Das goldene Zeitalter des Chansons liegt lange zurück. Dennoch jagt eine Nouvelle Vague die andere, um die alte Chimäre der Pariser Clubs den Launen des Popmarkts gefügig zu machen. Längst weiß niemand mehr, was Chanson genau bedeutet. Am wenigsten die Franzosen selbst. Zu den angehenden Diven des französischen Liedes gehören Françoiz Breut und Marianne Dissard. Beide sind jedoch keine Französinnen im engen Sinn. Die eine lebt in Belgien, die andere seit Jahren in der französischen Diaspora im fernen Tucson, jener Wüstenstadt, die uns bekanntlich Giant Sand und Calexico schenkte. Viel entscheidender ist jedoch der Umstand, dass sich beide aus entgegengesetzter Perspektive von dem entfernen, was sie sich unter Chanson vorstellen. Françoiz Breut entdeckt auf ihrer neuen Platte „A l’aveuglette“ amerikanische Sounds. „Ich stand schon immer unter dem Einfluss des Rock“, bekennt die kleine Chanteuse. „Anfangs sang ich sogar in einer Punk-Band. Diese Energie kam auf Platte nie richtig zum Ausdruck. Deshalb wurde ich stets in die Chanson-Ecke verbannt. Im Konzert habe ich jedoch schon immer mehr das Rockelement betont.“
Marianne Dissard hingegen kommt vom Film, sang bei Calexico und gibt auf ihrem Album „L’entredeux“ das französische Pendant zur sandknirschenden Border Music, die für Tucson typisch ist. Was für uns in Deutschland selbstredend als Chanson durchgeht, wird von den Franzosen keineswegs als solches akzeptiert, nur weil die Sängerin zufällig französisch singt. „Den meisten Franzosen ist meine Stimme zu leise produziert“, beklagt die Wahlamerikanerin. „Im französischen Pop steht die Stimme stets im Vordergrund. Wenn die Leute nicht jedes einzelne Wort verstehen, hast du verloren. In Amerika stößt sich niemand daran, wenn der Gesang nur als Musik wahrgenommen wird. Meine CD ist in Frankreich kein französisches Album, auch wenn ich auf Französisch singe.“
Text: Wolf Kampmann
Le Pop Les Filles Tour mit Françoiz Breut + Marianne Dissard, Kesselhaus, Mo 2.3., 21 Uhr, VVK: 15 Euro.
Tickets unter www.tip-berlin.de/tickets