Eigentlich wollte Dillon nichts mehr veröffentlichen. Mit ihrer neuen Single „Ramon“ beginnt die Musikerin jetzt doch ein neues Kapitel. Im exklusiven tipBerlin-Interview spricht sie über ihre Entscheidung, Musik auf Deutsch zu machen, ihre Erfahrungen mit der Musikindustrie, die Herausforderungen des Lebens als Künstlerin und Mutter und die Suche nach Heimat in einer zerrissenen Welt.

„Die Erwartungen an Künstlerinnen haben sich stark verändert“
tipBerlin Deine neue Single, “Ramon“, ist ein Liebeslied – und passenderweise am Valentinstag erschienen. Dürfen wir uns jetzt auf ein neues Album freuen?
Dillon Früher habe ich ein Album fertig geschrieben und produziert – alles gemixt, gemastert, und dann war es schon draußen. Diesmal starte ich mit einer Single und lasse mir die Freiheit, langsam zu entscheiden, wie es weitergeht. Ich bin recht aufgeregt, weil diese neue Arbeitsweise für mich ungewohnt ist, aber auch befreiend.
tipBerlin Das klingt aufregend. Wie kam es denn dazu, dass du dich für diese Veröffentlichungsweise entschieden hast? Was ist für dich das Reizvolle daran im Vergleich zu einem klassischen Album?
Dillon Ich will mein Werk nicht mehr einfach abgeben, wie ich es früher gemacht habe. Die Erwartungen an Künstlerinnen haben sich stark verändert, ohne dass sich die Arbeitsbedingungen verbessert haben. Wir sollen ständig Content liefern, ohne dass wir immer das nötige Budget, Talent oder die Zeit dafür haben. Oft ist es für Labels attraktiver, irgendwelche Influencer mit vielen Followern unter Vertrag zu nehmen. Ich will das nicht werten, sondern einfach meinen eigenen Weg gehen. Ich habe Musik nie als etwas gesehen, das ich für immer machen würde, aber jetzt, 13 Jahre später, mache ich es immer noch. Ich schätze mein Leben und meine Arbeit sehr. Statt mich deshalb nur über die Veränderungen in der Branche zu beschweren, wähle ich einfach einen anderen Weg – und heute gibt es viele Möglichkeiten.
Ich will mein Werk nicht mehr einfach abgeben, wie ich es früher gemacht habe
Dillon
tipBerlin Also eine positive und eine negative Entwicklung gleichzeitig?
Dillon Ich sehe daran eigentlich nicht viel Positives, aber ich versuche trotzdem, das Beste draus zu machen. Es ist schon eine krasse Ausbeutung. Ich hatte lange vor, das nicht nochmal mitzumachen, und nur noch für mich zu schreiben. Dann schrieb mir mein enger Freund Tamer Fahri, mit dem ich sehr oft zusammengearbeitet habe. Er fragte, ob ich Lust hätte ins Studio zu gehen. Ohne seinen Impuls wäre das wahrscheinlich nicht passiert.
Neue Musik, ohne Label – und Dillon singt nun auf Deutsch
tipBerlin Das heißt, du hättest gar nicht gedacht, dass es noch mal eine Veröffentlichung geben wird?
Dillon Das habe ich in der Vergangenheit schon oft gedacht. Mein Alltag hat sich in den letzten Jahren sehr verändert, vor allem dadurch, dass ich Mutter geworden bin. Mein fast fünfjähriges Kind gibt mir täglich das Gefühl, die beste Person der Welt zu sein – gleichzeitig ist der Alltag mit Kind natürlich auch herausfordernd. Musik war für mich nicht mehr das Wichtigste. Mit Tamer im Studio kamen Stück für Stück neue Lieder. Es gab keinen Plan und auch keinen Druck.
tipBerlin Wie hat sich dein Sound im Laufe der Jahre verändert?
Dillon Der größte Unterschied ist, dass alles auf Deutsch ist.
tipBerlin War es das erste Mal, dass du auf Deutsch geschrieben hast?
