Open-Air-Konzerte

Die Ärzte live: Ein Dankeschön an eine frühe Lieblingsband

Geschmack ändert sich, die meisten Künstler sind irgendwann peinlich oder schlimmer. Nicht so Die Ärzte. Die Berliner Punkformation gibt es über 40 Jahre, und immer noch versammeln sie Fans aller Altersklassen. Im Sommer 2024 spielen Bela, Farin und Rod auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof. Ein Dankeschön an eine frühe Lieblingsband.

Die Ärzte sind die größte Band Berlins. Foto: Jörg Steinmetz

Die Ärzte sind Berlin durch und durch

Auf die CDs, die ich als Kind brannte, packte ich normalerweise zwölf Songs. Zehn davon waren von Die Ärzte, egal für wen der Mix bestimmt war. Opa mochte „Buddy Holly’s Brille“, die Eltern kannten „Westerland“ noch von früher und meine Kumpels lachten über „Meine Ex(plodierte Freundin)“. Ich fand alles toll. „Zu Spät“ und „Paul“ waren Kindheitssongs, obwohl ich sie erst 20 Jahre nach der Veröffentlichung kennenlernte. „Schlaflied“, „Geschwisterliebe“ und „Elke“ waren Provokation. Bei bestimmten Zeilen hustete man lieber laut, bei anderen wusste man gar nicht erst, was sie bedeuten. Vielleicht besser so. Die Ärzte waren meine erste Lieblingsband. Es könnte schlimmer sein.

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Und hey, Bela B kommt aus Spandau. So wie ich. Darauf war ich als Zehnjähriger stolz. Außerdem ging er auf dieselbe Schule wie meine Mutter. Wahnsinn! Ich bin sogar mal im Ballhaus Spandau gewesen, wo sich Bela B und Farin Urlaub 1980 kennenlernten. Meine alten Helden begegnen mir immer wieder. Auf Festivals, im Radio und im Büro: Im Bücherregal gegenüber von meinem Schreibtisch steht ein Foto des 2016 verstorbenen Hagen Liebing, der beim tip Musikredakteur war und davor Bass bei Die Ärzte spielte. Immer wenn ich das Bild sehe, bin ich traurig, dass ich ihn nicht mehr kennenlernen durfte.

Die Ärzte sind Berlin durch und durch. Jeder hier hat seine eigene Verbindung zur „besten Band der Welt“. Legendäre 1980er-Konzerte mit ein paar hundert Punks im Metropol, die große „15 Jahre Netto“-Sause 2002 mit zehntausenden Fans auf dem Mariannenplatz, oder jetzt, mehr als 40 Jahre nach den Anfängen, Open-Air-Auftritte auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Gleich drei Abende hintereinander. Die Stadt bekommt nicht genug von Belafarinrod. Und nun sind es insgesamt mehr als 100.000 Menschen, die nochmal ihre Kindheitslieder hören wollen oder neue Lieblingssongs entdecken.

Die Ärzte spielen drei Open-Air-Konzerte in Berlin

Ich habe Die Ärzte übrigens auch das erste Mal am ehemaligen Flughafen gesehen. 2013 war das. Mit NOFX als Vorband! Meine Punkrock-Phase hatte ich da eigentlich schon längst hinter mir. Die erste zumindest. Fat Mike aus Newton, Massachusetts und Bela B  aus Berlin-Spandau wollte ich mir nicht entgehen lassen. Das hätte mir mein Kindheits-Ich auch nie verziehen. Meine Eltern machten derweil lieber einen Spaziergang durch den Kiez. Sie kennen die Band ja nun auch wirklich schon lange genug. Trotzdem fühlte sich dieser Abend an wie ein Familientreffen. Und ich glaube, Ärzte-Konzerte sind immer so. Die alten Fans aus West-Berlin wohnen inzwischen im Speckgürtel und bringen ihre Kinder und Enkelkinder mit. Hier kommt viel zusammen, ohne dass es unangenehm wird.

