Interview

Antilopen Gang mit Sampler: „Hinter jeder Kritik steckt eine Utopie“

Auf dem ersten Sampler Ihres Labels Antilopen Geldwäsche, der an Heiligabend erscheint, geben sich die Mitglieder der Antilopen Gang großen Raum zur individuellen Entfaltung. Mitunter mit gravierenden Widersprüchen. Ein Gespräch mit Danger Dan (DD) und Koljah (K), Interview von Till Wilhelm.

An Heiligabend erscheint der erste Sampler des Labels Antilopen Geldwäsche. Wir haben Koljah (links) und Danger Dan (Mitte) zum Gespräch getroffen. Foto: Danny Kötter

Antilopen Gang: „Letzten Endes ist das ein auf HipHop übertragener Vaterkonflikt“

tipBerlin Vor elf Jahren rappte Ihr verstorbenes Bandmitglied NMZS: „Guck, ich bin kein scheiß Max Herre – Ich kann dir kein Lied schreiben, das du hören wollen würdest“. Heute ist Max Herre auf dem ersten Sampler Ihres Labels vertreten. Was ist passiert?

K Es könnte sein, dass es keinen deutschsprachigen Rapper gibt, der in unseren Songs öfter Erwähnung findet als Max Herre. Nachdem das Feature erschien, wurden sehr viele dieser Zeilen ausgegraben. Dieses Zitat von Jakob ist das despektierliche. Viele andere wären als Diss missinterpretiert. Ich habe Max Herre recht oft wörtlich zitiert. Das zeigt, was für eine wichtige Figur Max Herre schon immer für uns gewesen sein muss. Dass irgendwann ein Song mit ihm kommt, halte ich nicht für eine seltsame Entwicklung. Eher der krönende logische Abschluss, wenn man sich in 15 Jahren Rap ständig am Jesus von Benztown, wie ihn die Bravo damals nannte – und woraus der legendäre Song „Exklusivinterview“ entstand –, abarbeitet.

DD Jakob hat auch vorweggenommen, dass man das Lied mit Max Herre wenigsten hören wollen würde. Im Gegensatz zu der Musik, die wir damals gemacht haben.

K Es ist eigentlich offensichtlich, dass da der Neid aus Jakob spricht. Er würde ja gerne ein Max Herre sein, aber er kann es einfach nicht. Er muss stattdessen selbst in einem so tragischen Liebeslied schon eine Zeile weiter in Gewaltfantasien abdriften. Ich glaube, er hätte sich gewünscht – um diese Beziehung, um die es in dem Song damals ging, vielleicht auch irgendwie noch zu retten – dass er einfach einen Song wie „Mit dir“ schreiben könnte.

DD Max kennt unsere alten Seitenhiebe natürlich, wir verstehen uns sehr gut. Und ich finde auch, dass er unseren gemeinsamen Song durch seine Strophe unpeinlicher gemacht hat.

K Letzten Endes ist das ein auf HipHop übertragener Vaterkonflikt. Irgendwann in der Pubertät, in der Sturm und Drang-Phase, grenzt man sich von seinen Eltern ab und findet es vielleicht peinlich, was die machen. Wenn man älter wird, findet man doch wieder zusammen. Während wir alle noch in irgendwelchen AZs auf dem Fußboden in Bierlachen gepennt haben, haben wir Max Herre im Fernsehen gesehen. Heute sind wir auch im Fernsehen und die AZ-Bands machen sich über uns lustig.

„Manchmal würde ich mir wieder ein bisschen mehr Rambazamba wünschen“

tipBerlin Ehrliche und gute Songs zu schreiben, ist heute auch für Sie kein Problem mehr. Was macht das mit der eigenen Anti-Haltung, wenn man plötzlich Everybody’s Darling ist?

K Es ist manchmal irritierend bis amüsierend. Wir haben uns irgendwie in eine Position manövriert, in der wir ziemlich viel machen können und das immer durchgewunken und sehr wohlwollend interpretiert wird. Manchmal würde ich mir wieder ein bisschen mehr Rambazamba wünschen.

DD Je mehr Mühe man sich in der Geschichte der Antilopen Gang gegeben hat, jetzt mal richtig „rebellisch“ zu sein, – (lacht) – umso krasser wurde man vereinnahmt. Auf „Anarchie und Alltag“ fordern wir eine „Atombombe auf Deutschland“, das Album ging auf die Nummer 1 der Charts. Ich weiß nicht, was man noch sagen soll.

K Bushido, dessen Provokation früher aus schwulenfeindlichen Zeilen bestand, provoziert heute, indem er ein regenbogenfarbenes Shirt anzieht. Bei uns ist heute vielleicht die größere Provokation, einen schönen Radiosong von Max Herre und Danger Dan zu veröffentlichen, der überhaupt nicht provokant ist.

Antilopen Gang im Interview: „Alle klopfen sich auf die Schultern, weil sie für etwas Gutes einstehen“

tipBerlin Das Danger Dan-Soloalbum „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ war in diesem Sommer omnipräsent. Koljah, Sie rappen auf „Nazis rein“ über politische Bands, die durch Erfolg ihre Haltung verlieren. Wie blicken Sie auf den Erfolg dieses Sommers?

Danger Dans Soloalbum feierte 2021 riesige Erfolge. Auch beim „Großen Radioeins Abend in der Waldbühne“ durfte der Hörer:innenliebling nicht fehlen. Foto: Imago/Votos-Roland Owsnitzki

K Das ist ja ein gutes Beispiel dafür, wie man Beifall aus der Mitte der Gesellschaft bis hin zu hochrangigen Politikern bekommt. Alle klopfen sich auf die Schultern, weil sie für etwas Gutes einstehen. Es wäre bescheuert, so zu tun, als wäre da nicht das passiert, was ich in „Nazis rein“ anprangere. Spätestens, als Claudia Roth irgendwelche Herzchen an Danger Dan geschickt hat, wurde „Nazis rein“ zum perfekten Statement.

DD Koljah hat mich gezwungen, den Kommentar zu löschen, damit das keiner sieht.

K Das war öffentlich, in der Kommentarspalte! Das ist halt rufschädigend.

Antilopen Geldwäsche Sampler: „Zu allen Thesen sofort eine Antithese“

tipBerlin Die Ambivalenz spiegelt sich auf dem Sampler. Wie stark sind die internen Differenzen?

K Gerade der Sampler lebt davon, dass wir das alles nebeneinander abbilden. Ich fühle mich mit dem Gesamtkonstrukt Antilopen Gang aktuell ganz wohl, wenn ich die Möglichkeit habe, ein Lied wie „Nazis rein“ herauszubringen. Durch dieses schöne Puzzlestück entsteht ein schöneres Gesamtbild. Obwohl: Nicht schöner, sondern erträglicher.

DD Diese vermeintliche Widersprüchlichkeit ist eine spannende Gleichzeitigkeit. Mir gefällt es, zu allen Thesen sofort eine Antithese zu haben. Und sich mit allem, was man macht, auch selbstkritisch auseinanderzusetzen. Auch ich fühle mich mit der Antilopen Gang sehr wohl, wenn ich ein Lied wie „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ über unser Label veröffentlichen kann. Wobei, sagen wir: Ich finde es erträglicher.

„Mir rollen sich die Fußnägel hoch, wenn die Deutschen als Deutsche eine Identität finden“

tipBerlin Koljah, Sie finden in „Nazis rein“ scharfe Worte für die linken Bewegungen des Landes. Warum macht es Ihnen keine Hoffnung, wenn die Deutschen in linken Themen eine neue gesellschaftliche Identität finden?

K Mir rollen sich die Fußnägel hoch, wenn die Deutschen, worin auch immer, als Deutsche eine Identität finden. Dieser „Wir sind die Guten“-Antifaschismus trägt eine deutsch-nationale Komponente in sich. Die Formulierung von den „wiedergutgewordenen Deutschen“ habe ich mir nicht ausgedacht, die stammt von dem großen Polemiker Eike Geisel.  Nachdem die herrschende Politik und weite Teile der Gesellschaft von Nationalsozialismus und Holocaust lange Zeit nichts wissen wollten, gab es irgendwann eine Wendung, die spätestens mit der ersten rot-grünen Regierung offenkundig wurde. Man hat Auschwitz in die deutsch-nationale Identität mit aufgenommen.

Joschka Fischer argumentierte, gerade wegen Auschwitz müsse man Serbien bombardieren. Vor ein paar Jahren sagte Cem Özdemir, er sei stolz auf die Erinnerungskultur der Deutschen. So hatte die Massenvernichtung nachträglich wenigstens den guten Zweck einer angeblich gelungenen Aufarbeitung. Der renommierte Historiker Eberhard Jäckel sagte zum Holocaust-Mahnmal in Berlin, dass man die Deutschen in anderen Ländern um dieses Mahnmal beneide. So kann man doch noch irgendwie stolz sein.

Gegen Neonazis gibt es ansonsten heute den Hashtag #IhrseidnichtdasVolk. Die Erzählung ist dann: „Wir sind das wahre, gute deutsche Volk, denn wir haben die richtigen Schlüsse aus dem Nationalsozialismus gezogen – im Gegensatz zu den ewiggestrigen Neonazis, die das mit dem Deutschsein falsch verstanden haben.“ Jetzt können also die Deutschen der Welt wieder zeigen, wo es lang geht, bloß diesmal auf der vermeintlich guten Seite, moralisch überlegen. Im Namen des Antifaschismus, des Humanismus und so weiter. Ich will damit nichts zu tun haben.

Antilopen Gang im Interview: „Ich habe den Eindruck, dass alle Bullshit reden“

Koljah schreckt nicht vor (Selbst)kritik zurück. Sein Song „Nazis rein“ ist schon als Single erschienen. Foto: Imago/Carsten Thesing

tipBerlin Das Lied ist in meinen Augen vor allem ein Zurschaustellen geistiger Überlegenheit. Sie sagen im Grunde bloß, dass alle außer Ihnen im Unrecht sind. Wem hilft dieser allumfassende Zynismus – außer Ihnen selbst?

K Es stimmt, dass ich in dem Lied sage, dass alle falsch liegen. Aber ich mache gar keine eigene Perspektive mit Verbesserungsvorschlägen auf – „Nazis rein“ ist kein konstruktives Lied. Wenn du fragst, „Was bringt das?“, keine Ahnung. Ich mache so einen Song ja nicht, weil ich möchte, dass er irgendetwas bewirkt. Und ich will auch niemandem helfen. Ich habe den Eindruck, dass alle Bullshit reden, deswegen habe ich einen Song darüber gemacht.

tipBerlin Sich hinzustellen und den Leuten zu erklären, wie es wirklich ist, damit wird ja schon die eigene Perspektive eröffnet.

K Findest du, dass das Lied mit einem moralischen Zeigefinger daherkommt?

DD Ja.

tipBerlin Ja.

K Das war so nicht von mir intendiert und tut mir leid. Eigentlich wollte ich den moralischen Zeigefinger mit dem Lied eher kritisieren. Das fällt natürlich schwer, wenn man alles andere schlecht findet. Wenn ich mich über die erhebe, die sich über Andere erheben, habe ich mich trotzdem erhoben.

DD Um dir mal aus der Bredouille zu helfen, Koljah: „Nazis rein“ ist eine Abhandlung über die Entwicklung eines anderen Liedes der Antilopen Gang, „Beate Zschäpe hört U2“. Es fängt an mit der Veröffentlichung und Relevanz des Songs über Beate Zschäpe und hört auf mit: „Vielleicht hört Beate Zschäpe heute Antilopen Gang“.

K Es ist ja auch offenkundig, dass ich, wenn ich in dem Song von politischen Bands spreche, nicht zuletzt meine eigene Band damit meine. Es ist eine allumfassende Kritik, die eine Selbstkritik mit einschließt.

„Die wiedergutgewordenen Deutschen sind natürlich alle gegen Rechts“

tipBerlin In „Auf sie mit Gebrüll“ heißt es, Rebellion und Subversion seien Regierungsposition. Bedienen Sie damit nicht ein rechtes Narrativ vom „linksgrün-versifften“ Mainstream?

DD Wenn du das mit Blick auf die Gesellschaft als rechtes Narrativ erlebst, finde ich das total schade, um ehrlich zu sein. Man kann dieses Lied ganz konkret darauf beziehen, dass Bundespräsident Steinmeier nach Ausschreitungen, bei denen Nazis Migranten durch die Straßen gehetzt haben, dazu aufrief, an Demonstrationen gegen Rechts teilzunehmen. Dafür bekommt er Zustimmung. Das ist aber derselbe Typ, dessen Partei 1993 das Grundrecht auf Asyl abgeschafft hat und damit mitverantwortlich ist für Abschiebungen nach Afghanistan in völlig unsichere Verhältnisse. Inhaltlich kann man es nicht ernstnehmen, wenn Steinmeier dann zum Kampf gegen Rechts aufruft. Viel schlimmer: Sobald er dazu aufruft, geht es nicht mehr um eine Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Geschehenen, sondern um ein linksliberales Nationalprojekt.

K Ich denke schon, dass man es ernst nehmen kann, wenn Steinmeier zum Kampf gegen Rechts aufruft, denn dieser Kampf ist nun mal gerade das deutsche Gemeinschaftsprojekt auf der Höhe der Zeit. Die wiedergutgewordenen Deutschen sind natürlich alle gegen Rechts und halten im Übrigen auch alles Mögliche für ein rechtes Narrativ. Das ist erstmal eine inhaltslose Floskel. Die Frage ist nicht, ob es einen Links- oder Rechtsruck gibt. Es gibt eine Gleichzeitigkeit dieser Phänomene. Es gibt durchaus einen linksliberalen Mainstream in Medien, Kultur, Politik und an den Unis. Auf der anderen Seite das Erstarken der AfD, die Neue Rechte, Pegida-Aufmärsche. Als Anfang der Neunziger die Flüchtlingsheime brannten, wurde, wie Daniel sagte, parallel dazu im Bundestag das Grundrecht auf Asyl abgeschafft. Damals wäre es undenkbar gewesen, dass eine Angela Merkel sagt: „Wir schaffen das!“. Oder auch, dass eine CDU-Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache öffentlich davon abrät, bei Pegida teilzunehmen.

Antilopen Gang: „Wir haben versucht, einen schwulen Ballermann-Song zu machen“

tipBerlin In derselben Gleichzeitigkeit bekommen wir eine Grüne Außenministerin, die im Koalitionsvertrag eine „Rückführungsoffensive“ verspricht. Müsste es nicht eigentlich heißen: „Leere Pose ist Regierungsposition“?

K Vermutlich ist eine Regierungsposition immer eine Pose. Die eben bereits angesprochene Claudia Roth wird jetzt Kulturstaatsministerin. Das ist natürlich sehr symbolisch, sie hat diese Ton-Steine-Scherben-Vergangenheit. In Berlin gibt es bald einen Rio-Reiser-Platz. „Keine Macht für Niemand“ war ursprünglich eine Auftragsarbeit von Andreas Baader, der nach einem revolutionären Song für den bewaffneten Kampf verlangt hatte, das Lied dann aber nicht leninistisch genug fand. 

An Heiligabend erscheint der erste Antilopen Geldwäsche Sampler. Hierbei wird das breite musikalische und thematische Spektrum des Labels deutlich. Foto: Cover-Art

tipBerlin Das Schlagerlied „Bin ich erst mal blau“ und der SPD-Klamauk „Wer hat uns verraten“ haben ein ähnliches Problem: Wenn man etwas Unangenehmes unernst reproduziert, macht das die Kunst doch kaum besser, sondern bloß unernst. Hat die Ironie nicht irgendwann ausgedient?

K Ich habe eigentlich das Gefühl, dass wir uns die Ironie zunehmend verkneifen. Einen Schlagersong unironisch zu machen, das würde aber gar nicht funktionieren. Wir haben versucht, einen schwulen Ballermann-Song zu machen. So gesehen steckt da natürlich mehr als einfache Ironie dahinter.

DD Die Kampfansage an die SPD ist auch nicht unbedingt ironisch. Es ist eine wichtige linke Tradition, sich an der SPD abzuarbeiten.

K Andererseits auch ein rechtes Narrativ.

Antilopen Gang im Interview: „Hinter jeder Kritik steckt eine Utopie“

tipBerlin Haben diese Lieder überhaupt noch einen Zweck, außer der eigenen Zielgruppe noch einen Lacher zu entlocken?

K Nicht nur dem Publikum, sondern auch uns selbst einen Lacher zu entlocken, das ist manchmal auch förderlich. Diese beiden Lieder haben uns wirklich Spaß gemacht.

DD Ich fände es schrecklich, wenn alles ständig pädagogisch wertvoll sein müsste. Ich brauche keine Gesellschaftsanalyse und keinen Vorschlag, wie man die Welt verbessert. Das langweilt mich zu Tode.

tipBerlin Ihr Album endet mit einer Live-Version von „Wünsch Dir Was“ von den Toten Hosen, nachdem Sie dem Lied bereits ein „Wünsch dir Nix“ gegenübergestellt haben. Haben Sie wieder Hoffnung für die Welt gefunden?

K Hoffnung für die Welt ist ein großes Kaliber. Wir haben Hoffnung für uns selbst gefunden. Das reicht mir völlig.

DD: Hinter jeder Kritik steckt eine Utopie. Ein abstraktes Besseres. Sonst gäbe es gar nicht die Notwendigkeit der Kritik. Daher finde ich, dass wir die Hoffnung eigentlich nie verloren, uns aber an der Kritik entlang gehangelt haben. Um noch irgendwie in Kontakt mit der Utopie zu bleiben.


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