Festivals

Das Festival Wassermusik: Einblick in die reiche Musikkultur am Mississippi

HKW-Musikkurator Detlef Diederichsen über seine letzte Wassermusik, seinen „Vorgänger“ Gilberto Gil und die erstaunlich vielseitige Musikkultur am Mississippi, weit über New Orleans und Memphis hinaus

Bei schönem Wetter ist die Wassermusik stets auf der Dachterrasse des Haus der Kulturen der Welt. Foto: Laura Fiorio / HKW

Detlef Diederichsen, Ende des Jahres hören Sie als Musikkurator am HKW nach 16 Jahren auf. Ist die Wassermusik bereits so etwas wie Ihr Abschiedsfestival?

Es ist meine Abschieds-Wassermusik, aber es gibt ja noch weitere Veranstaltungen im Laufe des Jahres, die ich verantworte. Mein Abschiedsfestival wird Cosmic Awakening im November sein, ein Festival der utopischen Klänge. Und dann haben wir auch noch ein Konzert mit dem kubanischen Jazzpianisten Chucho Valdés …

… auch ein Stammgast im HKW, so wie der brasilianische Popstar Gilberto Gil, der Anfang Juli in der Minireihe „HKW do Brasil“ auftrat.
Und am 13. Juli folgt noch Gils Mit-Tropicalistin Gal Costa mit einem ihrer sehr seltenen Deutschlandkonzerte. Sie ist auch ein Stück brasilianischer Musikgeschichte.

Gilberto Gil war ja gewissermaßen Ihr Vorgänger als Musikkurator am HKW. 2006 organisierte und verantwortete er als brasilianischer Kulturminister das spektakuläre Programm „Copa da Cultura“ zur Fußball-WM in Deutschland. Kurz danach haben Sie am HKW angefangen mit dem Wissen: Ein derartig aufwändiges Festival werde ich nie toppen können.
Da lag die Latte sicherlich hoch, aber es war auch immer klar, dass das kaum wiederholbar ist. Doch den Ball, den Gil vorgelegt hat, um im Fußballbild zu bleiben, habe ich dennoch aufgenommen und immer wieder auch die brasilianische Verbindung gepflegt, etwa 2014 mit der Wassermusik zur Lusofonia, der portugiesischsprachigen Musikwelt, oder im selben Jahr mit der Neuauflage „Copa da Cultura 2.0“ zur WM in Brasilien.

Die diesjährige Wassermusik nimmt sich nun mit dem Mississippi eine für die Entwicklung der Rock- und Popkultur ganz entscheidende Region vor.
Ja, hier liegen viele Wurzeln. Es war immer ein Markenzeichen von Wassermusik, dass man nicht nur den aktuellen Stand der Dinge abbildet oder den einlädt, der gerade auf Tour ist, sondern dass man versucht, etwas tiefer in ein Thema einzusteigen. Dennoch ist es auch immer Anspruch des Festivals, kein didaktisches Festival zu sein, das den Leuten eine Botschaft mitgeben will. Wir wollen dem Publikum ermöglichen, ein bisschen tiefer ins Thema einzusteigen, sich etwa das Filmprogramm anzuschauen oder vielleicht zu einer begleitenden Literaturveranstaltung zu gehen. Diesmal ist der Zusammenhang der zu unserem Anthropozän-Projekt am HKW, das mit „An Anthropocene River“ ein großes wissenschaftliches Programm zum Mississippi vorstellt. Daran knüpfe ich nun mit dem speziellen Fokus auf die Musik an, weil am Mississippi eben viele Wurzeln der Rockmusik liegen, und was sich daraus entwickelt hat.

Genaugenommen reden wir hier ja vor allem vom Unterlauf des Flusses zwischen St. Louis und New Orleans.
Dem entgegnen Musikethnologen, dass ­Native-American-Einflüsse auch nicht ganz unwichtig seien, auch die Poesie des Mississippi ist nicht an bestimmte Teile des Flusses gebunden. Aber es stimmt schon, der Unterlauf ist musikalisch sicherlich die entscheidendere Region. Einen Fokus auf ­Regionen kann man in einer globalen Welt ja eigentlich nicht mehr machen. Weil es nicht mehr so ist, dass sich Ideen oder Strömungen über persönliche Kontakte verbreiten und sich in einer Stadt aus diesem Austausch irgendwann eine Szene oder so was entwickelt. Die Leute, die in Mozambique Musik machen, sind genauso auf Youtube unterwegs wie Musiker aus Chile. Natürlich funktionieren in Maputo andere Sachen für mich als Musiker als in Heidelberg oder so. Aber da kannst du die Leute natürlich verblüffen, indem du aktuelle Ideen aus Kampala oder aus Bogotá in deiner persönlichen Abwandlung präsentierst und da auf einmal die Hütte rockst. Am Mississippi aber läuft tatsächlich historisch wie aktuell vieles zusammen.

Zu Beginn gibt’s klassischen Zydeco, Jazz und Blues mit Bands wie Rockin‘ Dopsie Jr. und Tuba Skinny; später folgen moderne Derivate wie Quintron & Miss Pussycat, die funky in die Clubrichtung weisen.
Die Wassermusik ist sicherlich kein Folklorefestival, aber auch diese Aspekte gehören dazu. Doch gerade Tuba Skinny ist hier hochinteressant, denn die Band steht eben nicht für klassischen New-Orleans-Jazz. Es ist zwar das Songmaterial, aber aus einer neuen, zeitgenössischen Perspektive. In meiner Jugend in den 70er-Jahren wurde man geradezu erdrückt von sogenannten Jazz-Frühschoppen, wo sich progressiv wähnende Lehrer die Klarinette aus der Cordhose zogen, um schlechte Versionen von „Muskrat Ramble“ und anderen Oldtime-Jazz-Standards zu spielen. Tuba Skinny jedoch, eine junge Band, verpasst diesem Material einen ganz neuen Approach, einen derart frischen und fesselnden Zugang. Ich hätte nie gedacht, dass mich diese Art von Jazz so begeistern kann.

Schon das Auftakt-Line-Up am 16. Juli mit Sunny War und Kumasi steht nicht gerade für die traditionelle Sicht. Eher nichts für Frühschoppen-Jazzer.
Absolut, das sind eigentlich sehr untypische Themen. Sunny War ist zwar Südstaatlerin, aber nicht mal aus Louisiana, sondern aus Nashville, lebt in Kalifornien. Sie ist eine interessante junge Singer/Songwriterin, inspiriert von Country-Blues und Roots-­Gitarrenmusik, hat jetzt ein großartiges Nina-­Simone-Tribut-Album gemacht. Kumasi sind aus New Orleans, aber sehr funky, eine Afrobeatband. Sie spielen Fela-Kuti-beeinflusste Musik.

Leyla McCalla verbindet beim Festival kreolische Traditionen mit Folk, Cajun-Musik und Bluegrass. Foto: Noe_Cugny

Bis zum 6. August treten 16 Musiker und Bands auf. Verraten Sie uns Ihre persönlichen Highlights?
Das darf ich nicht sagen. Wie Eltern auch nicht sagen können, wer ihre Lieblingskinder sind. Ich bin sehr glücklich mit dem Line-Up. Ich finde, wir haben die einzelnen Aspekte, die unterschiedlichen Bestandteile der New-Orleans-Musikkultur zusammengeführt, die verschiedenen politischen Aspekte, die es da unten nun mal gibt (Stichwort: Rassismus), im Film- wie auch im Konzertprogramm. Etwa mit Sunny War oder auch Leyla McCalla, deren Eltern aus Haiti stammen, und die kreolische Traditionen mit Cajun-Musik, Folk und Bluegrass verbindet. McCalla spielt auch ein in dem Genre ungewöhnliches Hauptinstrument: das Cello. Sie kommt von der Band Carolina Chocolate Drops, die als eine der ersten Bands aus einer schwarzen Perspektive das Old-Time-­Folkrepertoires des US-Südens für sich reklamiert hat, was eine Bewegung war und ist. Bei McCalla kommt die haitische Perspektive dazu.

Mit dem fast 80-jährigen Swamp Dogg ist auch ein legendärer Sänger des amerikanischen Deep Soul im Programm.Der erste Hund mit Doppel-G, sorry, Snoop Dogg.
Soulaltmeister Swamp Dogg ist ein ganz wichtiger Name, immer ein Typ, der völlig quer zu den normalen Genre-Anforderungen der Musikindustrie lag, zuletzt das Thema Auto-Tune für sich entdeckt und damit die köstlichsten Experimente gemacht hat. Er hat auch ein hübsch schräges Country-Album vor zwei Jahren veröffentlicht. Das Konzert des Altmeisters des Southern-Soul am 29. Juli ist eine unbedingte Empfehlung.

  • Haus der Kulturen der Welt John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten, Wassermusik: 16.7.– 6.8., Tickets: 20, erm. 14 € (Konzert & Film), Eröffnung: Sa 16.7., Eintritt frei (mit Einlassticket), HKW do Brasil: Mi 13.7., 20 Uhr, Gal Costa, Ticket 32, erm. 26 €, Details auf hkw.de

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