Musik und Film gehören für Jim Jarmusch zusammen. Von den Anfängen im Post-Punk über die Arbeit mit Tom Waits, Screamin‘ Jay Hawkins und RZA bis zu den Dokus über Neil Young und The Stooges. Jetzt ist der Regisseur mit seiner Band Sqürl auf Tour.
Gut, dass Jim Jarmusch ein Schwamm ist
Gut, dass Jim Jarmusch ein Schwamm ist. Als solchen, als einen „Cultural Sponge“, einen „Kulturschwamm“ also, hat ihn der niederländische Komponist und Lautenspieler Jozef van Wissem einmal bezeichnet. Van Wissem ist ein Freund und Kollege Jarmuschs, unter anderem haben die beiden für den Soundtrack des Vampirfilms „Only Lovers Left Alive“ (2013) zusammengearbeitet. Der Begriff des Schwamms trifft auf das Schaffen des berühmten US-Filmemachers Jarmusch in vielerlei Hinsicht zu, vereint er doch in seinem Werk Einflüsse aus sehr vielen verschiedenen künstlerischen Epochen und Genres – jetzt kommt er etwa nach Berlin, um mit seiner Band Sqürl vier Stummfilme des Avantgarde-Künstlers und -Fotografen Man Ray zu unterlegen.
In den Filmen, die Jarmusch gedreht hat, spielte Musik oft eine tragende Rolle. Für „Broken Flowers“ (2005) komponierte etwa Ethio-Jazz-Legende Mulatu Astatke (neben weiteren) den Soundtrack, in „Limits of Control“ (2009) war die dronig-noisige Zeitlupenmusik der Bands Boris oder Sunn O))) zu hören. Und in „Coffee and Cigarettes“ (2003) kam gar Gustav Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ vor, in der Version von Janet Baker. Mit „Year of the Horse“ (1997) über Neil Young und Crazy Horse produzierte Jarmusch überdies einen der berühmtesten Tour-Dokumentarfilme überhaupt. Da passt es, dass er einmal gesagt haben soll, Musik sei für ihn die „höchste und schönste Form des Ausdrucks“.
Jim Jarmusch: „Für mich ist Musik wie Lockerlassen“.“
Für den inzwischen 69-jährigen Regisseur bildet das eigene Musikmachen einen Gegenpol zu seiner Arbeit im Filmgeschäft. Vor einigen Jahren sagte Jarmusch dem Guardian: „Ich liebe es, Filme zu machen. Ich liebe die Zusammenarbeit mit Menschen. Ich liebe den ganzen Prozess. Aber es sind eine Million Fragen, die ständig beantwortet werden müssen.“ Dies sei bei der Musik völlig anders: „Für mich ist Musik wie Lockerlassen. Es geht darum, mit wenigen anderen Menschen zu kommunizieren, nicht mit Worten, und einfach zu sehen, wohin es führt.“
Jim Jarmusch, der lange Schlacks mit den struppigen grauen Haaren, der oft wie der Inbegriff des Mr. Cool wirkt, ist ein Faktotum des New Yorker Underground. In den frühen Achtzigern umgab er sich mit Künstlern wie John Lurie und Tom Waits, die man auch aus seinen Filmen „Stranger Than Paradise“ (1984) und „Down by Law“ (1986) kennt. Diese Filme, die beide von Außenseitern handeln, machten Jarmusch zu einem Helden des Independent-Kinos. Jarmusch hat auch früher schon eigene Musik gemacht, so war er Keyboarder und Sänger der No-Wave-Band The Del-Byzanteens, die Anfang der Achtziger ein Album und zwei EPs veröffentlichte.
Sqürl ist eine Band, die Jarmusch gemeinsam mit dem Produzenten Carter Logan betreibt, das Duo gründete sich während der Arbeit an dem Film „Limits Of Control“ im Jahr 2009. Als damals ein passendes Stück für den Soundtrack fehlte, schusterten Logan und Jarmusch kurzerhand selbst eine passende musikalische Untermalung zusammen – und fertig war die neue Gruppe, die sie zunächst Bad Rabbit und später Sqürl nannten. Auch für die Filme „Paterson“ (2017) und „The Dead Don’t Die“ (2019) spielten sie den Soundtrack ein, zudem veröffentlichten sie mehrere EPs jenseits der Filmmusik.
