Der Musiker und Comedian Dr. Pop tritt mit seiner aktuellen Show „Hitverdächtig“ am 23. Dezember in den Wühlmäusen auf. Wir sprachen mit ihm über gute und schlechte Weihnachtslieder, die Nostalgie als höchstes Gut und die Frage, wie Musik einem in der Weihnachtszeit helfen kann.
Das meistverkaufte Lied der Musikgeschichte ist ein Weihnachtssong
tipBerlin Dr. Pop, wir wollen mit Ihnen über Weihnachtslieder sprechen. Was fällt Ihnen dazu ein?
Dr. Pop Dass „White Christmas“ von Bing Crosby als das meistverkaufte Lied der Musikgeschichte gilt. Dazu gibt es verschiedene Auswertungen, aber man trifft immer wieder auf die Zahl 50 Millionen verkaufter Tonträger. Das Lied ist auf Schellack erschienen, noch bevor es Vinyl gab. Ich habe mir tatsächlich so ein Originalexemplar von 1942 zugelegt und bin sehr stolz, diese Platte zu besitzen. Diese Mischung aus Crosbys Crooner-Stimme mit diesem angenehmen Kratzen der alten Platte finde ich unglaublich schön. Das erzeugt ein sehr warmes, heimeliges Gefühl. Wenn ich das Lied in meiner Show anspiele, singt jeder mit, das ist eine große Leistung für ein Lied, das bald 100 Jahre auf dem Buckel hat. Dazu gibt es übrigens einen Fun-Fact zu erzählen: Auf eine Schellack-Platte passten nicht mehr als drei Minuten, und das ist der Grund, warum bis heute so viele Songs etwa drei Minuten lang sind.
tipBerlin Wie verbringen Sie privat die Weihnachtszeit? Gehören Weihnachtslieder, auch jenseits von Bing Crosby, dazu?
Dr. Pop Jetzt wieder, weil ich einen Neffen habe, der Saxophon spielt, und meine Schwägerin spielt Klavier und dadurch hat bei uns das Thema Hausmusik wieder Einzug gefunden. Aber erst durch den Nachwuchs innerhalb der Familie. Also es wird jetzt bei uns wieder musiziert und das kann ich jedem empfehlen, weil Weihnachten auch ein Fest sein kann, wo es zu Konflikten kommen kann, und Musik ist nachweislich etwas, was die Gemüter besänftigt.
tipBerlin Stichwort „die Gemüter besänftigen“. Welche Rolle spielt Nostalgie bei Weihnachtsliedern, sehnen wir uns an Weihnachten nach vertrauten Klängen?
Dr. Pop Nostalgie ist in der Musik das größte Gut, das es gibt. Im Alter zwischen 15 und 25 lernen wir viel Musik kennen, die wir das ganze Leben mit uns mitnehmen. Das ist laut der Musikpsychologie die wichtigste Zeit, und bei Weihnachtsliedern fängt das sicher noch ein bisschen früher an, dass man bestimmte Lieder auch schon in der Kindheit gehört hat. In der Regel ist für die meisten Menschen die Weihnachtszeit auch etwas sehr Schönes und wenn man da Lieder kennenlernt und die Weihnachtsfeste schön waren, dann wird das alles sehr positiv bewertet. Es gibt auch Weihnachtssongs, die mit Filmen assoziiert werden, die man gerne mag, so bauen sich bei uns innerlich Referenzen auf, die an Weihnachten immer wieder getriggert werden.
tipBerlin Gibt es eigentlich einen Trick, wie Weihnachtslieder besonders gut funktionieren, Glöckchen oder so etwas?
Dr. Pop Es gibt so ein paar Sounds und Instrumente, die bei Weihnachtsliedern wohl immer vorkommen müssten. Das sind eben diese Glöckchen oder der Schellenkranz und Glockenklänge, die einen an Big Ben erinnern lassen, und die Texte sind auch wichtig, die sollten auch weihnachtlich sein. Es gibt sogar eine Weihnachtsversion des Eurodance-Hits „Coco Jamboo“ von Mr. President aus den 1990ern. Da ist der Text, wie man ihn kennt, und dann kommt irgendwie nur „Christmas here, Christmas there, Christmas everywhere“. Die haben es sich relativ einfach gemacht, aber es funktioniert.
tipBerlin Weihnachtslieder können auch so richtig nerven. Es gibt ja nicht nur „Coco Jamboo“ in der Christmas-Edition, sondern auch „Last Christmas“ von Wham!, das ist ja wirklich schwer zu ertragen.
Dr. Pop Ich glaube, dass Radioeins sich ganz konkret dazu entschieden hat, „Last Christmas“ während der Weihnachtszeit nur ein einziges Mal zu spielen. Ja. Das wird dann auch ein bisschen zelebriert und ist schon Kult geworden. Was den Nervfaktor angeht, ist Wham! schon weit vorne. Ich erinnere mich an eine Harald-Schmidt-Sendung in den 1990ern, in der als Running Gag die gesamte Sendung lang im Hintergrund nur die Instrumentalversion von „Last Christmas“ lief. Das war absolute Folter, aber auch eine schöne Konsumkritik, weil man natürlich in den ganzen Einkaufstempeln das auch die ganze Zeit hört.
Dr. Pop über das Weihnachtsalbum von Rammstein-Keyboarder Flake
tipBerlin Es gibt kaum einen Star, der nicht ein Weihnachtsalbum aufgenommen hätte. In allen Genres werden Weihnachtsalben veröffentlicht, von Heavy Metal bis Hip-Hop. Warum funktioniert Weihnachten immer und überall?
Dr. Pop Weil es das ist, was sich historisch gesehen, am besten verkauft. Sommer-Hits und Weihnachts-Hits kommen Weihnachten und im Sommer immer wieder. Also wenn nichts schief geht. Deshalb kann man die Sachen auch immer wieder nachverkaufen, und bestimmte Weihnachtslieder kommen auch immer wieder in die Charts.
tipBerlin In diesem Jahr könnte es so der Rammstein-Keyboarder Flake in die Charts schaffen. Er hat gerade sein Weihnachtsalbum „Flake feiert Weihnachten“ veröffentlicht, unter anderem mit einer von ihm eingesungenen Version von „Ihr Kinderlein, kommet“. Was sagt man dazu?
Dr. Pop Das ist natürlich kreativ, weil Flake als Rammstein-Keyboarder mit anderen Liedern assoziiert ist als mit „Ihr Kinderlein kommet“. Wobei Rammstein in der Vergangenheit immer sehr geschickt damit gespielt haben, das sehr Harte mit dem vermeintlich Trivialen zu bündeln. Ich weiß jetzt nicht, wie das genau bei Flake klingt, aber etwas martialischer mit Weihnachtsliedern umzugehen, finde ich erstmal nicht unsympathisch. Schon allein deswegen, weil oftmals an Weihnachten eine Art selige Harmonie vorgaukelt wird, die in vielen Familien vielleicht gar nicht so vorherrscht. Wenn das mit solchen Songs ein bisschen gebrochen wird, kann das emotional einigen Leuten gut zur Seite stehen.
tipBerlin Wie meinen Sie das?
Dr. Pop Manche Weihnachtslieder, die mit so einem anderen Habitus daherkommen, können helfen zu sagen: „Okay, ich bin nicht allein mit dem Gefühl, dass hier nicht alles stimmt.“ Das kann die steife Stimmung aufbrechen, man findet unglaublich viele Klischee-Lieder an Weihnachten, aber man findet eben auch diese Beispiele im Punk und anderen Genres, wo das Thema Weihnachten aufgebrochen wird. Was bei uns zu Hause Tradition hat, ist Helge Schneiders Hörspiel „Weihnachten bei van den Bergs“, da geht es darum, dass der Vater wie so ein Pascha im Sessel sitzt und alles rumkommandiert. So kann man sich klarmachen, dass an Weihnachten trotzdem ähnliche Verhältnisse herrschen, wie sonst über das Jahr hinweg auch.
„Bei den Kastelruther Spatzen sind auch Weihnachtslieder dabei, wo ich sagen würde: Das sind härtere Texte als Rammstein“
Dr. Pop
tipBerlin Sie haben völlig recht, Anti-Weihnachtslieder haben eine Tradition. Von Punk bis Weird Al Yankovic gab es immer wieder kritische und ironische Weihnachtssongs.
Dr. Pop Es kommen an Weihnachten eben unglaublich viele Emotionen zusammen und die sind für manche pure Harmonie, was auch schön ist. Aber für andere ist es doch eine Zumutung, und man fragt sich dann: Fahre ich jetzt wirklich wieder zu den Eltern, tue ich mir das an? Es gibt eine gute Entwicklung in unserer Gesellschaft, so nehme ich das zumindest wahr, dass wir doch ein bisschen offener über emotionale Schwierigkeiten sprechen. Noch vor 15 Jahren wäre es nicht selbstverständlich gewesen, dass ein Comedian wie Kurt Krömer ein Buch über Depressionen veröffentlicht. Und ich finde es gut, wenn wir an Weihnachten auch darüber nachdenken, wie es uns wirklich damit geht, ob man sich das alles zumuten muss. Und da kann Musik einem auch emotional zur Seite stehen.
tipBerlin Sie treten in Berlin im Rahmen Ihrer diesjährigen Tour „Hitverdächtig“ auch am 23. Dezember auf, einen Tag vor Weihnachten. Da kommen Sie an Weihnachten eh nicht vorbei, oder?
