Konzerte

Randbezirk Vol. 1 im SO36: So war der Start der neuen Reihe

„Randbezirk“ bringt politischen Rap zurück ins Zentrum: Mit OG LU und bangerfabrique feierte die neue Hip-Hop-Reihe im SO36 ihren Auftakt. Die erste Ausgabe stand klar im Zeichen von FLINTA*-Artists – künftig will „Randbezirk“ mit diversen Line-ups überzeugen, die Haltung und Vielfalt vereinen.

Die Frankfurter Rapperin OG LU bei der ersten Ausgabe von Randbezirk im SO36. Foto: Randbezirk Events

OG LU & bangerfabrique: Hip-Hop aus Frankfurt und Hamburg 

Donnerstagabend, Himmelfahrt, Kreuzberg. Vor dem SO36 strömen Menschen über die Oranienstraße, Musik aus den Spätis, Bier in der Hand, frühsommerliche Feiertagsstimmung. Doch drinnen kündigt sich ein anderer Ton an – weniger Leichtigkeit, mehr Protest. Mit „Randbezirk Vol. 1“ startet eine neue Eventreihe, die sich dem politischen Potenzial von Rap widmet: als Sprachrohr, Rebellion, Kollektivgefühl.

Der Name mag geografisch in die Irre führen – Kreuzberg ist nun wirklich kein Randbezirk. Aber inhaltlich trifft er einen Nerv: Im Fokus dieser ersten Ausgabe stehen FLINTA*-Artists, deren Perspektiven im Mainstream oft an den Rand gedrängt werden.

Das Publikum? Jung, gut drauf, politisiert. Zwischen Glitzer und Baggy Pants feiert eine Crowd, die nicht nur wegen der Musik da ist, sondern wegen dem, was durch sie möglich wird: Sichtbarkeit, Selbstbestimmung, Räume jenseits männlich dominierter Narrative. An diesem Abend ist das SO36 kein nostalgischer Ort für Subkultur, sondern ein sehr gegenwärtiger Ort für eine neue Szene, in der Rap nicht angepasst, sondern angriffslustig klingt.

bangerfabrique: Zwischen Cornern und Kampfansage

Der Abend startet mit einem Set der Frankfurter DJ DIA. Als gegen 20.30 Uhr bangerfabrique die Bühne betreten, springt der Funke über – die Energie im Raum dreht auf. Die Musik der Hamburger Rapcrew knallt, aber sie hat Substanz. Tracks wie „Top oder Kleid“, „Fake Lashes“ oder „DUMM“ kommen mit sattem Bass und punchy Hooks, klingen nach UK Club und Trap, machen Bock zu tanzen – und treten gleichzeitig nach oben. Auch ohne Melle, die an diesem Abend fehlt, funktioniert das Zusammenspiel: Schwesta Şerah und Roof am DJ-Pult, Emmamaelo und Nebou am Mic. Kein Ego-Game, sondern ein geteiltes Momentum.

Dass bangerfabrique gerade erst loslegt, merkt man dem Hype an: Splash!, Fusion, Reeperbahn Festival – die Gigs werden größer, die Songs zahlreicher. Seit 2023 haben sie sieben Singles veröffentlicht – von der Solo-Debütsingle „Kumma das Ding ist“ bis zur Kollektiv-Hymne „bfqsexuell“ und der neusten EP „welcome to the groupchat“. Ihre Songs feiern queeres Begehren ebenso wie sie gegen patriarchale Verhältnisse anrappen.

Spätestens bei „Crash Out“, dem neuesten Track, ist klar, dass hier nicht einfach nur gebounct wird – hier wird abgerechnet. Der Song, am 1. Mai erschienen, ist eine wütende, glasklare Ansage an Täterstrukturen im Deutschrap – und an all jene, die sie dulden. Kein subtiler Diss, keine Metaphern, sondern blanke Konfrontation: „Death to all abusers – die, die, die“, rappen Emma und Nebou rotzig über einen scheppernden, rohen Beat. Auf der Tanzfläche wird mitgeschrien, es entsteht ein Gefühl von wütender Verbundenheit – kollektive Katharsis. 

Fuck off, fuck off
Warum bist du immer noch hier, huh?
Das war noch nie dein Revier, every abuser needs to disappear
Sie lügen für Fame und für buntes Papier
Machen auf taff, aber bangen um Ruf
Woran erkennt man Abuser?
Dass sie bald keiner mehr bucht

CRASH OUT – bangerfabrique

OG LU: Thaibox-Gym und Polizeikritik

OG LU braucht keine große Geste, um Präsenz zu zeigen. Auf der Bühne strahlt sie Ruhe aus – in sich selbst, in ihren Inhalten. Geboren und aufgewachsen in Frankfurt-Gallus, mit einem Bein in der linken Szene, dem anderen im Thaibox-Gym, erzählt OG LU von Gentrifizierung, Polizeigewalt und kollektiven Kämpfen. Songs wie „Riot“, „Bellydance“ oder „Paar Ecken Hish“ pendeln zwischen autobiografischer Ehrlichkeit und poetischer Militanz.

Die Crowd kennt jede Zeile, aber es ist keine Fan-Begeisterung im klassischen Sinn – eher ein geteiltes Wissen, ein gemeinsames Gefühl. OG LU ist keine Stimme „für“ eine marginalisierte Jugend, sie ist Teil davon. Und sie zeigt, wie politisch Rap wieder sein kann, wenn er sich nicht verkaufen will – sondern gehört werden muss.

So steuert der Abend auf seinen Höhepunkt zu, als OG LU die Kreuzberger Rapperin Wa22ermann für den gemeinsamen Track „Kitty Kat Flow“ als Überraschungsgast enthüllt, und schließlich bangerfabrique zurück auf die Bühne holt, um Shots an die jubelnde Crowd zu verteilen. 

Ein Space, der gebraucht wird

Dass das Event am Ende im SO36 stattfand, war nicht selbstverständlich. Ursprünglich war die Veranstaltung in der Musikbrauerei geplant – doch die Location sagte kurzfristig ab, aus politischen Bedenken, wie Veranstalterin Vanessa Todorovic berichtet. Naheliegend, dass die klaren Haltungen der Acts – etwa ihre Palästinasolidarität – dabei eine Rolle spielten. Ein Vorgang, der zeigt, wie politisch aufgeladene Kultur heute wieder unter Druck gerät – gerade wenn sie von queeren, nicht-weißen oder feministisch positionierten Künstler:innen kommt.

Umso wichtiger, dass es Orte wie das SO36 noch gibt – Räume, die offenbleiben für streitbare Stimmen. Denn während weltweit konservative Backlashes zunehmen, wird auch hierzulande spürbar: Inhalte und Identitäten, die vor ein paar Jahren noch „on trend“ waren, gelten plötzlich wieder als zu viel. Dabei sind genau diese Räume jetzt notwendiger denn je.

Und es geht weiter: „Randbezirk“ ist nicht als reine FLINTA*-Reihe gedacht – auch wenn die erste Ausgabe diesen Fokus gesetzt hat. Langfristig soll ein diverses, gleichberechtigtes Booking etabliert werden, das 50/50 denkt – in Repräsentation und Haltung. Die zweite Ausgabe ist bereits in Planung. Fast 500 Besucher:innen beim Auftakt? Ein deutliches Signal. Die Sehnsucht nach Rap mit Haltung ist da.


Mehr Musik

Wilde Hühner, böse Hasen – Zsá Zsá geht mit „bad bunnies“ viral. Herzlichen Glückwunsch: Berlins coolstes Underground-Pop-Label Mansions and Millions feiert Geburtstag. Sie hingegen feiert die lesbische Liebe: Die Berliner Rapperin Ebow im Porträt. Männlich dominierte Festival-Line-ups: „Dass keine Frau dabei ist, fällt oft nicht mal auf“, sagt Rike van Kleef, die die erste Studie zur Repräsentanz auf deutschen Festivalbühnen durchgeführt hat. Die mächtigste Frau in der deutschsprachigen Musikbranche ist Berlinerin: Wir haben Spotify-Chefin Conny Zhang zum Interview getroffen. „Das Album ist eine Liebeserklärung an Berlin, vielleicht noch mehr als das erste“, sagt Paula Hartmann. Wir trafen sie kurz vor der Veröffentlichung von „kleine Feuer“ zum Interview. Bloß nicht verpassen: Unsere Konzerte der Woche und die schönsten Festivals in und um Berlin.

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin