlich vor allem am Boss. Ein Mann reckt ein Schild hoch: „Bruce for President”. Gute Idee eigentlich.

Bruce Springsteen: Das Amerika, über das er seit 50 Jahren schreibt

Zum Tourauftakt am 14. Mai in Manchester hat Springsteen eine Serie von Ansprachen zur Lage der Nation etabliert, die er fortan bei jedem Konzert performen wird. Und seither ist Donald Trump so richtig auf der Zinne. Aber der Reihe nach.

Auch in Berlin gibt’s gleich nach der Begrüßung in deutscher Sprache noch vor dem ersten Song auf Englisch Klartext vom Boss. „The mighty E Street Band is here tonight to call upon the righteous power of art, of music, of rock ‘n’ roll in dangerous times. In my home, the America I love, the America I’ve written about, that has been a beacon of hope and liberty for 250 years, is currently in the hands of a corrupt, incompetent and treasonous administration.“

Über die Leinwände läuft die deutsche Übersetzung dazu. Donnernder Applaus. Und los rollt die um einen Bläsersatz und einen Backroundchor aufgemuskelte, mächtige E Street Band mit „Ghosts” vom 2020er Album „Letter To You”. Und ballert die erste Stunde fast ohne Pause durch, als gäbe es kein Morgen. Volle Kraft voraus. Und wie.

Max Weinberg trommelt wie ein Berserker. Roy Bittans Piano perlt durch die Songs. Little Steven van Zandt streut feine Gitarrenlicks ein. Garry Tallent zupft stoisch seinen Bass. Jake Clemons trägt das Erbe seines verstorbenen Onkels Clarence Clemons am Saxophon weiter. Der „Big Man“ fehlt immer noch, immer wieder, trotzdem. Nils Lofgren bleibt auch diesmal der beste unterbeschäftige Gitarrist der Musikgeschichte, immerhin kriegt er auf dieser Tour zwei Soli zugeteilt, bei „Youngstown” und „Because The Night”. Letzterer Song wurde bekanntlich in den 70er Jahren von Springsteen angefangen und von Patti Smith beendet. Es ist einer der wenigen Songs der ersten beiden Drittel des Konzerts, den mit Springsteen nicht so tief befasste Konzertgänger in Berlin kennen dürften. 

Die großen Hits kommen spät, aber mit Macht

Das ist ja das Faszinierende an einer Springsteen-Show. Es wird die ersten beiden Stunden lang keine Greatist-Hits-Orgie. Bis zum Zugaben-Teil spielt die E Street Band tatsächlich nur einen einzigen Song vom 1984er-Mega-Album „Born In The U.S.A”, und dabei war „No Surrender“ damals nicht einmal eine der sieben Hit-Singles.

„Hungry Heart” und „The River“, mit großartiger ausgedehnter Falsetto-Coda, können allenfalls noch als bekannt vorausgesetzt werden. „Land of Hope and Dreams”, Ende der 90er-Jahre geschrieben und für das 2012er Album „Wrecking Ball” zu einer komplexen Gospel-Großartigkeit mit „People get ready”-Outtro arrangiert, fällt leider beinahe dem gewohnt grauenvollen Sound im Olympiastadion zum Opfer.

„Two Hearts”, einer von vier Songs des 1980er Doppelalbums „The River”, ist eine von zwei Tourpremieren des Abends. Das allegorische „Rainmaker“, ebenfalls von „Letter To You”, widmet Springsteen dem „dear leader” aus dem Weißen Haus, auch wenn der Ursprung des Songs eigentlich aus der Ära von George W. Bush datiert. Wir erinnern uns dunkel: Das war einst der schlechteste US-Präsident aller Zeiten. Heute wünscht man ihn sich fast zurück. Diese Welt ist ein verfluchtes Irrenhaus.

Springsteen singt über den „kriminellen Clown“ im Weißen Haus

Der emotionale Ankerpunkt des Konzerts liegt ziemlich genau in der Mitte der Show mit einem Songtrio, wie man es sich emotionaler schwerlich vorstellen kann. „Long Walk Home”, ursprünglich ebenfalls als Abrechnung mit der Bush-Regierung auf dem 2007er Album „Magic” erschienen, hat Springsteen unmittelbar nach Trumps Wiederwahl im vergangenen November wieder ins Konzertprogramm aufgenommen, mit der finalen Strophe über die Fahne über dem Gerichtsgebäude, die verschiedene Dinge bedeutet, die „set in stone“ sind, in Stein gemeißelt: „Wer wir sind, was wir tun und was nicht.” 

Dann zelebriert der Boss allein auf der Akustischen „House of a Thousend Guitars”, mit fragilem, eindringlichen Gesang, wieder läuft der Text auf Deutsch hinter ihm mit: The criminal clown is on the throne/He steals what he can never own/May the truth ring out from every small town bar/We’ll light up the house of a thousand guitars”.

