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Little Steven: „Seien wir ehrlich: Nach 20 Jahren Pause fange ich bei Null an“

Steven Van Zandt hatte seine Solokarriere als Little Steven zwei Jahrzehnte lang auf Eis gelegt. Er spielt, nach einer Pause, seit 1999 wieder Gitarre in der E Street Band seines Kumpels Bruce Springsteen und stand als Mafioso vor der Kamera. Jetzt kommt er mit seiner Band Disciples of Soul und neuem Album „Summer of Sorcery“ auf Tour nach Berlin. Ein Interview über eine gespaltene US-Gesellschaft, musikalische Wurzeln, seine Anerkennung als Schauspieler, die Wandlung Berlins, und wie es sich anfühlt, wenn mitten in den eigenen Soloplanungen plötzlich das Gerücht einer zeitgleichen Tour der E Street Band aufkommt

Foto: Universal Music

Mr. Van Zandt, Sie haben sich stets als eine sehr politische Person definiert. 1984 verließen Sie sogar die E Street Band Ihres Kumpels Bruce Springsteen, weil Sie sich tiefgehender mit Politik beschäftigen wollten, sie engagierten sich beispielsweise seinerzeit gegen die Rassentrennung im südafrikanischen Apartheid-Staat oder auch für die polnische Solidarność-Gewerkschaft von Lech Walesa. Jetzt wollen Sie sich nicht mehr explizit politisch äußern, und zwar wegen der von Ihnen mitbegründeten nationalen Musikunterricht-Initiative „TeachRock“ – weil Sie sich darum sorgen, dass manche Lehrer wegen Ihrer sehr liberalen Ansichten nicht an „TechRock“ teilnehmen könnten. Was sagt uns das über den aktuellen Zustand der amerikanischen Gesellschaft?

STEVEN VAN ZANDT Wir sind so gespalten wie nie zuvor. Wahrscheinlich seit dem Vietnamkrieg. Vielleicht sogar noch schlimmer, weil es bei diesem Kampf nicht um eine einzige Politikausrichtung geht, sondern um eine tief philosophische Kluft darüber, wie wir uns selbst definieren und ob wir den Geist der Vision unserer Gründerväter verteidigen oder aufgeben werden. Wir befinden uns in einem Bürgerkrieg. Das Ergebnis wird bestimmen, ob die Seele unserer Nation überlebt oder nicht. Ich habe entschieden, dass mein Nutzen im Moment darin besteht, zu versuchen, diese wachsende Kluft mit unparteiischer Musik zu überbrücken. Und zu versuchen, Menschen zusammenzubringen.

Nachdem Sie 20 Jahre nicht als Solomusiker und Bandleader in Erscheinung getreten waren, erschien 2017 Ihr Little-Steven-Comeback-Album, „Soulfire“, mit Neubearbeitungen alter Songs. Jetzt haben Sie mit „Summer of Sorcery“ ziemlich schnell ein Album mit größtenteils neuen Liedern veröffentlicht. Woher kam dieses Schreibtempo? Oder hatten Sie all die Jahre ein halbes Album auf Ihrem Schreibtisch herumliegen?

Ganz im Gegenteil. Der Ausstieg aus dem üblichen Zyklus von Album/Tournee, Album/Tournee und meine Karriere als Schauspieler…

…. ab 1999 spielten Sie eine wichtige Nebenrolle bei den „Sopranos“, später die Hauptrolle in der Serie „Lilyhammer“…

… haben mich von einem Songwriter zu einem Drehbuchautor gemacht. Mit „Soulfire“ begann ich also meine künstlerische Wiedergeburt mit einem leeren Blatt. Keine Teile und Stücke von Text-Notizen, keine Bruchstücke von Melodien, die ich aufgenommen hätte, nichts. Ich wusste nur eine: Wenn ich wieder schreiben konnte – und ich war mir wirklich nicht sicher, ob ich es konnte –, wollte ich sowohl die Politik als auch meine Biographie dabei hinter mir lassen. Ich wollte mein Geschichtenerzählen erweitern. Kleine Filme erfinden, in denen ich jeweils eine andere Figur spielen kann. Die Band, die mir in den letzten drei Jahren loyal geblieben ist…

The Disciples of Soul…

….gab mir ein wunderbares Fundament, auf dem ich mich entwickeln konnte. Ich tauchte geradezu ein, absorbierte meine bisherigen 40 Jahre Arbeit und blieb geduldig – in der Hoffnung, dass die Ideen kommen würden. Und irgendwann kamen sie.

Es ist eine kraftvolle und sehr abwechslungsreiche Sammlung von Songs, die tief in die Musik der 50er und 60er Jahre hineinreicht – Sie besuchen hier nicht nur den Blues, wie es in einem Song heißt. Mit Ihrer Radiosendung „Little Steven’s Underground Garage“ haben Sie sich im Laufe der Jahre sehr tiefgehend mit Garage-Rock und anderen Subgenres der Musik beschäftigt. Haben Sie das Gefühl, dass diese neue Platte und Ihre Konzerte auf der Tour, die Sie jetzt auch nach Berlin führt, gewissermaßen eine historische Erkundung dieser Wurzeln sind?