Dillon Ja, tatsächlich. Mein erstes deutsches Lied war „Ramon“. Ich habe mich an mein Klavier gesetzt und es geschrieben, ohne viel darüber nachzudenken. Zuerst dachte ich, es sei nur ein deutsches Lied zwischen meinen anderen englischen, aber je mehr ich schrieb, desto befreiender wurden die Lieder. Es fühlte sich wie eine Neubesetzung an – ich, aber auf einer neuen Sprache mit neuen Wörtern und neuen Reimen und neuen Möglichkeiten mich auszudrücken. Die Themen, die mich beschäftigen, bleiben wahrscheinlich für immer die gleichen – Verlust, Tod, Einsamkeit – auf Deutsch haben sie für mich dennoch eine andere Tiefe. Es war sehr befreiend, meine Stimme auf Deutsch singen zu hören und andere Wörter, und auch Laute benutzen zu können. Natürlich wird nicht jeder davon begeistert sein, viele haben ja auch ihre Probleme mit deutscher Musik. Aber für mich ist jetzt der richtige Zeitpunkt, solche Musik zu veröffentlichen.
„Deutschland ist nicht unbedingt bekannt dafür, Gefühle im Alltag offen zuzulassen“
tipBerlin Warum glaubst du, dass viele Leute ein Problem mit deutscher Musik haben?
Dillon Musik hat eine einzigartige Fähigkeit, Menschen zu berühren und zu verbinden. Deutschland ist aber nicht unbedingt bekannt dafür, Gefühle im Alltag so offen zuzulassen. Der Umgang hier ist oft eher pragmatisch – man schätzt die Klarheit und Nüchternheit. Vielleicht versteckt man sich auch hinter Ihnen. Deutsche Musik kann sehr direkt sein, vielleicht ist das für einige hier zu viel. Ich persönlich habe sehr oft Kritik für meine Emotionalität bekommen. Gerade als junge Frau wurde ich schnell als „dramatisch“ bezeichnet. In anderen Ländern, werde ich viel eher akzeptiert. Nicht nur als Künstlerin oder Musikerin.
tipBerlin Eine sehr spannende Beobachtung. Warum hast du dich ursprünglich dagegen entschieden, auf Deutsch Musik zu machen?
Dillon Ich habe mich nicht dagegen entschieden. Ich habe bis ich 17 war eine britische Schule besucht. Zu Hause haben wir Englisch, Deutsch und Portugiesisch gesprochen. Englisch war meine Alltagssprache und ist bis heute die Sprache in der ich Träume.
tipBerlin Welche deutschsprachigen Künstler:innen hast du in den letzten Jahren für dich entdeckt?
Dillon Ich hab schon immer deutschsprachige Musik gehört, nicht nur die letzten Jahre. Pashanims „2000“ ist ein rührendes Debut.
tipBerlin Interessant, das klingt vor allem Hip-Hop-lastig.
Berlin ist meine Heimat geworden, nachdem ich mich lange heimatlos gefühlt habe
Dillon
Dillon Ja aber nicht ausschliesslich. Genres spielen für mich keine Rolle, ich muss die Musik fühlen können.
tipBerlin Wie hat Berlin als Stadt dich geprägt?
Dillon Mit 18 zog ich nach Berlin. Berlin ist meine Heimat geworden, nachdem ich mich lange heimatlos gefühlt habe – mein Herkunftsland Brasilien empfinde ich nicht als Heimat, obwohl ich mich so oft danach sehne. In Deutschland bin ich selbst nach 30 Jahren nie wirklich ganz angekommen. Irgendwann aber begriff ich, dass Berlin mein Zuhause ist, ob ich will oder nicht.
tipBerlin Was für schöne Schlussworte.
Dillon Oft ist es leichter, einfach wegzugehen, wenn es schwer wird, aber manchmal muss man eben bleiben und versuchen etwas zu verändern. Und deshalb dachte ich, ich muss so bald wie möglich wieder in Berlin spielen.
- silent green – Betonhalle Gerichtstr. 35, Wedding, Sa 22.3.2025, 20 Uhr, Tickets ab 41,15 €, Website
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