Radioeins

Zum Abschied von Wolfgang Doebelings Radiosendung „Roots“ – Ende einer Ära

Am 27. Dezember 2020 endete ein Stück Berliner Radiogeschichte. Nach über 30 Jahren und 1633 Ausgaben lief auf Radioeins in jener Sonntagnacht zum letzten Mal Wolfgang Doebelings Sendung „Roots“. Von Country bis Soul, von Rock’n’Roll bis Blues, von Bluegrass bis Folk und Jazz reichte das Spektrum. Doebeling spielte Musik, die es sonst nirgendwo zu hören gab. Der Abschied war nicht freiwillig, es gab Verwerfungen mit der Sendeleitung, unschöne Dinge sind passiert. Die empörten Fans trauern und starteten eine Petition.

Der Berliner Musikjournalist und Radiomacher Wolfgang Doebeling moderierte mehr als 30 Jahre seine Sendung "Roots", die zuletzt von 1997 bis 2020 auf Radioeins lief. Foto: Privat/Archiv
Der Berliner Musikjournalist und Radiomacher Wolfgang Doebeling moderierte mehr als 30 Jahre seine Sendung „Roots“, die zuletzt von 1997 bis 2020 auf Radioeins lief. Foto: Privat/Archiv

Zurück zu den Wurzeln. 1987 ging die ganze Sache los, der Berliner Labelbetreiber, Journalist und Musikenthusiast Wolfgang Doebeling ging erstmals mit seinen „Roots“ auf Sendung, damals beim SFB 2. Er kannte sich aus wie kaum ein anderer, quer durch die verschiedenen Genres und Epochen. Doebeling grub archaische Bluesgesänge aus und finstere Cowboyballaden, knackigen Rockabilly und holpernden Rhythm’n’Blues. Nichts, woraus sich der Rock speiste, war ihm fremd, und seine Hörer brachte er zu den Wurzeln dieses allmächtigen Sounds.

Was Wolfgang Doebeling bei „Roots“ spielte, kam immer von Vinyl, da gab es für ihn keine Kompromisse. Auch nicht bei der Produktion der Sendung, die mit analogem Equipment wie antiken EMT-Plattenspielern, zuletzt in den Studios vom Deutschlandradio aufgenommen wurde. Eine weitere Einzigartigkeit von „Roots“.

Wolfgang Doebelings „Roots“ hatten 23 Jahre lang eine Heimat auf Radioeins

Nach Stationen bei diversen Programmen des SFB und bei Radio4U landeten die „Roots“ 1997 bei Radioeins, wo sie 23 Jahre lang eine Heimat hatten. Parallel dazu schrieb Doebeling seit 1994 für den deutschen Rolling Stone und baute sich eine treue Fangemeinde auf. Jede neue Radiosendung wurde im Forum des Musikmagazins diskutiert, die obskuren und unbesungenen Helden entdeckt und Doebelings Lieblingsmusiker wie Bob Dylan, The Rolling Stones, George Jones und Townes van Zandt, mit dem ihn eine Freundschaft verband, gefeiert. Bis jetzt.

Auf die Nachfrage nach den Gründen für das Ende von „Roots“, verwies die Radioeins-Musikchefin Anja Caspary auf eine Pressemitteilung, die der RBB in der Sache verschickt hat. Darin verabschiedete sie den Moderator mit folgenden Worten: „Radioeins ist sehr stolz, 23 Jahre lang Heimat einer so einmaligen Sendung wie ‚Roots‘ gewesen zu sein. Wir verabschieden Wolfgang Doebeling sehr dankbar in den wohlverdienten Ruhestand. Keep on rockin‘, Wolfgang!“ Klingt nett. Doch der Abschied erfolgte nicht ganz freiwillig. Wolfgang Doebeling wollte mit „Roots“ weitermachen.

Es kam zu einer Auseinandersetzung zwischen Moderator und Sender

Der Anfang vom Ende begann während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020. Weil Doebeling mit mittlerweile 70 Jahren zur Risikogruppe gehörte, sollte er nicht im Studio produzieren und eine Auszeit nehmen. Als Ersatzprogramm während seiner Selbstisolation folgte Raffaela Jungbauers „Sister Moon“ auf den zweistündigen Sendeplatz.

Nachdem sich die Situation im Sommer 2020 gelockert hat und er wieder zurück ans Mikrofon wollte, war das neue Format bereits etabliert und man legte ihm von Seiten des Senders ein Ende seiner Sendung nah. Einen „Abschied durch die kalte Küche“ nennt Doebeling den Vorgang. Es kam zu einer Auseinandersetzung zwischen Moderator und Sender, ein neuer Vertrag wurde aufgesetzt, den er nicht unterzeichnen wollte. Doebeling produzierte noch die letzten Folgen, und schließlich mündete alles im finalen Aus für „Roots“ im Dezember 2020.

„Roots“-DJ Wolfgang Doebeling kritisiert das Niveau des Musikangebots

Es war die Art und Weise, wie mit ihm in der Sache umgegangen wurde, die Doebeling verstimmt hat. „Es hätte stilvoller ablaufen können“, sagt er. Doch auch der „Roots“-DJ teilte zum Schluss aus, in seiner letzten Sendung kritisierte er das seiner Meinung nach „hörbar abwärtsgehende Niveau des Musikangebots“, sprach vom „unfreiwilligen Ruhestand“ und ärgerte sich – nicht ganz zu Unrecht – über den Begriff „Rockerrente“, der ihm zum Abschied nachgerufen wurde. Einige der besonders kritischen Passagen aus der finalen „Roots“-Ausgabe wurden wohl entfernt und nicht gesendet, das zumindest behauptet der Autor selbst im Forum des Rolling Stone.

Es ist tatsächlich kein Schluss, den die Sendung verdient hätte. Querelen, Streit und Befindlichkeiten gehören sicherlich überall zum Berufsalltag dazu und gelegentlich enden die Dinge auf unschöne Weise. Der Konflikt kristallisierte sich heraus. Doebeling passte wohl nicht mehr ins Konzept, er war zu lang dabei, mit seinen 70 Jahren aus Sicht des Senders auch zu alt. In anderen Jobs ist da schließlich längst das Rentenalter erreicht.

Auf der anderen Seite wurde mit der Entscheidung eine einzigartige Plattform abgeschafft, die einem Teil der Musiklandschaft ein Forum gab, das bei genauem Hinschauen in diesem Land sonst gar nicht existiert. Auf die Frage, ob er irgendwo eine neue Heimat für seine „Roots“ sehen würde, antwortet Doebeling: „Es gibt keinen Sender in Deutschland, der das zum jetzigen Zeitpunkt machen würde“.

„elementar und authentisch“

Das sieht nicht nur er so. Wolfgang Doebelings Fans haben eine Online-Petition zur Wiedereinsetzung von „Roots“ gestartet, sie sprechen von der Sendung als „stetigem Quell an Entdeckungen“, sie loben „musikalische Vielfalt, statt breitem Einerleibrei“ und beschreiben das Format als „elementar und authentisch“ und „ein unschätzbares Stück Kulturgut“.

Altes Eisen oder neue Wege, Chance für junge Talente oder die Würdigung von Alter und Erfahrung des altgedienten Moderators? Die „Roots“-Affäre kann man unterschiedlich betrachten. Ganz sicher war der Ausgang für alle Beteiligten unerfreulich. „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“, sagt man. In diesem Fall stimmt das nicht. Der Dritte sind hier die Hörer und ihnen werden die zwei Stunden jede Woche Sonntagnacht fehlen. 


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