Ich bin nicht nostalgisch im traditionellen Sinne. Ich drücke das, was ich fühle, in der Gegenwart so genau wie möglich aus. Wenn Sie das historische Wissen haben, werden Sie meine Wurzeln in allem hören, was ich tue und jemals getan habe. Das gefällt mir. Ich mache es absichtlich. Ich verbinde gerne die Einflüsse, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin. An dem Punkt, an dem ich bin, bin ich mir meiner Fähigkeiten ziemlich sicher, meine Einflüsse in meine eigene Identität zu integrieren. Es ist die gleiche Art und Weise, wie ich Songs auswähle, um sie in meiner Radiosendung zu spielen. Wenn ich nicht erkenne, woher etwas kommt, mag ich es normalerweise nicht – und würde es auch nicht spielen.

Die Platte fokussiert in den Geschichten, die Sie erzählen, sehr stark auf die Gemeinschaft, auf uns als Menschen, und nicht so sehr – Sie sagten es bereits – auf Sie als Erzähler Ihrer persönlichen Geschichten. „Harmonie, Einheit, Gemeinschaft“, wie Sie im ersten Lied des Albums, „Communion“ singen. Wo kommt das her?

Ich benutze viele religiöse Aphorismen, Bilder, Symbole. Die Beschäftigung mit Religion war ein Hobby von mir, als ich jung war, und ich schöpfe oft aus der wunderbar extremen Lebens- und Todesintensität, die darin liegt. In diesem Fall benutze ich „Gemeinschaft“ als Verweis auf die tiefe Verbindung, die wir alle auf der Seelenebene haben. Die unausgesprochene, ursprüngliche, spirituelle Kommunikation zwischen uns in diesem gemeinsamen kosmischen Raum, die sicher und komfortabel ist. Dieser weltliche Gnadenzustand, der über die Parteilichkeit hinausgeht und uns alle vereint.

Wenn ich mich nicht sehr irre,  waren Sie 1981 zum ersten Mal in Berlin, damals als Gitarrist der E Street Band, als Bruce Springsteen mit dem Album „The River“ tourte. Ende 2017 waren Sie als Little Steven mit den Disciples of Sould zuletzt in der Stadt. Wie hat sich Berlin Ihrer Meinung nach im Laufe der Jahre verändert?

Natürlich hat die Wiedervereinigung von Ost und West die Spannung genommen, die in der Vergangenheit hier immer vorhanden war. Ich muss sagen, dass damit auch etwas von der atmosphärischen Intensität und Rauheit verschwunden ist. Berlin fühlt sich jetzt etwas normaler an. Es hat immer noch die internationale Identität einer großen Kreuzungsstadt, aber es fühlt sich nicht ganz so gefährlich an. Da eine Million Flüchtlinge ins Land gekommen sind, wird es interessant sein zu sehen, wie das alles weitergeht. Hoffen wir, dass die Flüchtlinge auf wundersame Weise positiv aufgenommen werden können. Und zwar schnell. Wenn sie ghettoisiert werden, was trotz der besten Absichten viel zu oft weltweit geschieht, wird es Probleme geben. Ich salutiere Angela Merkel und dem deutsche Volk für ihr großes Mitgefühl, aber wir müssen aufhören, das Konzept von Flüchtlingen als unvermeidlich zu akzeptieren. Flüchtlinge sollte es nicht geben! Es gibt keine wirkliche mitfühlende Lösung für Flüchtlinge. Sie sind keine Einwanderer. Sie wollen zu Hause bleiben! Wir müssen einen Weg finden, die Kriege, die Flüchtlinge produzieren, zu stoppen, bevor sie beginnen. Die Vereinten Nationen müssen stärker militärisch tätig werden und die Rolle der internationalen Polizei und der Friedenstruppen übernehmen. In dem Moment, in dem der erste Schuss abgefeuert wird, sollte die UNO da sein. Bevor der Krieg beginnt. Und alle internationalen Waffenverkäufe müssen verboten werden. Alle Länder sollten ihre Streitkräfte und Militärbudgets reduzieren und stattdessen einen Beitrag zur UNO leisten. Lasst das Geld in viel wertvollere Projekte fließen! Wie grüne Technologie! Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecken! Das ganze  Plastik aus den Ozeanen holen! Aber ich schweife ab… Berlin wird immer eine faszinierende Stadt sein. Und eines meiner Lieblingsorte.

Ihre jüngste Berlin-Show Ende 2017 in der Columbiahalle war bei weitem nicht ausverkauft, aber Sie und die Band haben trotzdem eine großartige Show abgeliefert. Sie wirkten, als hätten Sie gerade die beste Zeit Ihres Lebens! Spüren Sie eigentlich jetzt als Bandleader einen anderen Druck auf der Bühne als beispielsweise in der E Street Band?