Logan und Jarmusch bilden die Stammbesetzung von Sqürl, doch immer wieder sind auch Gastmusiker:innen involviert. Neben Van Wissem wirkte etwa noch Zola Jesus am Soundtrack von „Only Lovers Left Alive“ mit. Auch Shane Stoneback, Produzent von Vampire Weekend, ist regelmäßig an den Aufnahmen beteiligt. Zu dem merkwürdigen Namen der Band hat sich Jarmusch nie wirklich geäußert, man kann nur Mutmaßungen anstellen, welche Bedeutung von Sqürl gemeint ist. Sqürl spricht sich im Englischen ähnlich wie „squirrel“, also Eichhörnchen, und da auch auf einigen EPs ein Nager abgebildet ist, dürfte mit dem Bandnamen wohl das flinke Tierchen gemeint sein.
Bei Sqürl bedient Jarmusch Gitarre und Synthesizer
Bei Sqürl bedient Jarmusch Gitarre und Synthesizer, er nutzt dabei viele verschiedene Effektgeräte. Virtuosität interessiert ihn als Musiker herzlich wenig. „Ich bin kein Gitarrist. Ich habe keine einzige Gitarrenstunde in meinem Leben genommen, abgesehen von einigen Stunden bei Tim Wright von den Bands Pere Ubu und DNA. Aber er hat damals nicht versucht mir irgendetwas beizubringen, er hat mich stattdessen dazu gebracht, extrem schräge Akkorde zu spielen“, erklärte er in einem Interview vor einigen Jahren. Und weiter: „Die E-Gitarre ist eine der schönsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts, aber ich nutze sie eher als eine Art Noise Generator.“ Entsprechend experimentell klingt die Musik von Sqürl. Oft ist sie repetitiv, Logan und Jarmusch arbeiten mit Loops und orientieren sich an den Genres Drone und Doom, bei denen es darum geht, die verzerrten Gitarrentöne lange klingen und schwingen zu lassen.
Zum wohl wichtigstem musikalischen Kollaborateur Jarmuschs ist in den vergangenen Jahren eben jener Jozef van Wissem geworden. Kennengelernt haben sich die beiden zufällig, als sie sich 2006 auf den Straßen New Yorks begegneten. Sie wurden Freunde und arbeiteten schon bald zusammen, später spielten sie auch einige gemeinsame Alben in Duo-Besetzung ein. Die filmische Arbeitsweise seines Freundes Jarmusch hat der Niederländer einmal so beschrieben: „Jim dreht seine Filme wie ein Musiker. Er hat Musik im Kopf, wenn er ein Drehbuch schreibt. Er ist dabei mehr von Tonalitäten geprägt als von irgendetwas anderem.“
Gleiches gilt, wenn man so will, umgekehrt. So wie die Filme eine musikalische Sprache haben, wirkt Jarmuschs Musik oft cineastisch. Die Assoziation „Klanglandschaften“ kommt einem nicht ohne Grund als erstes in den Sinn, wenn man Sqürl-Stücke wie etwa „Pink Dust“ (2013) hört. Darin ist deutlich der Einfluss der japanischen Noise-Combo Boris zu hören, ähnlich wie bei jenen stehen flächige, roughe Gitarrensounds mit nur leichten Klangverschiebungen im Vordergrund, die Nuancen und das Hören der Obertöne machen den Reiz dieser Musik aus. Bei Stücken wie „The Dark Rift“ (2017) dagegen zeigt sich auch die Offenheit für Metal-Riffs und Industrialklänge.
Zur musikalischen Untermalung für die Schwarz-Weiß-Filme Man Rays dürften diese Sounds perfekt passen. Ausgewählt haben Logan und Jarmusch dessen Werke „Le retour à la raison“ (1923), „Emak Bakia“ (1926), „L’étoile de mer“ (1928) und „Les mystères du château de dé“ (1929). Ähnlich experimentell und erratisch wie in jenen Filmen des großen US-amerikanischen Dadaisten und Surrealisten könnte am Konzertabend auch die Musik dazu klingen – wenn der Schwamm ausgewrungen wird.
- Volksbühne Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte, Sa 28.1., 20 Uhr, online
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