David Bowie und West-Berlin: 1976 kam der englische Superstar in die Mauerstadt. Und von dieser Zeit handelt Reinhard Kleists neue Graphic Novel, zu der uns der Berliner Zeichner einen Siebdruck gestaltet hat: „David Bowie – Low“.
Ein Schleier lag in den 1970er-Jahren über West-Berlin
Ein Schleier lag in den 1970er-Jahren über West-Berlin. Die Kohleöfen stießen gelblichen Ruß in die Luft, die Mietskasernen waren kriegsversehrt und unsaniert, in den Kneipen herrschte bierseliger Mief und über die Mauer wehten die Abgase der Zweitakter herüber. Eine verzweifelte Generation, enttäuscht von den nie eingelösten Verheißungen der Sixties, fiel in den Drogensumpf. Heroin gab den Ton an. Von dieser auf den ersten Blick trostlosen Atmosphäre fühlte sich ein weltberühmter Musiker angezogen, der bislang eher auf Partys in schrillen Clubs und mondänen Restaurants zwischen London, New York und Los Angeles gesichtet wurde: David Bowie. 1976 kam er nach West-Berlin.
Ihm widmet sich Reinhard Kleist seit mehreren Jahren. 2021 erschien die Graphic Novel „Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years“, die vom Aufstieg des intergalaktischen Popwesens Ziggy Stardust berichtet, also Bowies Anfangszeit und Durchbruch. Chronologisch zeichnet Kleist in „Low – David Bowie’s Berlin Years“ die Geschichte weiter. „Am zweiten Teil habe ich ungefähr zwei Jahre gearbeitet – mit Schreiben, Vorzeichnen und Pausen dazwischen“, sagt er. Viel Lebenszeit, die er mit dem 2016 verstorbenem Star verbracht hat. Doch den Umgang mit legendären Musikern kennt Kleist gut, er zeichnete schon die Biografien von Johnny Cash und Nick Cave. Zwei Bände bekam aber nur Bowie, wohl, weil dessen Leben so opulent und vielschichtig ist. Nicht ohne Grund nennt man ihn ein Pop-Chamäleon, immerzu erfand sich der 1947 in London geborene David Jones neu.
Nach so vielen Jahren Beschäftigung mit Bowie entstand zwischen Zeichner und Star eine Form der Vertrautheit. „Irgendwann kennt man das Gesicht in- und auswendig. Diese Routine hat auch etwas Beruhigendes: Man muss nicht mehr so konzentriert das Gesicht treffen, weil man bestimmte Züge schon verinnerlicht hat. Wenn man so lange mit einer Figur arbeitet und Szenen schreibt, entwickelt sie ein Eigenleben“, sagt Kleist und berichtet von Momenten, in denen die Figuren in seinem Kopf miteinander zu reden beginnen.
David Bowie war in West-Berlin am glücklichsten
Selbst erlebt hat Kleist, Jahrgang 1970, Bowies Berliner Jahre natürlich nicht. Er hat sich in die Zeit imaginiert, sie recherchiert und alles dazu gelesen, gehört und gesehen, eine enorme Materialsammlung. So entstand „Low“, die prächtig kolorierte Graphic Novel. Sie erscheint Ende November beim Carlsen Verlag, wenige Tage zuvor wird die Veröffentlichung mit einer großen Buchpremiere in den Hansa-Studios gefeiert, eine Band spielt dann Bowie-Songs am historischen Wirkungsort, wo einst auch Bowie arbeitete, und Kleist wird zu der Musik, das ist seine Spezialität, live zeichnen. Bowie ist immer alles: Ereignis, Sinnesreiz, Überwältigung.
„Das neue Buch ist chronologisch strukturiert“, erklärt Kleist. Im Kern steht Bowies Entscheidung, seine Karriere neu auszurichten und sich wieder zu stabilisieren. Dafür kam er 1976 nach West-Berlin. „Das hat mich fasziniert, denn Berlin war ja nicht gerade als Sanatorium bekannt, aber für ihn hat es funktioniert.“ Für Kleist ist Bowie aber mehr als nur ein interessanter Musiker: „Als Teenager war Bowie für mich jemand, der von einer anderen Welt sprach und davon, dass man sich aus seinen Fesseln befreien kann. Er verknüpfte die persönliche Rettung mit der Rettung der Welt – wie in ,Ziggy Stardust‘, wo die Welt in fünf Jahren untergeht, aber Ziggy als Messias kommt, um alle zu retten.“
Im echten Leben hat Berlin Bowie gerettet. „In den USA wäre er untergegangen. Die Entscheidung, nach Berlin zu gehen, war auch ein Fluchtweg. Er hat vieles umgekrempelt: von der Rockstar-Villa in Los Angeles in eine einfache Wohnung in Schöneberg“, erklärt Kleist. Später soll Bowie gesagt haben, dass er in seinem ganzen Leben hier in Berlin am glücklichsten war.
Reinhard Kleist: „Ich habe gelernt, dass man Legenden auch mal stehen lassen darf.“
Kleist nutzte bei der Recherche die Dokumente und Berichte, die über nahezu jeden Schritt, den Bowie in Berlin gemacht hat, existieren. Er bleibt dokumentarisch, erlaubt sich aber auch Freiheiten: „Ich habe gelernt, dass man Legenden auch mal stehen lassen darf. Nick Cave sagte mir einmal, als ich an seinem Comic arbeitete: ,Du musst nicht immer an der Wahrheit festhalten, du kannst mich auch auf den Mond schießen‘“.
Der Kolorist Thomas Gilke, der im ersten Teil sehr exzessive Farben benutzte, musste für „Low“ wiederum einen neuen Ansatz finden. Das Klischee der grauen Stadt wollte er nicht bedienen, stattdessen fand er intensive Farben und fing ungewöhnlich, aber doch treffend das Gefühl jener Zeit ein.
Parallel zu der Graphic Novel entwarf Kleist für den tip den Siebdruck „David Bowie – Low“. Bowie läuft hier vom Breitscheidplatz in Richtung Bahnhof Zoo. „Es war mir wichtig, ein Motiv zu wählen, das mit Bowie und seiner Berliner Zeit zu tun hat“, sagt Kleist. Auch hier experimentierte er mit Farben und suchte nach der richtigen Stimmung eines regnerischen Tages in West-Berlin der 1970er-Jahre. Es gelang!
David Bowie „Low“ von Reinhard Kleist
- Siebdruck: Für den tipBerlin hat Reinhard Kleist den exklusiven Siebdruck „David Bowie – Low“ gestaltet. Limitiert auf 99 Exemplare, signiert und nummeriert, Format: 50 x 70 cm, Preis: 99 €. Exklusiv erhältlich im tipBerlin-Onlineshop: tip-berlin.de/bowie
- Graphic Novel: „Low – David Bowie’s Berlin Years“ von Reinhard Kleist, Carlsen, 176 S., 25 €
- Release-Party: Buchpremiere mit Live-Drawing und Konzert von The Good Sons. Im Gespräch mit Gesa Ufer gewährt Reinhard Kleist Einblicke in seine Arbeit. Meistersaal Köthener Str. 38, Kreuzberg, Fr 22.11., 20 Uhr, VVK 14,99 €, weitere Infos hier.
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