Ebow singt vom Verknalltsein in straight girls und entwirft Fußballtrikots für ihre Fans. Ihr neues Album „FC Chaya“ bringt nicht nur die Stimmung der 2000er-Lovesongs zurück, es sollte auch ein „explizit queeres“ Album werden – und Ebows wohl persönlichstes Werk bisher. Am 22. und 23. November spielt sie zwei ausverkaufte Shows im SO36. Unser Porträt der Berliner Rapperin, die lieber Tracks für ihre Community macht, als nach dem großen Ruhm zu streben.
Ebow: „Lesbisch“ ein neues Image verpassen
Im Laufe der Geschichte nutzten queere Menschen immer wieder verschiedene Erkennungszeichen, um für Eingeweihte ihre Identität oder ihr sexuelles Interesse sichtbar zu machen – und dabei für die Mehrheitsgesellschaft unerkannt zu bleiben. „In Berlin sehen wir gay, zuhause ziemlich straight aus“, rappt Ebow. Man könnte sagen: Wer die Codes kennt, konnte sie wohl schon immer als queere Künstlerin verorten. Doch bei ihrer Familie geoutet hat sich die 1990 in München geborene Deutsch-Kurdin Ebru Düzgün, wie Ebow bürgerlich heißt, erst im letzten Jahr.
Ein spätes Coming-out
Auf ihrem neuen Album „FC Chaya“ feiert Ebow nun die lesbische Liebe und bringt ihre künstlerische Vision auf den Punkt. Man hört Einflüsse der R&B-Lovesongs aus den frühen 2000ern, mit denen Ebow musikalisch sozialisiert wurde. Fast zwei Jahre hat sie an dem Album gearbeitet, der Track „Ebru’s Story“ entstand dabei erst ganz am Ende. Das liegt unter anderem daran, dass das Gespräch, um das es im letzten Part geht, noch nicht lange zurückliegt. „Ebru’s Story“ ist die Geschichte ihrer Identitätsfindung, die Rapperin erzählt davon, wie sie schon als Kind realisierte, dass sie nicht auf Jungs stand, sondern auf „die eine aus der Siebten.“ Wie sie betete, Gott solle sie davon heilen. Sie schildert die emotionalen Kämpfe, die sie durchlebte, einschließlich Suizidgedanken. Beschreibt, wie sie sich endlich traute, das Geheimnis mit ihrem besten Freund zu teilen. Und dann schließlich, wie sie als Erwachsene erst ihrer Tante, dann dem Rest der Familie von ihrem Lesbischsein erzählte.
„Ich brauchte das Gespräch, um endlich alle Bereiche abzuschließen und diesen Song zu schreiben. Vorher hätte ich das nicht gekonnt, es wäre nicht ehrlich gewesen“, erzählt Ebow im kollektiv betriebenem Café K-Fetisch in der Neuköllner Weserstraße. Sie bestellt Kuchen und Limonade, zahlt für die Person, die vor uns bestellt hat, gleich mit.
Wir treffen uns kurz vor dem Release von „FC Chaya“, sie dürfte zu diesem Zeitpunkt schon einige Interviews dazu gegeben haben. Doch unser Gespräch fühlt sich nicht nach Promo-Talk an, während sie von den Momenten erzählt, die sie in „Ebru’s Story“ verarbeitet hat: „Es war, als ob mir ein Stein vom Herzen gefallen wäre, denn ich hatte so lange darauf gewartet.“
„Ich dachte an die kleine Ebru, die sich niemals hätte vorstellen können, wo ich heute stehe“
Ein Gefühl, mit dem sich viele Menschen identifizieren können, wie die Kommentarspalte unter dem Musikvideo zeigt. „Ich bin so dankbar, das erleben zu dürfen. Ehrlich, mutig, befreit und befreiend – habe so drauf gewartet, dass sowas in Deutschland passiert,“ schreibt jemand. Das Video mutet an wie ein Kurzfilm, in dem die heutige Ebow ihrem Teenager-Ich zur Seite steht. Ebow liked jeden Kommentar, antwortet oft, schickt ein Herz oder aufbauende Worte.
Für sie geht es in dem Song auch darum, anderen Mut zu machen: „Ich möchte vermitteln, dass alles so viel besser wird, als man es sich erträumt.“ Erst neulich fuhr sie in München durch die Gegend, in der sie aufgewachsen ist: „Ich dachte an die kleine Ebru, die dort gewohnt hat und sich niemals hätte vorstellen können, wo ich heute stehe.“
Ebow fing schon in ihrer Münchener Kindheit an, Gedichte und Songtexte zu schreiben. Begann ihre Karriere mit Anfang 20, rappte im Bahnhofsviertel der bayerischen Metropole, in Waschsalons und Supermärkten, dann auf kleineren Festivalbühnen. 2013 erschien das Debütalbum, dann drei weitere Alben, Preise, Nebenprojekte zwischen Partys und Architekturstudium.
Nun also Album Nummer fünf. Auf „FC Chaya“ gelingt Ebow es, queere Erfahrungen auf vielschichtige, empowernde Weise zu transportieren, die über die Herausforderungen eines Coming-outs hinausgehen. Erzählungen, die es im deutschsprachigen Kontext, insbesondere aus migrantischen Perspektiven, noch immer zu selten gibt.
Der Begriff ‚lesbisch‘ hatte für mich lange eine irgendwie altbackene Bedeutung, etwas, das man nicht unbedingt für sich selbst verwenden würde. Aber inzwischen ist es für mich ein schöner Begriff.
Ebow
Ebow hat keinen Bock auf Poly-Lifestyle
Das klingt mal nach sexy, flirty R&B-Vibes wie in „Juicy“, mal nachdenklicher, politischer wie in „Free.“ In „Do Ya?“ wird humorvoll ein wenig Kritik auf moderne Beziehungskonzepte geworfen, denn Ebow hat trotz ihres Berliner Umfelds keinen Bock auf Poly-Lifestyle – weil sie zwar „woke“ ist, aber gleichzeitig „toxischer Kanacke“, meint sie. Und dann ist da dieser Feelgood-Indie-Track: „Lesbisch“, der schon im Mai veröffentlicht und in der Community schnell zum Sommerhit wurde. „Sag Bescheid, wenn er dein Ex ist, denn alle pretty babes sind lesbisch“, singt Ebow und beschreibt damit eine Dynamik, die viele queere Frauen nur zu gut kennen: sich in eine Frau zu verlieben, die in einer Beziehung mit einem Mann ist.
„Der Begriff ‚lesbisch‘ hatte für mich lange eine irgendwie altbackene Bedeutung, etwas, das man nicht unbedingt für sich selbst verwenden würde,“ erklärt Ebow. Schwer vorstellbar, so selbstbewusst, wie sie den Track inzwischen auf Bühnen im ganzen Land performt. Doch diese „irgendwie“ negative Konnotation ist weit verbreitet – selbst unter Menschen, die sich selbst als lesbisch identifizieren. Noch immer wird der Begriff mit Abwertung und Stereotypen in Verbindung gebracht, schließlich mangelte es lange an positiver Repräsentation.
Ein Song für die Community
Für viele lesbische Personen dürfte Ebows Track also einen wichtigen Beitrag geleistet haben, die Bezeichnung auf eine neue, positive Weise zurückzuerobern. „Inzwischen ist ‚lesbisch‘ für mich ein schöner Begriff. Deswegen war es mir wichtig, den Song zu machen“, erzählt sie und zündet sich vor dem Café eine Zigarette an. „Mein Produzent fragte: ‚Willst du es nicht etwas allgemeiner machen, damit sich mehr Leute angesprochen fühlen?‘ Ich meinte: Nein, ich will, dass es endlich mal ein Song für genau diese Community ist.“
Der Community fehlte es lange Zeit nicht nur an popkultureller Repräsentation, sondern auch an Räumen. „Ich bin in München aufgewachsen, wo es nur alle paar Monate mal eine lesbische Party gab,“ erinnert sich Ebow. Auch in Berlin waren lesbische Orte oder überhaupt queere Räume, die nicht hauptsächlich ein schwules Publikum ansprechen, lange rar gesät. Doch in den letzten Jahren hat sich viel getan: „Es ist schön, dass wir mittlerweile einige Lesbenräume in Berlin haben. Ich hoffe, dass das so bleibt.“
Ihre Lieblingsbar? „Momentan mag ich die Partyreihe ‚Les Biens‘ sehr, weil viel Hip-Hop und R&B gespielt wird. Aber ich finde es toll, dass die Orte so unterschiedlich sind. Das Stück zum Beispiel ist super, um einen guten Drink zu genießen und Leute zu treffen. Die Oya Bar, die vor allem für die BIPoC-Community ein Safe Space ist. Und Möbel Olfe macht einfach Spaß.“
Deutsche Musikbranche: Noch immer nicht queer genug?
Mehr lesbische Bars, mehr lesbische Stars: Tatsächlich könnte das Jahr 2024 als Wendepunkt in der Popkultur für lesbische und weibliche queere Künstlerinnen in die Geschichtsbücher eingehen. Mit Boygenius, die Anfang des Jahres bei den Grammys abräumten, dem Aufstieg Chappell Roans zum Rekord-Megastar, oder Billie Eilish, die sich offen zu ihrer queeren Identität bekennt, hat sich auf internationaler Bühne eine Reihe von Künstlerinnen etabliert, die Sichtbarkeit und Repräsentation auf ein neues Level bringen. Ihr Einfluss ist unübersehbar: Queere Themen werden so sehr in den Mainstream integriert, dass es schon fast auffällt, wenn Ikonen wie Charli xcx sich nicht als queer labeln.
Hinter den Kulissen ist die Branche nach wie vor sehr männlich geprägt. Um wirklich etwas zu ändern, müssen wir die Strukturen verändern.
Ebow über die deutsche Musikbranche
Auch im deutschen Rap hat sich in den letzten Jahren etwas getan. Doch während immer mehr Künstler:innen offen zu ihrer Identität stehen und queere Themen in ihren Texten behandeln, ist die Anzahl derer, die in der breiten Öffentlichkeit als queer wahrgenommen werden, noch begrenzt. Einige, wie Ebow oder die 2002 in Brandenburg an der Havel geborene Rapperin Badmómzjay, haben es geschafft, ihre Nische zu finden und eine loyale Fangemeinde aufzubauen.
Trotzdem ist die Musikindustrie nach wie vor stark von heteronormativen Strukturen geprägt, und viele queere Künstlerinnen kämpfen um Anerkennung und die gleichen Möglichkeiten wie ihre männlichen Kollegen. „Hinter den Kulissen ist die Branche nach wie vor sehr männlich geprägt“, meint Ebow und zeigt sich skeptisch. „Die Industrie hat erkannt, dass Feminismus ein relevantes Thema ist und weibliche Rapperinnen interessant sind – und wenn sie auch queer sind, noch besser. Aber ich denke, um wirklich etwas zu ändern, müssen wir die Strukturen verändern.“
Für immer Indie-Künstlerin
Streaming-Zahlen, schnelle virale Hits – dem Druck in der heutigen Musiklandschaft will sich Ebow ohnehin nicht beugen. „Ich sehe mich immer noch als Underground-Künstlerin und nicht als Mainstream-Act mit Millionen von Followern“, sagt sie. „Ich schreibe immer für mich und meinen Freundeskreis. Wenn meine Freund:innen sagen: ‚Ja, das fühle ich!‘, weiß ich, ich bin auf dem richtigen Weg.“
Auch wenn das immer wieder finanzielle Herausforderungen bedeutet: Das Video zu „Ebru’s Story“ etwa hätte sie sich als Independent-Künstlerin normalerweise nicht leisten können. Umsetzen konnte sie dank ihres unterstützenden Umfelds: „Weil viele Leute daran glaubten und mir helfen wollten, diese Story zu erzählen.“
Für Ebow bleibt das Wesentliche die Leidenschaft für das Geschichten erzählen. „Jeder Künstler, der wirklich etwas zu sagen hat, sollte versuchen, seinen eigenen Weg zu gehen. Vor zehn Jahren hätte ich wahrscheinlich gesagt, dass ich will, dass jeder meine Musik hört und dass ich berühmt werde“, glaubt sie. „Aber ich weiß, dass meine Musik in Deutschland nicht unbedingt Mainstream ist. Darin meine Nische gefunden zu haben, ist für mich voll der Luxus.“
Ebow – „FC Chaya Ultras“ Tour
- SO36 Oranienstr. 190, Kreuzberg, Fr. 22.+ Sa 23.11., ausverkauft
So queer ist Neukölln: Mehr lesbisch-queere Orte findet ihr in unserem Guide für die Neuköllner Community. Männlich dominierte Festival-Line-ups: „Dass keine Frau dabei ist, fällt oft nicht mal auf“, sagt Rike van Kleef, die die erste Studie zur Repräsentanz auf deutschen Festivalbühnen durchgeführt hat. Die mächtigste Frau in der deutschsprachigen Musikbranche ist Berlinerin: Wir haben Spotify-Chefin Conny Zhang zum Interview getroffen. „Das Album ist eine Liebeserklärung an Berlin, vielleicht noch mehr als das erste“, sagt Paula Hartmann. Wir trafen sie kurz vor der Veröffentlichung von „kleine Feuer“ zum Interview. Bloß nicht verpassen: Unsere Konzerte der Woche und die schönsten Festivals in und um Berlin. Immer gut über das Leben in Berlin informiert: Abonniert jetzt unseren wöchentlichen tipBerlin-Newsletter. Was ist noch los? Hier sind die besten Veranstaltungen heute in Berlin. Bisschen vorplanen: Alle Konzert-Tipps fürs Wochenende in Berlin findet ihr hier.