Debatte

Ilko-Sascha Kowalczuk über Rammstein und DDR-Nostalgie

Frühere Ost-Undergroundmusiker entwerfen in der Rückschau das Bild einer lässigen, kuschelige, einfach tollen DDR, für den Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk ein unerträglicher Zustand. Mit einem Facebook-Post löste er Anfang des Jahres eine Diskussion über Rockbands und DDR-Nostalgie aus, die der „Rolling Stone“ und die „Berliner Zeitung“ aufgriffen. Hier meldet er sich nun ausführlich zu Wort.

Musik und DDR-Nostalgie: Ein großes Problem, sagt Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk. Foto: Tobias Meyer

Rammstein spielen im Juli im Berliner Olympiastadion

Im Sommer ist es wieder soweit: Rammstein spielen im Juli im Berliner Olympiastadion. Keine Ahnung, wie oft sie das Stadion hintereinander füllen könnten.  Seit Jahren umstritten, seit Jahren von ihren Fans zurückgewiesen und doch seit Jahren unausdiskutiert: Die geklaute Rammstein-Ästhetik, nicht nur von den slowenischen Avantgardisten Laibach, ist und bleibt für mich ein Mix aus Nazi-Riefenstahl und Kommi-Busch. Ist es eigentlich Zufall, dass so etwas aus dem Osten kommt? Ist der Musikgigant Rammstein womöglich nichts weiter als eine ostdeutsche Band?

Zum Jahresende 2022 füllte die legendäre Ostcombo City um Sänger Toni Krahl zweimal die Mercedes-Benz Arena. Die Rocktruppe verabschiedete sich für immer. Berühmt wurde sie in den 1970er-Jahren mit dem Hit „Am Fenster“. Krahl hatte 1968 drei Monate im Gefängnis gesessen, weil er gegen den Einmarsch des Warschauer Pakts in Prag protestiert hatte. 1987 kritisierte die Band auf ihrer Erfolgsplatte „Casablanca“ die Teilung Berlins. Ministerin Margot Honecker tobte und veranlasste, dass die Amiga-Scheibe aus den Läden zurückgezogen wird. Krahl erfuhr davon – er war gerade in der Bundesrepublik – rief bei den Verantwortlichen an und drohte, käme die Platte nicht augenblicklich zurück in die Läden, bleibe er im Westen. Diese Schlagzeile wollte niemand, die Platte wurde weiterverkauft und Krahl war im Herbst 1989 einer der wenigen prominenten DDR-Rockmusiker, darunter auch André Herzberg von Pankow und Tamara Danz von Silly, die die Revolution tatkräftig unterstützten.

Auch Krahl wollte wie viele Revolutionäre einen „demokratischen Sozialismus“

Auch Krahl wollte wie viele Revolutionäre einen „demokratischen Sozialismus“. An eine schnelle Wiedervereinigung dachte im September, Oktober 1989 kaum jemand. Obwohl Herzberg („Dasselbe Land zu lange geseh’n“), Danz („Immer noch haben wir den Schlüssel von der Waffenkammer nicht“) oder Krahl („Wand an Wand“) Untergangsmusiken zur DDR beisteuerten, galten sie bald nach dem Mauerfall bei ihren Fans nicht mehr viel. Für Westgeld wollten Ostler Westmusik hören. Der Ausverkauf begann in den Warenhäusern und Kaufhallen. Kaum jemand wollte noch „Spee“ kaufen, alle wollten die Reinheit von „Persil“. Die jahrelang sehnsüchtig konsumierte Westwerbung war selten so erfolgreich wie in der Zeit ab 1. Juli 1990 in Ostdeutschland, als die DM eingeführt worden ist: Für Ostprodukte ging nichts mehr. Den bis dahin geförderten Künstler erging es nicht anders. Auch sie mussten durch ein Tränental. Bis eben hofiert und gefeiert waren auf einmal ihre Lieder nicht mehr im Radio zu hören, TV-Auftritte wurden rar und Livekonzerte mochte kaum jemand besuchen. Platten- und CD-Verkäufe brachen dramatisch ein. 

Die einst Privilegierten kämpften ums Überleben

Die einst Privilegierten kämpften ums Überleben, manche gaben auf. Dem musikalischen Underground erging es anders, aber nicht besser. Der überlebte auch zu Ostzeiten mehr schlecht als recht, aber das gehörte zum Programm. Er wollte gar nicht anerkannt werden, obwohl viele Underground-Bands mitspielten und sich staatliche Einstufungspapiere sicherten, um überhaupt von Musik leben zu können und nicht wegen „Asozialität“ verfolgt zu werden. Sie, die oft genug „1989“ mitvorbereitet hatten, erlebten nun, was die berühmteren Kapellen genauso erfuhren: Ihr Markt erweiterte sich nicht. Im Westen wollte sie kaum jemand hören, die Neugier auf den Osten blieb überschaubar. Subversive Texte verloren im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht ihre Schlagkraft. Was für den Underground galt, traf auch auf die etablierten Bands zu: Niemand brauchte mehr zwischen den Zeilen zu hören. 

