Interview

Casper mit neuem Album: „Seit XOXO laufe ich Ehrenrunden“

Casper meldet sich mit seinem fünftem Album „Alles war schön und nichts tat weh“ zurück. Wir haben mit Berlins hardcoreaffinstem Hip-Hopper über „Emo-Rap“, erste Durchbrüche, aufdringliche Fans, Szene-Zugehörigkeit und musikalische Selbstbestimmung gesprochen.

Feuer oder Sonnenuntergang: Casper meldet sich mit seinem fünften Album zurück. Foto: Chris Schwarz

tipBerlin Casper, das erste Mal habe ich dich vor fast elf Jahren zufällig bei der Fête de la Musique im Mauerpark live erlebt. Wenige Wochen später erschien „XOXO“ und schoss auf die Eins in den deutschen Album-Charts und ging auch sonst durch die Decke. Was war da los damals?

Casper Ich erinnere mich sehr gut an den Tag. Das war mitten in der Albumproduktion von „XOXO“, und wir fühlten uns sehr unsicher, weil unsere Musik halt wirklich anders klang als alles, was es zu der Zeit sonst so gab. Am meisten Angst hatten wir aber davor, dass die Songs niemanden interessieren würden. Gleichzeitig merkte ich, dass bei jedem Konzert mehr Leute kamen. Bei der Fête im Mauerpark war das dann ja plötzlich so krass. Da ist ein Meer aus Menschen vor dieser kleinen Truckdachbühne ausgerastet. Das hatten wir nicht erwartet. In diesem Moment wussten wir, hier passiert echt etwas. Trotzdem hätten wir uns auch an diesem Tag niemals vorstellen können, dass das Album wenige Wochen später so krass einschlagen würde.

Casper im Gespräch: „Diese Schublade gibt es nur meinetwegen“

tipBerlin Der unglaubliche Erfolg von „XOXO“ lag nicht zuletzt an deiner innovativen Verschmelzung von Hardcore, Rap und anderen musikalischen Einflüssen. Die Fans wurden immer mehr, die Presse war begeistert; von der Hip-Hop-Szene kam aber gleichzeitig heftige Kritik. Wie bist du damit umgegangen?

Casper Es hat mich immer sehr gewundert, wie eindringlich über meine Haarlänge oder meine Hosenenge diskutiert wurde. Ich wurde in diese „Emo-Rapper“-Schublade gesteckt, muss aber zugeben, dass ich das total geil fand. Das zeigt mir nämlich bis heute, dass es damals einfach keinen Begriff für meinen Stil gab. Somit habe ich vielleicht diesen Begriff erfunden und diese Schublade gibt es nur meinetwegen. Wenn man beim Apothekerschrank die Schublade mit „emo rap“ drauf rauszieht, dann war ich da als erstes drin. Diese Bezeichnung hat mich nie geärgert, immer nur gewundert.

Casper 2011: „Emo-Rap“ war früher zumindest im deutschsprachigen Raum kaum ein Begriff. Foto: Imago/Jakob Hoff

tipBerlin Und sie hat dich in deiner Individualität bestärkt?

Casper Als die Platte dann Beine hatte, laufen lernte und richtig durchstartete, bin ich schon mit einem gewisses Selbstbewusstsein durch die Szene gegangen. Davor war ich sehr abwartend und skeptisch und dachte auch immer: „Ja, ich mache jetzt diese eine Platte beim Major, aber das wird eh niemanden interessieren und danach gehe ich wieder an der Stanze arbeiten oder so.“ Aber da lag halt was in der Luft. Die Touren wurden immer größer, die Verkäufe waren unglaublich, und ich wurde permanent auf der Straße erkannt. Das ist genau das, wovon man mit 15 träumt. Natürlich war das auch total stressig und anstrengend, aber gleichzeitig wunderschön. So ist es auch immer noch, aber die ganze Hysterie ist auf jeden Fall ein paar Grade runtergekocht.

tipBerlin Wie kommt man mit so viel Aufmerksamkeit zurecht?

