Interview

Rapper Dissy mit neuem Album „Anger Baby“: Goodbye, Heldenreise!

Am 25. März meldet sich der Rapper Dissy mit neuem Album zurück. Seine dritte Platte „Anger Baby“ führt seinen Protagonisten von Erfurt hinaus in die weite Welt, in die Hauptstadt, zu Selbstzweifel und Partyexzessen. Eine suspendierte Heldenreise, die ihr Pendant im Pragmatismus der Postapokalypse findet. Till Wilhelm hat den Rapper getroffen.

Rapper Dissy mit neuem Album: Man muss auch mal zur Ruhe kommen. Foto: Fritz Elsmann

Rapper Dissy mit neuem Album: Wer sich traut wird Held

Millennials lieben klassische Helden. Harry Potter, Luke Skywalker, Peter Parker – nette Typen, die in schweren Zeiten durch ihre (recht beliebigen) Fähigkeiten große Reserven an Mut und Strebsamkeit aufbringen, um die Welt zum Besseren zu verändern. Sie waren der scheinbare Beweis, dass man es mit etwas Glück und viel Willenskraft in dieser aus den Fugen geratenen Welt zu historischer Bedeutung bringen kann. Und klar, Rapper erzählen ihre Biografien ganz ähnlich: die Jugend im Block, das Überwinden diverser Hindernisse sowie Widrigkeiten und am Ende der erbauliche Sieg des Guten durch den reinen Glauben an sich selbst. Vom Tellerwäscher zum Millionär: Wer sich traut, wird Held. 

Der Rapper Dissy, ebenfalls Millennial, eröffnet sein neues Album „Anger Baby” mit der Proklamation: „Das ist die achtzigmillionste Story eines Tunichtguts.” Dabei leitet ein gezupfter Bass durch die Abhandlung der eigenen Jugend, beinahe gelangweilt über den schleppenden Beat erzählt. Orientierte sich sein letztes Album „Bugtape” 2021 noch an den elektrisierenden Noise-Produktionen experimenteller US-Rapgruppen wie Death Grips und Injury Reserve, stößt „Anger Baby” (obgleich immer noch textlastig) die Tür zu Pop und Melodie auf.

Die Negativität seiner Kunst habe ihm nicht gut getan, sagt der Wahlberliner, der zwar in Ost-Berlin geboren wurde, aber seine Kindheit in Erfurt verbrachte: „Durch die düstere Musik, die man macht, denkt man wieder düsterer – das führt in eine Abwärtsspirale.“ Für den Moment vielleicht, da fühlt es sich großartig an, all den Frust rauszulassen. „Aber die Erleichterung hielt nicht lang, es kam eine Phase, da dachte ich: Ein bisschen Hoffnung wäre doch auch nicht verkehrt.“

Rapper Dissy im Gespräch: Von Erfurt nach Berlin

Hoffnung, das heißt für Millennials: Eine Heldenreise muss her. Doch Dissy zog nie nach Mordor, nie durch die Galaxie, nie nach Hogwarts. Bloß von Erfurt (wieder) nach Berlin. „Anger Baby” ist die Erzählung dieser Abenteuerfahrt, von Aufbruchstimmung im choral orchestrierten „Muss Los” über harte Memphis-Drums auf der Suche nach finanzieller Stabilität in „Drag & Drop”, über die Appropriation von sozialistischen Arbeiterliedern inmitten von Zweifeln, was „Arbeit” denn eigentlich bedeutet, bis hin zur Betäubung des Weltschmerzes, dem Ertränken der Sorgen in Alkohol, „Fair Enough”.

Referenzen ziehen Schleifen zu den finsteren Welten vergangener Veröffentlichungen. Die szenische Fiktionalisierung des eigenen Lebens zugunsten der Main-Character Energy-macht den 32-Jährigen einerseits zur Stimme einer Generation, andererseits zum emotionalen Wrack, mental zerfressen von Selbstzweifeln, körperlich zerfressen vom Berliner Nachtleben, dem „Faible dafür, tagelang durchzumachen“, wie er selbst sagt. „Ich war lange in einem Selbstzerstörungsmodus.“

tipBerlin Dissy, du bist zugezogen, aufgewachsen in Erfurt. Sah dein Leben dort anders aus?

Dissy In Erfurt habe ich studiert, nebenbei in der Gastronomie gearbeitet und Videos produziert, für andere Musiker:innen und Firmen aus der Region. Stille konnte ich immer schlecht ertragen, stürzte mich in Arbeit. Es musste immer viel los sein, eine große Nervosität. Gerade bin ich dabei, das zu ändern. 

tipBerlin Trotzdem beschreibst du die thüringische Landeshauptstadt als „K-Hole ohne Zeit”.

