Jessica Pratt spielte am 25. November 2024 nach fast fünf Jahren wieder in Berlin – erstmals mit Band. Das Konzert der kalifornischen Songwriterin im Columbiatheater ist kurz, aber von überwältigender Schönheit.
Jessica Pratt in Berlin: Die pure Musik
Sie macht nicht viele Worte, nicht viel Kokolores. Jessica Pratt huscht ein paar Minuten nach 21 Uhr auf die Bühne des ausverkauften Columbia Theaters, stellt ein Weinglas und eine Wasserflasche ab: „Hello, how are you?” Sie setzt sich auf einen Stuhl, der ganz bequem aussieht, stimmt die Nylonsaiten ihrer Gitarre noch ein bisschen nach. Ihre vierköpfige Band nimmt ebenso dezent Platz. Tasten, Drums, Sax, zweite Gitarre. Schon diese ersten Augenblicke des Konzerts sind von bemerkenswerter Un-Posenhaftigkeit. Und dann geht es los: „World on a String”.
Fast fünf Jahre war die kalifornische Singer-Songwriterin Jessica Pratt nicht mehr in Berlin zu erleben, damals hatte sie im Heimathafen nur einen Keyboarder im bestuhlten Saal dabei. Jetzt ist sie erstmals mit vierköpfiger Band in der Stadt. Die Bühne ist in dunkles rotes Licht getaucht, das wird sich auch bis kurz vor dem Ende des kurzen Sets nicht ändern. Die Musiker:innen sind nur schemenhaft im Bühnennebel auszumachen. Nichts soll diese wundervollen Songs stören, die Jessica Pratt in der nächsten Stunde spielen wird, mit einer Setlist, die so felsenfest steht wie ein abschließend zuende gedachter Gedanke.
Vollerer Sound mit dem neuen Album
Mit ihrem vierten, von der Kritik ziemlich unisono gefeierten Album „Here in the Pitch”, im Mai diesen Jahres erschienen, hat die kalifornische Singer-Songwriterin ihren spartanischen Sound behutsam ausgebaut, hat den in den 1960s gründenden, traumwandlerischen Weird Folk der ersten beiden Alben mit Bossa-Nova-Texturen in Slow Motion akzentuiert, ihre sanft angeschlagene Akustikgitarre um ausgesuchte Drums, ein paar sparsame Piano- und Synthieklänge und ein dezentes Saxophon erweitert. Jessica Pratts klarer, immer eine Spur ätherischer Gesang schwebt darüber, als hätte er dafür genau jenen Hallraum aufgetan, der schon immer für diese Stimme vorherbestimmt schien.
Und das überwiegend halbjunge Publikum steht ergriffen dabei, diesmal also keine Stühle, und nimmt diese Perfektion in sich auf, auf dass dieses Gefühl noch lange vorhalten möge. Ein paar Handydisplays leuchten hier und da. Und ganz viele Augen.
Hochkonzentrierte Perfektion
Gut ein Dutzend Songs wird Jessica Pratt an diesem Abend intonieren, mehr als die Hälfte stammen vom neuen Album, die anderen sind von „Quiet Signs“ (2019) und zwei von „On Your Own Love Again“ (2015). Dessen Titeltrack ist die erste von zwei Zugaben. Und ein ganz besonderer Moment in einem ganz besonderen Konzert. Jessica Pratt und ihre Gitarristin Nico Leibman, die übrigens als Soloprojekt Harmony Index auch den Support bestritten hat, das kommt auch nicht so häufig vor, zelebrieren dieses „On Your Own Love Again” mit einer überwältigenden Wahrhaftigkeit und zarter Schönheit. Wenn man also an diesem Abend, neben der kurzen Spielzeit, eines bekritteln wollte, dann ist es diese hochkonzentrierte Perfektion, mit der diese Songs grandios performt werden. Da hakt nichts, ist keine Irritation, sind keine Fragen. Nur die pure Überwältigung. Aber wir wollen ja nicht kleingeistig mosern.
Dann ist es vielleicht auch nur konsequent, dass Jessica Pratt zwischen den Songs so gut wie keine Worte zwischen den Stücken verliert, kaum Ansagen macht, und, Gott bewahre!, schon gar nichts von sich gibt, das auch nur ansatzweise als Publikumsanimation gedeutet werden könnte. Auf dass wirklich nichts diese Songs in ihrer Wirkung beeinträchtigen möge.
Jessica Pratt: Beiläufig auf der Bühne
Nur kurz vor dem Ende des regulären Sets erzählt sie von einem Stau an der Grenze, der sie aufgehalten habe, am Abend vorher hat sie in Prag gespielt. Und dass man sie hinterher am Merch finden würde, nur reden werde sie dort leider nicht, das habe ihr ein Arzt wegen Stimmproblemen verboten.
Als sie schließlich genau so beiläufig von der Bühne huscht, wie sie gekommen ist, nicht ohne dabei ordentlich Weinglas und Flasche abzuräumen, ist der Applaus frenetisch. Und man steht ergriffen da und schaut auf die eben noch rot ausgeleuchtete Bühne, die letzten Nebelschwaden hinterher.
Und dieser Novemberabend tut sein Übriges dazu, er bringt eine untypische Wärme mit sich, als hätten die Türen des Columbiatheaters während Jessica Pratts Konzert offen gestanden. Als hätte der Abend etwas von der Wärme im Saal mit abbekommen.
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