Das Berliner Popjahr ist noch keine zwei Monate alt und geht schon wieder enorm nach vorn. So viel gute Musik und so wenig Zeit. Ein kleiner Ausschnitt aus den spannendsten Neuveröffentlichungen der Stadt. Diesmal mit neuer Musik von Güner Künier, The Underground Youth, Das Beat, Anika, Karlo K und anderen. „Don’t call it Berlin-Pop“ ist die Berliner Songkolumne von Julian Zwingel.
Güner Küniers „Sabahlar“ klingt nach kühlem, noisigem Post-Punk
Güner Küniers „Sabahlar“ klingt nach kühlem, noisigem Post-Punk samt simpel-stoischen Synthies und Drums und beweist wieder mal, wie gut die türkische Sprache zu dieser Ästhetik passt. Künier tritt immer wieder auch als Trio auf, spielt aber auch sehr überzeugende Soloshows.
Wäre diese Kolumne ein DJ-Set, würde ich jetzt Das Beat spielen, die aktuell auf einem einem kleinen Hype surfen und neulich das Berghain bespielten. Im Vibe und in der Ästhetik ähnlich wie Güner Künier, aber noch einen Tacken zugänglicher. Irgendwie klingen die letzten Veröffentlichungen wie die dunkle Seite des wavigen deutschen Mainstreams der 1980er-Jahre: tiefergehend, frech, abgründig, kurzum: spannend.
In gleichermaßen clubbige, wie analog-elektronische Tiefen steigt auch Afar ab. Live ist das Duo eine absolute Wucht, aber auch auf Platte entwickelt die neueste Single „changing rules“ einen subtilen Sog, samt LoFi-Drums, verzerrten Gitarren und expressivem Gesangsgeschrei Richtung Ende.
Die Berliner Postpunk-Band The Underground Youth um Craig und Olya Dyer geht auf der neuen Single „You(The Feral Human Thunderstorm) mit Streichern und TripHop-Vibes neue Wege. Vielversprechend und spannend, wo sie dann auf dem neuen Album rauskommen werden und wie viele alte Fans dabei verprellt werden.
Fuffifufzich hat ihre ganz eigene Sprache gefunden
Fuffifufzich hat ihre ganz eigene Sprache gefunden und dockt damit besonders bei Gen Z & Alpha an. Spielend überdribbelt werden aber nicht nur Sprachgrenzen, sondern auch Musikdekaden. Manches klingt nach Synthie-lastigen Pop-Powerballaden aus den 1980er-Jahren, anderes nach angedeutetem Trance oder Spät-90er-Trip-Pop. „Lack again“ ist für letztgenannten Vibe das schönste Beispiel. Tolle Platte!
Was Neues gibt es auch von Anika. „Hearsay“ ist die erste Single vom im April erscheinenden Album „Abyss“, also Abgrund. Die Platte soll grungig und punkig sein und ist im legendären Hansa Studio erschienen. In „Hearsay“ geht es um Medienmogule und ihre Macht und wie diese unser aller Leben beeinflusst. Der Zeitgeist tritt hier also nicht nur musikalisch die Tür ein.
Ganz anders, aber auch sehr politisch ist Karlo K unterwegs. Karlo „will keinen Sex, Baby, ich will Mietendeckel“ Auf einem wavig-melancholischen Beat geht es hier nur vordergründig naiv um die ungebremste Verdrängung an den Rand der Stadt. Smoother wurde noch nie über das Berliner Dauerthema gerappt.
Wann veröffentlichen Tocotronic endlich eine schlechte Platte?
Und jetzt: Tocotronic. „Golden Years“ kam am Valentinstag raus. Der darin enthaltene Song „Mein unfreiwillig asoziales Jahr“ verbindet klanglich die Tocotronic-Übergangsphase Ende der Neunziger mit dem verästelten aktuellen Werk voller impressionistischen, kleinen Perlen. Auch der Rest bleibt auch nach mehreren Durchläufen schön zu hören und spannend genug, um immer wieder neue Schichten freizulegen. Bleibt nur noch die Frage: Wann veröffentlichen Tocotronic endlich eine schlechte Platte? Geradezu unerträglich, diese Konstanz.
Hans-Joachim Roedelius als Legende zu bezeichnen ist sicherlich nicht übertrieben. Maßgeblich beeinflusste Roedelius den Kraut-Rock der Siebziger Jahre mit den Bands Cluster und Harmonie und blieb auch danach in einem schier unüberblickbarem Output der Experimental-, Ambient- und elektronischen Musik eng verbunden. Anfang des Jahres erschien mit der „Moon Garden“-EP gemeinsam mit Onnen Bock und Yuko Matsuzaki, ein ätherisches, wunderschönes Stück Musik.
Und mit diesem introspektiven, letzten Akkord endet auch diese erste Musikkolumne. Bis bald, an gleicher Stelle! Euer, Julian Zwingel.
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