Casper Also ich habe in einer WG gelebt in Friedrichshain und da haben 24/7 Fans vor unserer Tür gecampt. Das fand ich schon extrem. Manchmal war‘s auch echt zu viel, wenn man in der Disko war: Ein Fuß rein, direkt 20 Fotos. Unerkannt tanzen, das war dann so nicht mehr drin. Nicht mal in Berlin, wo es ja eigentlich so am entspanntesten ist. Inzwischen sprechen mich Leute eher im Vorbeigehen an. So: „Hey, ich wollte nur sagen, ich liebe deine Musik.“ Das ist irgendwie gesünder. Die Fans, die damals 14 waren, sind halt inzwischen 26 oder so und anders drauf.

Rapper Casper über seine Lyrics: „Ich fände es seltsam, mir was auszudenken“

tipBerlin Du sprichst in deiner Musik sehr offen über psychische Probleme und Schicksalsschläge. Woher nimmst du diesen Mut?

Casper Ich habe das nie wirklich als mutig empfunden. Ich glaube, man erzählt halt einfach seine Lebensrealität. Ich habe eine Lebensrealität als Künstler und ich habe eine Lebensrealität in Amerika bei meiner Familie, und da passieren seltsamerweise einfach viele erzählenswerte Dinge. Das können witzige Anekdoten aus den Südstaaten oder Schicksalsschläge innerhalb der Familie sein.

Für andere Rapper ist die Lebensrealität, dass sie drei teure Autos fahren und eine fette Uhr am Handgelenk tragen. Aber bei mir sieht’s halt anders aus. Ich erzähle aus meinem Leben und ich glaube, das kann ich auch ganz gut. Ich fände es seltsam, mir was auszudenken. Ich glaube, das liegt auch an der Musik, mit der ich sozialisiert bin. Ich liebe Nick Cave oder so Bands wie La Dispute und vor allem große Geschichtenerzählkunst. Das kommt im aktuellen Rap einfach oftmals zu kurz.

tipBerlin Auf deinem neuen Album lassen sich all diese Einflüsse wahrnehmen. Von Gospelklängen, Pop-Melodien, Hardcore- und Post-Rock-Einflüssen. Wann kommt eine Casper-Platte fern vom Hip-Hop?

Casper Es war schon mal so ein Post-Rock-Ding geplant, das hat sich dann aber irgendwie verlaufen. Ich kann mir das aber sehr gut vorstellen, gerade weil ich diesen post-rockigeren Mittelteil auf „Alles war schön und nichts tat weh“ als Herzstück des Albums verstehe. Ich könnte mir schon vorstellen, dass das nächste Projekt noch mehr in diese Richtung gehen könnte. Dazu dann so tolle anekdotenreiche Erzählungen wie bei „Rooms of the House“ von La Dispute.

„Ich würde am liebsten als sehr guter Texter in Erinnerung bleiben“

tipBerlin Würdest du dich überhaupt noch als Rapper bezeichnen? Ist es dir wichtig, zu der Hip-Hop-Szene zu gehören?

Casper Es ist mir schon wichtig, Teil der Szene zu sein. Weil das auch mein großes Streben als Jugendlicher war. Ich sehe mich auch als Rapper; was ich mache, ist nun mal Sprechgesang. Ich kann ja nicht so schön singen, obwohl ich es auf der neuen Platte ein paarmal probiere (lacht). Ich glaube schon, dass ich ein guter Rapper bin, aber wenn es sich irgendwann auf Legacy runterbrechen sollte, auf: was ich gut gemacht habe, was mein Werk war, würde ich am liebsten als sehr guter Texter in Erinnerung bleiben.

Egal ob das dann prosamäßig gedruckt, musikalisch verarbeitet wird, oder ob ich irgendwann einen Roman schreibe. Mich interessiert jetzt nicht der große Hit oder Radio, wie viel Millionen Streams irgendwas hat, sondern mich interessiert Textkunst. Mich sprechen auch immer Lyrics vor der Melodie an, wenn ich selber Musik höre. Deswegen stehen die Texte auf meiner neuen Platte im Fokus.

tipBerlin Was erwartet uns auf „Alles war schön und nichts tat weh“?