„This Instrument deafens facists“: Die Ärzte stehen für die richtigen Sachen ein. Und Bela B kommt aus Spandau. Foto: Imago/Lars Heidrich/Funke Foto Services 

Das berühmteste Trio der Hauptstadt war ja auch irgendwie immer für alle da. Zu poppig für die Punk-Hardliner, zu frech für das Schlagerradio, zu lustig fürs Fernsehen – und immer direkt und politisch. Seit Jahrzehnten stellen sich Farin Urlaub, Rodrigo González und Bela B klar gegen rechte Positionen. Bei den Konzerten dürfte man viele T-Shirts mit „Ärztefans gegen Rechts“-Aufdruck sehen. Vielleicht spielen sie ja auch den Statement-Hit „Schrei nach Liebe“.  Ihre Tourneen führen Die Ärzte seit 2007 schon klimaneutral durch.

Hier kommt viel zusammen, ohne dass es unangenehm wird

Die drei Berlin-Konzerte sind auch nach dem nachhaltigen „Cradle to Cradle“-Prinzip geplant. Gegen-Rechts und Umweltschutz: wichtig, dass sich auch Stars über 60 dafür einsetzen. 2022 ging die Band auf eine Tour durch Berlin, um kleine Locations nach der Pandemie zu unterstützen. Ärzte helfen halt, wo es geht. Bei dem Konzert im Schokoladen wäre ich gerne dabei gewesen. Meine Mutter war in der Zitadelle.

Die-Ärzte-Fans müssen sich, abgesehen von einer immer größer werdenden Anzahl an Boomer-Witzen – einen Song über Siri und Alexa findet wirklich niemand in meinem Alter lustig – nicht für ihre Lieblingsband schämen. Das können nicht viele Musikveteranen behaupten. Und anders als viele Kollegen haben die Berliner nie ein großes Ding aus ihrem Engagement gemacht. Spandauer Bescheidenheit vielleicht?

Ich erinnere mich auf jeden Fall gerne an den Abend auf dem Flughafen vor elf Jahren. Meine Eltern vergessen ihre ersten Die-Ärzte-Konzerte sicherlich auch nicht. Obwohl die wirklich fast 40 Jahre her sind. Vielleicht findet mein Opa in seinem CD-Schrank diesen seltsamen Mix, den ich damals für ihn aufgenommen habe. „Smells Like Teen Spirit“,  zehn mal Die Ärzte und „While My Guitar Gently Weeps“.

Meine alte Lieblingsband ist seitdem nie wieder auf einer CD von mir gelandet. Aber wer brennt schon noch CDs? Vielleicht schleicht sich ab und zu doch nochmal „Teenager Liebe“ in eine Playlist. Und wenn ich Karaoke singen müsste, wäre „Zu Spät“ eine sichere Nummer. Die Songtexte stecken auf jeden Fall weiterhin in meinem Kopf fest. Bestimmte Lieder, Bands und Menschen gehören einfach zum Leben dazu, obwohl man sie immer mal wieder aus den Augen verliert.

So ist das auch bei Ärzten. Selbst wenn man mal wieder einen Termin verpasst: Man ist doch froh, dass sie da sind.

  • Flughafen Tempelhof Platz der Luftbrücke 5, Tempelhof, Fr 23.8.–So 25.8., 16.30 Uhr, Sa ausverkauft, Tickets für Fr+So 82 €, Sozialticket 20 €, weitere Infos und Tickets hier

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Eine andere Lieblingsband: Tocotronic. Eng verbunden: Wir erzählen die Geschichte von Die Ärzte in Berlin. Die Stadt hat Legenden geprägt: Wir zeigen euch David Bowies Zeit in Berlin. Sie waren von unschätzbarer Bedeutung für deutschsprachige Rockmusik: Ton Steine Scherben – ihre Berlin-Geschichte erzählen wir hier. Ihr interessiert euch für Musikgeschichte? Dann besucht unbedingt mal die Pilgerstätten für Musikfans in Berlin. Auf dem Laufenden bleiben: Unsere Konzerte der Woche in Berlin. Immer neue Texte über Musik findet ihr hier.

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