Berlin global

Der Soundtrack der Stadt

Die neun wichtigsten Club-Tracks, die Berlin zum Thema haben – und damit das weltweite Image der Stadt mitgestalteten

David Bowie – Neuköln (1977) Lange Jahre stand die Weltmusenstadt Berlin ja eher für Herbert von Karajan und Hildegard Knef. Wäre David Bowie der Spur des Koks’ nach München gefolgt statt in Schöneberg Entzug zu machen, wäre das vermutlich noch eine Weile so geblieben. So entstand mit Brian Eno ein Gemisch aus Düsseldorfer Früh-Electro, türkischer Ornamentik, Mauerstadt-Depressionen und fehlendem L, das das Selbst- und Sendungs­bewusstsein des Berliner Scheißegal-Underground mächtig aufblies und die Stadt zum ersten Mal tatsächlich cool machte.

Seine Berliner Zeit ist legendär: David Bowie lebte mit Iggy Pop zusammen in Schöneberg

Malaria! – Kaltes Klares Wasser (1983) Natürlich ist dieser West-Berlin-Klassiker vor allem und offensichtlich ein avantgardistischer New-Wave-Track, wie ihn die Berliner Szene der frühen Achtziger jeden Tag zum sehr späten Frühstück aufnahm und sich damit mehr und mehr zu einem wahnwitzigen Magnet für Künstler*innen entwickelte. Angelegt ist darin aber die Musikgeschichte der nächsten Jahrzehnte: Gudrun Gut macht mittlerweile mit den schönsten Techno der Stadt, und ein Remix der Chicks On Speed wurde 2000 zum Dance-Charthit.

3Phase feat. Dr. Motte – Der Klang der Familie (1992) Familie: So hat sich Rave in Berlin wohl einmal angefühlt. Niemand weiß, wo man gerade ist, aber was soll’s, es gibt 180 bpm. Tresor, Bunker, Pille, Tanzen in Leerstand, auf der Brache und in der enteigneten Villa – das ist leicht als Klischee abgestempelt. Und doch: In den Temporären Autonomen Zonen des Nachwende-Berlins konnte man Rudimente von Utopien leben, die hoffentlich manchmal auch weniger nervös waren als dieses geile Acid-Massaker. Und spätestens, wenn Dr. Motte im Sommer zur Loveparade rief, folgten dann auch die Massen aus In- und Ausland seinem Ruf ins Herz der Stadt.

Ellen Allien – Stadtkind (2001) Würde es nicht ihr ­schlimmer Achtziger-Jahre-Humor-Name verraten, niemand käme auf die Idee, dass Ellen Allien schon seit drei Jahrzehnten den ­Techno in diesem Land bestimmt, so frisch klingt noch immer jedes ­einzelne ihrer Sets, jede Platte auf ihrem Label BPitch Control. Ihre ­Hommage an Berlin setzt einen experimentell-euphorischen Startschuss ins dritte Jahrtausend: „Stadtkind“ sagt selbstbewusst Ja! zu einer großen Stadt in Bewegung und machte nicht nur innerhalb der Szene Lust auf die Morgen nach den zu langen Nächten: ­„Berlin, du gibst mir die Kraft, ich bin ein Teil von dir.“

Lützenkirchen – 3 Tage wach (2008) Berlin inspiriert, zum Beispiel die Jugend von Neustadt a. d. Weinstraße, Rendsburg und Kaarst, auch einmal dieses Speed zu schnubbeln. Wie hier gefeiert wird, weiß seit diesem viralen Hit aber auch wirklich jede*r. 

Paul Kalkbrenner – Train (2008) Noch too soon, ne? Wenig hat das Bild von Berlin als Partymetropole in Zeiten der EasyJet-Internationale so stark geprägt wie Paul Kalkbrenners Performance im DJ-Film „Berlin Calling“. Der technoide Soundtrack, hier featuring DJ S-Bahn, ist absolut auf der Höhe seiner Zeit, der Sound der Stadt war dann lange um das Klackern von Rollkoffern reicher.

Dirty Doering – Bye Bye Bar25 (2010) Alles, was wir der Bar25 zu verdanken haben, ist diese unsägliche Endless-Summer-Techhouse-Pest (und zugegebenermaßen ein paar der geilsten stadtraumpolitischen Experimente seit der Wende). So klingt Berlin im Rest der Welt? Das ist okay, schließlich ist niemand bekannt für das, was er*sie liebt. Wenn dort zur Mittagsstunde so laid back aufgespielt wurde wie dieser Track, dürften den Berlinbesucher*innen des letzten Jahrzehnts nur wenige Orte exotischer vorgekommen sein als der legendäre Bretterverhau an der Spree. Also: Auf die nächsten 15 projektreichen Jahre, Dirty Doering!

Aérea Negrot – Berlin (2011) Und dann war wieder ­Roaring Twenties: Aérea Negrot ist, wie Berlin sich selbst sieht: queer, schillernd, in großer Eleganz unberechenbar – vor allem aber nicht kartoffelig. Gut, dass die aus Venezuela stammende Künstlerin, die Operette, Pop und Techno verbindet, in diesem Klaviertrack mit Charme und Chuzpe davon erzählt, wie sie auf der Straße angegafft wird. Berlin ist dann eben „eine kleine, alkoholische, unfreundliche Kuh“, und ja, das trifft es doch auch ganz gut.

Ry X – Berlin (2013) Wie sich Ry X da nackig in einer unsanierten Altbauwohnung auf dem schalen Parkett räkelt – man könnte glauben, der Clip zum Hit „Berlin“ wäre ein Werbefilm für Leipzig! Dabei zeigt der Songwriter, der vor seinem Durchbruch ein Projekt mit Frank Wiedemann von der Berliner House-Legende me betrieb,  nur, wie die große Berlin-Story der ewigen Neuanfänge in der -improvisierten Stadt noch immer fasziniert – selbst dann, wenn die Utopien längst eingehegt scheinen.

Ry X musiziert mit Mitgliedern des Deutschen Filmorchesters Babelsberg am Donnerstag den 7.3. ab 20 Uhr in der Verti Music Hall

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