Dr. Pop Nein, das wäre schon sehr merkwürdig. Deshalb gibt es in meiner Show auch genau die Mischung aus Besprechungen der Lieder, die wirklich schön sind. Da gibt es auch so ein paar Tipps aus der Klassik, die jetzt nicht ganz so bekannt sind, aber ich beschäftige mich auch mit den Härtefällen. Es gibt Weihnachtslieder von den Amigos und von den Kastelruther Spatzen und von Florian Silbereisen, da müssen wir dann zusammen durch. Das muss man sich klarmachen, die Kastelruther Spatzen haben mehr „Echos“ abgeräumt als Lindenberg oder Grönemeyer und über 15 Millionen Tonträger verkauft. Da sind auch Weihnachtslieder dabei, wo ich sagen würde: Das sind härtere Texte als Rammstein zu ihren härtesten Zeiten. Das wird auch thematisiert, um nicht zu sagen problematisiert.
Aber natürlich geht es auch um Musik jenseits von Weihnachten, die Show heißt „Hitverdächtig“ mit dem Zusatz „ständig aktualisiert“. Es gibt ein paar feste Elemente im Programm, wo ich wirklich was über die Musikgeschichte erzähle, aber in diesem Jahr komme ich an dem Sommerhit „Bauch, Beine, Po“ von Shirin David nicht vorbei. Aber im Kern will ich sagen, was Musik eigentlich alles besser in unserem Leben macht. Und vielleicht wird der eine oder andere sich nach der Show doch noch eine Blockflöte oder ein kleines Keyboard zu Weihnachten wünschen.
tipBerlin Macht Musik uns zu besseren Menschen?
Dr. Pop Definitiv und es ist nie zu spät damit anzufangen, ein Instrument zu spielen. Es gab eine Untersuchung in England, da hat man Menschen, die vorher noch nie Klavier gespielt haben und über 70 waren, dazu eingeladen, Klavierunterricht zu nehmen. Die haben das drei Monate lang gemacht und alle hatten nicht nur Freude daran, sondern man hat dann auch Koordinationstests mit denen gemacht. Die hatten danach alle ein besseres Koordinationsvermögen und manche konnten sogar besser rückwärts einparken. Musik ist die einzige Droge auf diesem Planeten, die keine Nebenwirkungen hat. Wenn es uns nicht gut geht, können wir Musik hören, die pusht uns nach vorne. Wir können aber auch traurige Musik hören, weil sie uns das Gefühl gibt, verstanden zu werden. Wir fühlen uns weniger allein, und oft ist in trauriger Musik auch etwas drin, bei dem wir das Gefühl haben: Wow, da wird etwas zum Ausdruck gebracht, wofür es gar keine Worte gibt. Musik hilft immer und das ist zur Weihnachtszeit wichtig, aber auch das ganze Jahr.
Interview: Jacek Slaski, Mitarbeit: Larissa Reznicek
- Dr. Pop: „Hitverdächtig – Die Musik-Comedy-Stand-up-Show“ Die Wühlmäuse, Pommernallee 2–4, Charlottenburg, Mo 23.12., 20 Uhr (ausverkauft), Zusatztermine: Do 2.1., Sa 29.3.+ So 30.3.2025, mehr Infos hier
Von Heavy Metal bis Rap: Weihnachtslieder aus Berlin. Falls ihr immer noch nicht in Weihnachtsstimmung seid – den idealen Weihnachtsmarkt findet ihr sicherlich in unserem festlichen Überblick über die Weihnachtsmärkte in Berlin. Falls euch die Füße beim vielen Stehen kalt werden, könnt ihr auf diesen weihnachtlichen Spaziergängen Berlin neu kennenlernen. Die Weihnachtszeit ist bekanntermaßen Shopping-Höhepunkt des Jahres und schmälert so manchen Geldbeutel – mit diesen 12 kostenlosen Tipps für den Dezember könnt ihr Berlin gratis erleben. Nochmal Weihnachtsshopping: Hier findet ihr hier die beste Weihnachtsdeko in Berliner Geschäften, und falls euch auf den letzten Metern vor Heiligabend immer noch Geschenke fehlen, keine Panik: Last-Minute-Geschenke vom Späti haben wir hier für euch gesammelt. Mehr Inspiration und Ideen findet ihr in unser Rubrik Shopping.