Casper Es war extrem schwer, für diese Platte Singles auszuwählen, weil kein einzelner Song den Sound des gesamten Albums repräsentieren kann. Die gehören einfach als Einheit zusammen und ermöglichen so eine tolle Reise durch meine Welt, durch Themen wie mentale Gesundheit, toxische Beziehungen, Aufarbeitung von persönlichen Geschichten. Es ist eventuell die beste Casper-Platte. Das ist mein persönliches Empfinden zumindest.

tipBerlin Warum genau?

Casper Es kommt viel zusammen. Die Platte fühlt sich wieder an wie XOXO und Hinterland. Die Stücke sind nämlich wieder Songs und nicht so skizziert und extra an die Wand gefahren wie bei „Lang lebe der Tod“. Der Fokus liegt auf den Texten und auf mir. Vielleicht ist „Alles war schön und nichts tat weh“ sogar die erste Ich-Platte. Vorher gab es in meiner Musik immer viel Wir-Gefühl. Hier geht’s jetzt um mich, um meinen Kopf, meine Erlebnisse und nicht um die „Stimme der Jugend“.

Casper im Gespräch: „Der größte Luxus ist nichts, was ich besitze“

tipBerlin Zurück zu dem Mauerpark-Konzert. An dem Tag hast du in einem Interview gesagt, dass dein größter Traum ist, zurück nach Amerika zu gehen. Wie sieht dein Traum elf Jahre später aus?

Vom Mauerpark in die Waldbühne: 2019 füllten Marteria und Casper die riesige Open-Air-Location. Foto: Imago/Pop-Eye/Ben Kriemann

Casper Ich habe schon immer noch den Traum, in New Orleans zu leben, weil da ein großer Teil meiner Familie lebt und mir die Stadt extrem viel bedeutet. Jedoch fühlt sich das ja alles nicht so richtig gut an in den USA momentan. Eigentlich kann ich sagen, dass alles, was zwischen 2011 und jetzt passiert ist, wahrscheinlich mein größter Traum ist. Seit „XOXO“ laufe ich nur noch Ehrenrunden. Es ist so schön, dass ich weiterrennen darf, besonders jetzt, wo ich es mir erlauben kann, eine Platte genauso zu machen, wie ich sie machen will.

Dann sind halt Songs sechs Minuten, sieben Minuten, neun Minuten lang. Ich muss nicht darauf schielen, wie ich das in Tik-Tok-vermarktbares Format gepresst kriege, damit das irgendwie Aufmerksamkeit erregt. Der größte Luxus ist nichts, was ich besitze, sondern dass sich so viele Leute, egal was ich rausbringe, zumindest mal darauf einlassen. Wie sie es dann finden, ist eine andere Sache, aber es gibt eine starke Basis von ganz vielen Menschen, denen es unglaublich viel bedeutet, auf dieser Reise dabei zu sein.

  • Casper „Alles war schön und nichts tat weh” (Eklat Tonträger/Sony), E-Tag 25.2.2022
  • Konzerte in Berlin am 19.05.2022 im Metropol (ausverkauft) und am 16.12.2022 in der Max-Schmeling-Halle

Mehr Musik

Wenn schon Musealisierung, dann bitte aus Lego: Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow sprach mit uns über „Nie wieder Krieg“. Unser Autor fand erst spät zur Band: Seinen langen Weg zum Tocotronic-Fan lest ihr hier nach. „Ich war ein Zombie“, sagt uns Zach Cordon alias Beirut im Gespräch über Musik und seelische Gesundheit. Ihr interessiert euch für Musikgeschichte? Dann besucht unbedingt mal die Pilgerstätten für Musikfans in Berlin. Immer neue Texte über Musik findet ihr hier.

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin