Interview

Daniel Freitag mit neuem Album „The Laws of Attraction“: Ok, Chaos!

Planlos in Paris: Der Berliner Theatermensch und Songwriter Daniel Freitag vertont seine Umarmung des absurden In-die-Welt-geworfen-Seins – samt renaissancehaften Synthesizern und Chören in Plüsch. Auf seinem neuen Album „The Laws of Attraction“ präsentiert er seine ganz eigene Idee vom Humor. Autor Steffen Greiner und Fotograf Luka Godec haben den Berliner Musiker in seinem Studio getroffen.

Daniel Freitag zwischen antiken Synthesizern und Flohmarkt-Muttergottes-Rokoko. Foto: Luka Godec

Daniel Freitag: Vom Beatles-Musical ins Kellerstudio

Wenn das Hessische Landestheater Marburg ein Beatles-Musical aufführt, sind die Outcomes eigentlich ja hart beschränkt. Ungefähr auf: Es wird richtig cringe – oder es wird so irgendwie annehmbar mittel-
cringe. Es gehört also schon eine Menge kosmische Zufallsenergie dazu, wenn real passiert: Der Dramaturgie-Praktikant Daniel Freitag, der hier eher aus Planlosigkeit gelandet ist, beginnt beim Beatles-Musical eine internationale Karriere als Theatermusiker. So aber kam es dann tatsächlich doch. Theater, erkannte Daniel Freitag, der damals, 2008, schon auf eine Provinzkarriere als westfälischer Rockgitarrist zurückblicken konnte, hat doch seinen Reiz. 

Daniel Freitag mit seiner Neuentdeckung, der Querflöte. Foto: Luka Godec

Bald fuchste sich Daniel Freitag auch in Berlin durch, konzipierte, recherchierte, spielte, komponierte Musik für Projekte mit bekannten Theaterleuten wie Thomas Ostermeier, Elia Rediger oder Ivo van Hove und an Theatern in Moskau oder London. Eineinhalb Jahrzehnte nach seinem Marburger Zufallsdebüt steht Daniel Freitag in seinem Kellerstudio im Prenzlauer Berg zwischen antiken Synthesizern und Flohmarkt-Rokoko und erklärt, wie man Querflöte spielt, seine neueste Entdeckung. Denn: Theater, gut und schön, Musikproduktion für und mit Mascha Juno oder Sandra Hüller eh – aber ganze fünf Jahre nach seinem Debüt „Still“ wieder eine eigene Platte zu veröffentlichen, das ist doch was ganz Besonderes; wieder Musik, die klar vom Songwriting her kommt und eine weiche, immersive Textur ausbreitet, die sofort in Beschlag nimmt.

Berliner Musiker Daniel Freitag: „Was geht hier eigentlich ab?“

„Das ist immer noch spannend, Welten zu bauen“, sagt Daniel Freitag; was natürlich ein wenig absurd ist, denn vor allem zeichnen seine Texte ja erst einmal Welt nach. Und zwar, bei allem Humor, erschreckend authentisch. „I read just the right book, I have just the right looks, but I don‘t know what I’m doing here, I don’t know what I‘m doing here“, singt Freitag im stoischen „I Don’t Know What I’m Doing Here“, und man kennt’s. Daniel Freitag sieht das so: „Was geht hier eigentlich ab?, das ist ein generelles Grundgefühl“, sagt er, „dass man nicht denkt: Diese Welt ist normal, und man geht da so durch. Das ist nicht mehr wie früher, wie das vielleicht noch meine Eltern gesagt haben. Ich denke mir: Das ist doch alles so absurd!“

Am Fenster: Daniel Freitag grübelt über die Absurditäten des Lebens. Foto: Luka Godec

Zugegebenermaßen: Die Lebensrealität von Daniel Freitag legte in den letzten Jahren noch eine Schippe drauf. Wo man nämlich auch nicht weiß, was man hier soll: auf der Champs-Elysées und im Kindercafé. Kurz nach dem Debütalbum 2017 ist Freitag jedenfalls mit seiner Freundin nach Paris gezogen und Vater geworden; das Album entstand dort, vor allem im harten französischen Lockdown im Frühjahr 2020. „Als Songwriter habe ich da eine gewisse Draufsicht. Das ist ja auch alles lustig, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich in irgendwas ankomme.“

Daniel Freitag mit neuem Album „The Laws of Attraction“: Zwischen Beach Boys und Beach House

Das zieht sich deutlich durch die zehn Songs der neuen Platte „Laws of Attraction“. Vielleicht am deutlichsten bei „Daniel, You‘ve Passed the Test“. Im Video zum Song hängt Freitag als angeschlagener Retro-Boxer ganz schön in den Seilen. Will ja immer noch eine:r eine Prüfung abnehmen, noch einmal was hören, selbst auf der ominösen Schule des Lebens – da kann man den Job auch gleich selbst machen. Dabei ist Freitag trotz der Absurditäten eigentlich ganz stabil aufgestellt: Die Aufträge in Theaterwelt und als Produzent ermöglichen ihm große künstlerische Freiheit. Was sich mit der Vaterschaft hingegen verändert hat: Er will einfach keinen Bullshit mehr machen. Zeit und Energie sind jetzt ganz anders kostbar.

Daniel Freitags Studio unweit vom Mauerpark ist eine Musiknerd-Bibliothek. Foto: Luka Godec

Musikalisch reicht die Bandbreite seines zweiten Albums von prächtig aufeinandergestapelten Synthesizer-Madrigalen zu intim reduzierten Songwriter-Klängen. Referenzen: Beach House, Mac DeMarco und Berlins very own John Moods. Oder aber eben: Äthiopischer Jazz, Beach Boys, Phil Collins und Renaissance, denn über seine Jahre beim Theater hat sich Freitag ganz automatisch eine innere Musiknerd-Bibliothek angeeignet, die nun fast spiritistisch die verschiedenen Stile in seine Songs collagiert.

Die Akzeptanz des Ausgeliefertseins

Selbstbild als Songwriter: Medium. „Ich hab meine Hausaufgaben gemacht. Wenn ich jetzt ein Lied schreiben will, will ich nichts mehr wollen. Das ist einfach nur ein: Das braucht es. Nicht: Ich bin jetzt hier noch schlau. Das habe ich von einem Regisseur gelernt: Don’t be smart“, erzählt Freitag. Ist ja ganz einfach: „Sobald etwas passiert, höre ich Musik. Und dann ergibt sich das einfach. Dann muss man nur aus dem Weg gehen.“

Vielleicht ist das der eigentliche rote Faden durch Daniel Freitags Universum und sein neues Album „The Laws of Attraction“: Ein wenig in die Welt geworfen zu sein, aber das Ausgeliefertsein umarmen – weil: Ist ja auch ein bisschen witzig, ein bisschen grotesk. In dieser Welt steht man dann immer planlos in der Gegend. Und drum herum passieren irgendwie allüberall eben Dinge, happy little accidents, natürlich auch in der Musik.

Genug Instrumente für ein vielschichtiges Album. Foto: Luka Godec

Der Albumtitel „Laws of Attraction“ ist darauf eine Referenz: „Ich will die Anziehung zwischen Menschen als physikalisches Prinzip begreifen, wie ein Magnet – dass man es auf intellektueller Ebene gar nicht greifen kann, warum man Menschen verbunden ist, warum man fasziniert von jemand ist. Wie ein Naturgesetz, gegen das man nichts machen kann. Das ist schön. Dieses Hingeben und Loslassen ist was Wichtiges, was man lernen muss und was in dieser Welt immer wichtiger scheint.“ — „You’ll never walk alone“, singen dazu satt in Plüsch die Chöre.

  • Daniel Freitag „The Laws Of Attraction” (Akkerbouw)

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