Eine Frau aus der ersten Reihe begehrt für ihr 30. Konzert eine Umarmung vom Boss… Foto: Erik Heier

Und schließlich „My City of Ruins”, dieses Lied, das schon alle möglichen Bedeutungen mit Grandezza ausgefüllt hat, die Botschaften aufsaugt wie ein Schwamm, sich ihnen öffnet wie eine wundersame Blume. Erst war es ein Gebet für Springsteens einst im Niedergang befindliche Herzensgemeinde Asbury Park. Nach 9/11 wurde es zum Trostspender für die verwundete Nation. Als die E Street Band-Gründungsmitglieder Danny Federici und Clarence Clemons starben, wandelte es sich zur Trauerarbeit der verbliebenen, überlebenden Band. Und jetzt ist es das Lied zur schwierigen Lage der Nation. Und immer, immer, immer, auch ein verdammter Gottesdienst von einem Song, eine Kathedrale der Musik. Wer da keine Gänsehaut bekommt, muss eine Epidermis aus Leder haben und ein Herz aus Stein.

Und Springsteen leitet auf dieser Tour den Song mit einer langen Rede ein, er sitzt dabei am Bühnenrand, und listet eloquent und eindringlich die Unfassbarkeiten der Trump-Administration auf. Menschen, die verfolgt werden, weil sie ihr Recht auf eine abweichende Meinung wahrnehmen. Das „sadistische Vergnügen”, loyale Arbeiter zu verfolgen. Eine Mehrheit der gewählten Volksvertreter, die dabei versagt haben, das amerikanische Volk vor eine unfähigen und bösartigen Regierung zu schätzen. „This is happening now!” Das passiert jetzt. 

Aber wo ein Bruce ist, ist auch Hoffnung. Springsteen schließt die Rede mit dem schwarzen Schriftsteller James Baldwin: „In this world, there isn’t as much humanity as one would like, but there’s enough.“ Darauf ein Gebet.

Der epische Springsteen-Trump-Zoff

Donald Trump hat auf diese Worte nach Manchester so reagiert, wie Donald Trump reagiert, wenn Donald Trump etwas ärgert. Er hat sein Handy in die Hand genommen und wie ein beleidigter Pennäler den inneren Jammerlappen ausgewrungen. Irgendwas über Springsteens welke Haut, und dass er dessen Musik ja noch nie mochte. Wo Springsteen Trump politisch attackiert, beleidigt Trump in einer der tiefer liegenden Schubladen. Man wird sehen, ob seine Schergen Springsteen bei der Einreise irgendwelche Probleme bereiten. Wundern würde man sich darüber nicht.

Springsteen gegen Trump, dieser Zoff hat mitunter epische Züge. Und dann wieder höchst groteske. Was nicht am Boss liegt. Natürlich nicht. Last Man Standing.

… und die glückliche Dame wird erhört. Foto: Erik Heier

Ein Springsteen-Konzert ist vieles. Gottesdienst und Tanzveranstaltung

Letztlich ist ein Springsteen-Konzert so vieles. Ein Akt der Befreiung. Ein Gottesdienst. Ein Kraftquell.Ein katharische Reinigung. Eine Party. Eine Tanzorgie. Die Arme hoch, die Herzen auf. Springsteen, der Charismatiker des Rock’n’Roll. Eine Frau in der ersten Reihe hält ein Schild hoch, darauf steht: „30 Shows. Time for a hug?” Bruce tut ihr den Gefallen. Eine andere Frau bekommt eine Mundharmonika und schiebt sie unter ihr Shirt. Nah am Herzen.

Ab „Because The Night” gibt es kein Halten mehr, diese Passage ist seit zwei Jahren immer dieselbe, rauschhafte Abfolge von Kracher-Songs. „Wrecking Ball”, „The Rising”, „Badlands” (mit doppeltem „false ending”), „Thunder Road”. Als mit dem donnernden „Born In The U.S.A”, dessen ikonischen Refrain Springsteen seit der “Rising”-Tour von 2002/03 etwas gewöhnungsbedürftig phrasiert, der Zugabenteil beginnt, gehen alle Lichter im Stadion an. Jetzt setzt es Hit an Hit. Für Raritäten-Freunde ist die aktuelle Setlist keine Feierstunde. Aber hier geht niemand unzufrieden nach Hause. „Born To Run”, bang! „Seven Nights To Rock”, die andere Tourpremiere, smash! „Bobby Jean”, ein Meer an wogenden Händen. „Dancing In The Dark”, Jessas! „Tenth Avenue Freeze-Out”, Arschwackeln! Ein eher kurzes „Twist and Shout”, könnt ihr etwa noch?

Ein Dylan-Cover für die Fans aus Ost-Berlin von 1988

Pünktlich zur anwohnerfreundlichen Lärmschutzgrenze um 22 Uhr ist dann wirklich Schluss. Es ist das bislang längste Konzert der Europa-Tour. Der 29. und letzte Song eines zuverlässig fantastischen Abends ist ein beseeltes Bob Dylan-Cover, „Chimes of Freedom”. Den Song hat die E Street Band zuletzt auf der 1988er „Tunnel of Love-Express”-Tour gespielt. Springsteen widmet ihn den Fans, die damals in Ost-Berlin beim legendären Konzert an der Radrennbahn Weißensee dabei waren.

Wie der Autor dieses Textes, der spätestens jetzt etwas Feuchtes in den Augen spürt. 37 Jahre ist das jetzt her. Es fühlt sich immer noch an, als wäre es gestern gewesen. Manche Momente des Lebens vergehen nie. Sie bleiben Wegbegleiter für immer. Jeder hat doch ein hungriges Herz.

Irgendwo dort wird auch das Konzert im Olympiastadion seinen Platz bekommen. Ganz nah am Herzen.

Danke, Boss. Komm bald wieder.


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