Dissy Als junger Typ mit großen Visionen habe ich das so wahrgenommen. Aus Erfurt verschwinden auch all diejenigen, die selbst ein bisschen was drauf haben. Also hing ich herum und habe mich nach dem wilden Treiben gesehnt. 

tipBerlin Über Erfurt rappst du auch: „Viele dort beton’n das ‘Rechts’ deutlich in ‘nem Rechtsstaat.“ Wie präsent war rechte Gewalt in deiner Jugend?

Dissy Ehrlich gesagt habe ich mich lange nicht so intensiv damit auseinandergesetzt wie heute. Ich habe härteren Rap gemacht und mit Leuten aus ganz anderen Milieus abgehangen. Auf der Straße verbindet sich alles mehr. Rechte Sprüche gab es durchaus; trotzdem genossen Hooligans hohes Ansehen. Mit denen wollte man trotzdem cool sein. Meinungen haben auf der Straße weniger Wert. 

Rapper Dissy mit neuem Album: „In Clubs zu gehen, ohne auf irgendwelche AfD-Wähler zu treffen, ist beinahe unmöglich“

tipBerlin Das klingt nach ignoranter Koexistenz. Wann ist dieses Verhältnis gekippt?

Dissy Später haben wir uns sehr stark über HipHop identifiziert. Dann haben die Nazis einen von uns verprügelt und wir daraufhin deren Club gestürmt. Wir sind rein und haben denen aufs Maul gehauen, das Ergebnis war ein gelber Brief wegen Landfriedensbruch. Die Fronten wurden härter. Und erst dann habe ich gemerkt: Für Andere existierten diese Fronten schon viel länger. Ich hatte bloß vorher nicht darauf geachtet. Mit Anfang Zwanzig habe ich das nicht mehr ausgehalten, ständig mit Freunden und deren Eltern diskutiert, in WGs mit Autonomen und Graffiti-Sprüher:innen gewohnt. Ich habe mich radikalisiert – und mich endlich damit auseinandergesetzt, was in Erfurt eigentlich abging. Wenn ich jetzt dorthin fahre, fällt mir der Rechtsextremismus viel stärker auf. In Clubs zu gehen, ohne auf irgendwelche AfD-Wähler zu treffen, ist beinahe unmöglich. 

tipBerlin Welche Hoffnungen hatten Sie an die Großstadt?

Dissy Ich dachte, ich hätte eine große Künstlerkarriere vor mir. Mit Anfang Zwanzig ging es gut los. Eine erste EP, ein erster Hype im Untergrund. Aber in dem Alter denken viele, sie werden Stars. Bei jungen Rappern merke ich häufig, dass sie denken, sie wären die Allerbesten, die es richtig reißen werden. Heute bin ich bescheidener und weiß: Das ist völliges Pillepalle. 

tipBerlin War diese Erkenntnis eine Enttäuschung?

Dissy Nein, eher eine Entlastung und auch der gesündere Ansatz. Sich einzugestehen, dass man ein Dulli wie jeder andere ist, nimmt den Druck raus. 

Diese Einsicht schlägt sich dann auch in „Anger Baby” nieder: „Ich bin die Zukunft – denn ich seh gerade echt beschissen aus.“ Dissy reißt all die erbauten Welten ein, die ihm nicht mehr gut tun, konstatiert: „Das ist meine Postapokalypse.“  Damit trifft er ins Bull’s Eye einer Gegenwart, die Heldenfahrten, ja sogar bloß spirituelle Selbstfindungsreisen nach Bali oder Neuseeland unmöglich macht. Die heldenhafte Weltverbesserung ist längst überholt, das individuelle Streben nach Größe verheddert sich im Kreislauf, die weite Welt ist zerstört durch Krieg und Klimakrise, im Lockdown zur Gefahrenzone erklärt. Zurückgeworfen auf die eigene Existenz erkennt Dissy, dass Orakel sich irren, dass die Heldenreise ein Fehlgriff war, dass all die Träume keine Rettung sind. „Bin nur ein Typ, der seinen Weg sucht / Und langsam werd’ ich darin gut“, heißt es im Outro. Statt der großen Fantasie manövriert Dissy nun seine eigene kleine Lebenswelt. Wie wir alle. 

  • Dissy „Anger Baby”(Corn Dawg/Virgin Music/Universal), Erscheinungstag: 25.3.2022
  • Konzert in Berlin am 8.4.2022 im Eden, Schleusenufer 3, Kreuzberg

Mehr Hip-Hop aus Berlin

Ihr liebt Hip-Hop? Dann könnte euch auch unser Interview mit Casper begeistern – oder unser Feature über Luvre47, der uns mit in die Abgründe der Gropiusstadt nimmt. Auch Hip-Hop ohne Rap kann spannend sein, wie der Berliner Instrumental-Künstler V.Raeter beweist. Hip-Hop und Berlin gehören zusammen: Schaut euch unsere Berliner Hip-Hop-Geschichte in Bildern an!

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin