Seit nunmehr 30 Jahren bereichert die Kölner Band Erdmöbel die deutsche Musiklandschaft mit ihrer ganz eigenen Mischung aus Pop, Poesie und feinem Humor. Was in den frühen 90ern als studentisches Projekt begann, hat sich längst zu einer festen Größe entwickelt – mit treuer Fangemeinde, stilistischer Vielseitigkeit und einem stets überraschenden Blick auf das Alltägliche. Am 6. Juli spielen Erdmöbel in der Berliner Philharmonie. Das neue Album „hätte sehnsucht gewicht“ erscheint am 30. Mai. Zum runden Jubiläum hat unser Autor Reinhard Franke mit Sänger und Texter Markus Berges sowie Bassist Ekki Maas gesprochen.
„30 Jahre Erdmöbel: Wir freuen uns einfach, dass wir das jetzt feiern können“, sagt Markus Berges
tipBerlin 30 Jahre Erdmöbel – wie fühlt sich das an? Wie ein runder Geburtstag oder eher wie ein Marathon mit vielen Etappen?
Ekki Maas Marathon heißt ja: Es ist wahnsinnig anstrengend und macht keinen Spaß, oder? Ein Marathon ist doch eine viel zu lange Strecke – sehr anstrengend. Und am Ende hat man vielleicht Spaß, weil körpereigene Opiate ausgeschüttet werden. Danach bist du fertig.
Markus Berges Insofern würde ich sagen: eindeutig Marathon – aber einer, den man hinter sich hat. Wobei man als Künstler natürlich nie etwas wirklich hinter sich hat, sondern immer nur vor sich. Ich weiß es nicht genau. Wir freuen uns einfach, dass wir das jetzt feiern können – 30 Jahre.
Maas Es ist tatsächlich so, dass wir eigentlich immer vor irgendwas stehen. „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“, würde der Fußballer sagen. Das ist ein blöder Spruch, aber bei uns stimmt er vielleicht. Keine Ahnung.
tipBerlin Was würden Sie jemandem sagen, der Erdmöbel noch nie live gesehen hat – oder Sie nur vom Hörensagen kennt? Worauf hat diese Person 30 Jahre lang verzichtet?
Maas Vor allem auf ein Konzerterlebnis, bei dem der Kopf in Schwung kommt. Nicht nur der Kopf – auch das Herz, die Beine. Wenn der Kopf arbeitet, kann man auch tanzen, lachen, fühlen. Dinge empfinden, die man ohne dieses Konzert nicht empfinden würde. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum die Leute zu uns kommen.
Berges Mich wundert ein bisschen, dass gerade du sagst, es sei der Kopf, der anspringe. Du betonst sonst eher die emotionale Seite – das Herz.
Maas Ja, mit „Kopf“ meine ich natürlich nicht logisches Denken. Das ist bei Musik gar nicht so toll, wenn Logik eine zu große Rolle spielt. Ich meine emotionales Denken. Das meine ich. Glaub ich.
tipBerlin Erinnert Sie sich noch an den Moment, in dem klar war: Diese Band bleibt bestehen, wir ziehen das durch?
Maas Ja, das war 1998, als wir alle in Köln waren. Da war klar: Wolfgang, Christian, Markus und ich – wir alle haben eine Lebensentscheidung getroffen. Danach haben wir nicht mehr viel darüber nachgedacht, ob das auf Dauer funktionieren wird. Wir haben’s einfach gemacht. Natürlich waren wir zwischendurch mal frustriert, wenn’s nicht lief wie gedacht. Aber in Frage gestellt haben wir das nie. Kein einziges Mal.
Ekki Maas: „Ich hab Gottfried Benn nicht gelesen. Ich weiß nur, dass er ein Werk über eine Krebsstation geschrieben hat, sehr deprimierend“
tipBerlin „Die Zeit“ schrieb einmal, Erdmöbel klinge wie „Gottfried Benn, Hans Christian Andersen und die Pet Shop Boys in einer Band“. Was denken Sie über diesen Vergleich?
Berges Ich bin kein großer Fan der Pet Shop Boys. Aber mein Größenwahn reicht aus, um das für vollkommen angemessen zu halten.
Maas Ich hab Gottfried Benn nicht gelesen. Ich weiß nur, dass er ein Werk über eine Krebsstation geschrieben hat, sehr deprimierend. Ein eher depressiver Autor. Das sind wir nicht – auch wenn wir manchmal solche Themen streifen. Unsere Musik ist eigentlich aufmunternd – auch inhaltlich. Vielleicht ist das der Part, wo die Pet Shop Boys ins Spiel kommen. Aber ehrlich gesagt: Wir haben, glaube ich, nicht viel von den Pet Shop Boys gelernt.
tipBerlin Erdmöbel haben sich nie einer Schublade untergeordnet – war das Absicht oder das Ergebnis eures Eigensinns?
Maas Wir hätten uns gern in eine Schublade gespielt – wenn sie uns gefallen hätte. Wären wir totale Billy-Joel-Fans gewesen und hätten das auf Deutsch gemacht, wäre es trotzdem ganz anders geworden.
Berges Ich glaube auch, unsere Eigenständigkeit ist nicht renitent, sondern ergibt sich daraus, dass wir alles, was uns interessiert, in unserer eigenen deutschen Sprache umsetzen. Und das führt oft dazu, dass es sehr eigen klingt. Das ist eigentlich schon der ganze Zaubertrick.
tipBerlin Viele Ihrer Texte sind literarisch, poetisch, verspielt. Was kommt bei einem typischen Erdmöbel-Song zuerst – das Bild, das Gefühl oder die Melodie?
Maas Die Musik.
Berges Ich würde sagen: Es gab alles schon. Text zuerst. Musik zuerst.
Maas Nein! Ich sage: Am Ende ist es immer Musik. Egal, womit man angefangen hat – ein Song entsteht nur, wenn er musikalisch funktioniert.
tipBerlin Eines Ihrer kultigsten Projekte ist das Jahresendlied – wie kam es dazu, jedes Jahr ein neues Lied zum Fest zu schreiben? Und haben Sie schon ein Lieblingslied unter all den Weihnachtsstücken?
Maas Wir haben uns mal die Regel auferlegt: Jedes Jahr zum ersten Advent ein neues Lied, ein neues Video. Das machen wir jetzt seit fast 20 Jahren. Es ist stressig, unbezahlt, aber macht wahnsinnig Spaß. Wir haben ein bisschen damit zu kämpfen, dass wir als intellektuell oder zu ernst gesehen werden. Wir finden uns gar nicht so. Bei den Weihnachtsauftritten zeigen wir unsere andere Seite – es ist eine große Party.
Berges Diese Seite steckt aber auch in unserem übrigen Werk.
Maas Es gibt bei uns eine Ebene der Selbstironie. Sie erlaubt es uns, auf der Bühne zu stehen, ohne die großen Macker zu sein. Die Songs sind ernst gemeint – aber wir selber sind auch lustige Elemente des Ganzen.
tipBerlin Die „Hoffnungsmaschine“ gilt manchen als DER politische Song der 2020er – war Ihnen beim Schreiben klar, wie stark der wirken würde?
Maas Nein. Wir machen keine Musik, um damit groß rauszukommen, sondern weil wir das Bedürfnis haben. Das war für uns ein ungewöhnlicher Schritt – ein politisches Lied. Die Band war lange eher zurückhaltend mit tagespolitischen Themen. Aber 2017 war klar: Es geht nicht mehr anders. Rassismus nahm zu, die AfD war da – da mussten wir ein Zeichen setzen. Mit einem Kunstwerk.
tipBerlin Sie hatten ungewöhnliche Duettpartner:innen – wie kam es dazu? Und gibt es noch Wunschkandidat:innen?
Maas Es ist genau umgekehrt: Wir denken vom Song aus. Wer passt zu dem Lied? Manchmal überlegen wir wochenlang. Aber wenn wir jemanden im Kopf haben, klappt’s oft – weil es unsere Wunschkandidaten sind. Dann finden wir die Nummer oder E-Mail – und meistens sagen sie zu. Da hatten wir wirklich Glück.
tipBerlin Ihre Musik ist komplex, unterhaltsam und emotional – ist das Kalkül oder Intuition?
Berges Eiskaltes Kalkül.
Maas (lacht) Nein. Es gefällt uns einfach – deshalb machen wir es so. Die Texte, die Musik, die ganze Art richtet sich an den einzelnen Hörer.
Berges Ich würde sagen: Wir machen es immer so einfach wie möglich.
tipBerlin Erdmöbel wird oft als Familienphänomen beschrieben – haben Sie ein Bild Ihres Publikums im Kopf beim Songwriting?
Maas Nein. Wir machen die Musik für uns – und hoffen, dass die Welt sich darauf einlässt. Aber wir wollen niemanden gezielt „abholen“.
Berges Unser Publikum überrascht uns auch immer wieder. Gerade zu Weihnachten – was sich die Leute da einfallen lassen! Aber ich denke beim Schreiben nie ans Publikum. Das ist nicht unser Ansatz.
tipBerlin Nach 30 Jahren: Gibt es eine Fan-Reaktion oder ein Live-Erlebnis, das Ihnen besonders nahe ging?
Maas Ich bin auf der Bühne so im Moment, dass ich das alles als eine große, emotionale Masse empfinde. Tausende Eindrücke. Aber ja – ein Erlebnis fällt mir ein: Butzweilerhof, Köln, Bizarre-Festival. Wir hatten nur eine halbe Stunde auf einer Nebenbühne – haben eine halbe Stunde lang Krach gemacht. Fand ich großartig. Kurz danach haben wir angefangen, superleise zu spielen – und das Publikum gezwungen, sich hinzusetzen und zuzuhören.
tipBerlin Was hat Sie all die Jahre bei Erdmöbel gehalten – trotz Zeitgeist, Wandel und Herausforderungen?
Maas Ich hatte sehr früh das Gefühl: Das ist meine Heimat. Ich hatte vorher auch Songs geschrieben – auf Deutsch, später auf Englisch – aber bei Markus’ Songs habe ich sofort gespürt: Das ist besonders.
Berges Für mich war es ähnlich. Es war schnell klar: Zusammen können wir etwas Besonderes.
tipBerlin Wie sieht ein perfekter Erdmöbel-Moment aus?
Maas Musik macht etwas, das im besten Sinne unverständlich ist. Diese Momente, wo man sagt: Ich weiß genau, was es ist – aber ich versteh’s nicht. Das sind tolle Momente. Und die gibt’s bei Erdmöbel.
Markus Berges: „Ekki hat mit ihnen schon einmal „I Am the Walrus“ gespielt – und war begeistert. Er hat uns überzeugt.“
tipBerlin Wenn Sie sich für das nächste Jahrzehnt etwas wünschen dürften – was wäre das?
Maas Als Musiker träumt man immer von guter Musik. Viele machen in jungen Jahren großartige Sachen – und später langweilige. Vielleicht, weil der große Erfolg am Anfang da war und dann weg war. Uns ist das erspart geblieben. Wir machen Musik der Musik wegen – und hoffen bei jeder neuen Platte, dass sie unfassbar wird. Mir fällt ehrlich gesagt keine ein, bei der das nicht geklappt hätte. Ich freue mich auf die nächste.
tipBerlin Sie spielen mit dem Kaiser Quartett in den Philharmonien. Wie kam es dazu?
Maas Davon haben wir immer geträumt. Ich habe mal John McLaughlin in der Philharmonie Köln gesehen – und der hat’s versägt. Das passiert mir nicht!
Berges Deshalb haben wir das Kaiser Quartett ausgesucht. Ekki hat mit ihnen schon einmal „I Am the Walrus“ gespielt – und war begeistert. Er hat uns überzeugt.
Interview: Reinhard Franke
- Erdmöbel und das Kaiser Quartett „hätte sehnsucht gewicht“ (Jippie! Industrie/Energie Kultur), ET: 30.5.
- Erdmöbel live im Kammermusiksaal der Philharmonie, Herbert-von-Karajan-Straße 1, Tiergarten, So 6.7., 20 Uhr, Infos und Tickets hier
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