Natürlich! Ich bin mit 35 Leuten unterwegs, 14 davon in der Band, und sie alle sind von mir abhängig! Der wahre Druck besteht nicht so sehr darin, die Band führen zu müssen. Ich war immer ein Bandleader, bevor ich mich Bruce anschloss. Der Druck besteht darin, das alles finanziert zu bekommen, ohne einen kommerziellen Wert zu haben. Nun, das ist tricky! Glücklicherweise haben wir einen künstlerischen Wert. Und, den Reaktionen des Publikums nach zu urteilen, auch einen Unterhaltungswert. Seien wir ehrlich, nach 20 Jahren fange ich bei Null an.

Haben Sie jemals während dieser Shows gedacht: Verdammt, ich hätte das zehn Jahre früher machen sollen?

Es ist kompliziert. Es kam mir nicht einmal in den Sinn, dass ich mein Lebenswerk aufgegeben hatte, bis mich jemand bat, eine Band zusammenzustellen und auf seinem Bluesfestival zu spielen.

Das war Leo Green, der Londoner Promoter von Bill Wyman. Beim Ex-Rolling-Stones-Bassisten waren Sie im Oktober 2016 zum Geburtstag eingeladen. Und Green fragte Sie, ob Sie nicht in derselben Woche mein einer Band bei seinem Bluesfestival auftreten wollten.

Es war eine ziemliche Offenbarung, diese Lieder wieder zu entdecken, die mir Jahrzehnte zuvor so viel bedeuteten. Ich erkannte, dass meine Rock-meets-Soul-Sache, die ich mit Southside Johnny und den Asbury Jukes geschaffen hatte, wirklich zu einem eigenen Genre geworden waren. Es gab davor noch nie so etwas, danach auch nicht. Also habe ich mich dort reingestürzt – und werde jetzt dabei bleiben neben der E Street Band und einer weiteren TV-Show. Um also Ihre Frage zu beantworten: Nein. Es war die genau die richtige Zeit, es zu tun.

Vor einigen Monaten gab es in einer britischen Zeitung ein Gerücht über eine neue Tour von Bruce Springsteen mit der E Street Tour im Jahr 2019, deren Mitglied Sie seit der Reunion der Band 1999 wieder sind. Wie war Ihre erste Reaktion? Sie müssen da ja bereits mit Ihrer eigenen Tourplanung befasst gewesen sein. Haben Sie Bruce sofort angerufen, um ihm zu sagen, dass er diese Gerüchte so schnell wie möglich abräumen solle?

Ja. Es ist ein Problem, mit dem ich mein ganzes öffentliches Leben lang zu tun hatte. Also habe ich die Gefahr sofort erkannt. Nicht nur für mich, sondern auch für die anderen E Streeters, die praktisch alle Platten und Touren hatten, die unmittelbar bevorstehen. In der Entertaiment- oder Kunst-Welt ist das Leben so: Wenn man Glück hat, findet ein Publikum einen. Aber sobald sie dich finden, definieren sie dich. Also solltest du dich besser voll und ganz auf das konzentrieren, was du tust. In meinem Fall habe ich nicht mit der Absicht angefangen, ein öffentlicher Künstler außerhalb der E Street Band zu sein. Ich war ein Künstler, ein Schriftsteller, ein Arrangeur, ein Produzent, aber ich hatte keine anderen Pläne. Es ist einfach passiert. Und dann, quasi am selben Tag, an dem ich beschloss, die Welt auf eigene Faust zu erkunden, wird mein bester Freund zum größten Star der Welt!

Sie haben die E-Street-Band 1984 vor der „Born In The U.S.A.“-Tour verlassen, die, gemeinsam mit der Platte, Springsteen zum Superstar katapultierte.

Und wenn die Leute in der ganzen Welt dich als den besten Freund ihres Lieblingskünstlers definiert haben, haben sie wirklich keinen Nutzen für dich in irgendeiner anderen Funktion. Jetzt habe ich mehr Glück als die meisten anderen, denn die Leute würden mich tatsächlich völlig als Schauspieler akzeptieren, aber als Musikkünstler, nicht wirklich. Haben sie nie getan! Es ergab keinen Sinn für das Publikum oder für Journalisten, Agenten oder Promotoren. Man kann kein ernsthafter Künstler sein und sich dann umdrehen und die zweite Geige für JEDEN spielen!  Das passt nicht in das Profil. Was für ein engagierter Narzisst kannst du sein, wenn du dein Ego so leicht ausknipsen kannst? Dieses Denken betrifft also vor allem Konzertveranstalter, die die neurotischste Spezies Mensch auf dem Planeten sind. Ich war gerade dabei, die „Summer of Sorcery“-Tour zu buchen, und die anderen E Streeters hatten ihre eigenen Touren und Gigs, als dieses Gerücht aufkam. Augenblicklich kam alles zu einem kompletten Halt! Jeder Promoter, Clubbesitzer und Theatermanager wollte plötzlich auf die E Street Band Tour warten. Also tat Bruce das einzig Richtige. Der notwendige Schritt, damit wir existieren können. Und als Zugabe ermutigte er die E Street Nation (die Fans, Anm. d. Red.), unsere individuellen Bemühungen zu unterstützen. Was großartig war.

Little Steven and the Disciple of Soul Huxleys Neue Welt Hasenheide 107, Neukölln, Di 28.5., 20 Uhr, VVK 62 €

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