Zum Autor: Ilko-Sascha Kowalczuk 1967 in Ost-Berlin geboren, studierte Geschichte an der Humboldt-Universität. 1998–2000 Mitarbeiter der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, seit 2002 wiss. Mitarbeiter der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Zahlreiche Publikationen, darunter „Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“, Beck, München 2019. Foto: Ekko von Schwich

Das Desinteresse des Westens am Osten wiederum entwickelte sich rasch zu einer unerträglichen Arroganz, Oberflächlichkeit und einer Tabula rasa, die heute kaum noch jemand in ihrer Komplexität erklären kann, verstehen schon gar nicht. Jeder sportliche Erfolg wurde als dopingverseucht diskreditiert, jede erfolgreiche DDR-Schriftstellerin als anpassungsbereite „Margarete“ hingestellt, jeder Ichthyologe mit einem Reisepass als Ideologe gebrandmarkt und natürlich jede DDR-Band, die mal bei Amiga eine Platte produziert hatte, im DDR-Fernsehen oder im Westen aufgetreten war, als Honeckers Schalmeientruppe denunziert. Naiv, wer dahinter nicht auch eine kapitalistische Strategie erkennen könnte. 

Die Revolution verkam zur „Wende“

Der Osten begann inmitten des Transformationsschocks trotzig zu werden. Politisch sehnten sich immer mehr nach dem reaktionären Gestern zurück und verklärten die Diktatur. Viele weigerten sich, die DDR überhaupt eine Diktatur zu nennen; viele hatten sie in der Tat anpassungsbereit und mitmachend auch nie als solche erlebt. In der Diktatur sind jene, die die Diktatur als solche nicht erkennen, oft bösartigere Feinde als die Kerkermeister, von denen man nichts anderes erwartet. Die Revolution verkam zur „Wende“, so als ginge es in den eingefahrenen Gleisen zurück zum Ausgangspunkt.

Diese „Wende“ in den Transformationsjahren (1990-2005) trägt im Osten Früchte. Politisch fürchterlich, wenn zu beobachten ist, wie die AfD profitiert, wie Nazis profitieren, wie Kommunisten profitieren, wie die Sehnsucht nach autoritären Staatsmodellen stetig hoch bleibt, wie Putin hofiert, wie die sich wehrende Ukraine im Stich gelassen wird, wie die repräsentative Demokratie verächtlich gemacht und Freiheit nicht verantwortungsbewusst gelebt wird. Zugleich hat diese reaktionäre „Wende“ bewirkt, dass viele Menschen im Osten aus Protest eine DDR erfanden, die nie existierte. Neulich war die Handball-WM in Polen und im Fernsehen war zu sehen, wie ein Fan mit einer DDR-Fahne das bundesdeutsche Team anfeuerte. 2023!

Profitiert von dieser „Wende“ haben aber auf längere Sicht doch die DDR-Rockbands. Die hatten irgendwann mehr Fans bei ihren Konzerten als zuvor. Natürlich hat das Phänomen auch damit zu tun, dass die Menschen älter werden und zum Älterwerden gehört es, die eigene Jugend wachzurufen. Aber das ist es nicht allein. Denn diese Bands vermitteln noch etwas, was fast immer übersehen wird und hier treffen sie sich mit einigen aus dem einstigen Underground.

Christian Lorenz, weltberühmt als Flake der „Tastenficker“ von Rammstein

Christian Lorenz, weltberühmt als der „Tastenficker“ von Rammstein, räsoniert seit Jahren in höchst unterhaltsamen Büchern und in eigenwilligen Radioshows immer und immer wieder über die DDR. Der einstige Undergroundmusiker von Feeling B entwirft nun das Bild einer DDR, für das er aus jedem Underground rausgeflogen wäre. Es sei kuschelig, gemütlich, lässig, einfach nur toll und vor allem unentwegt lustig gewesen. Wer an der Mauer erschossen wurde, wusste doch, was er tat, dort ging man nicht hin … Es war alles so schön solidarisch in der Zone. Ganz ähnlich ein weiterer Rammstein-Millionär: Der charismatische, wenn auch angsteinflößende Sänger Till Lindemann, auch er in den späten 1980er-Jahren Teil der Subkultur und 2021 absurderweise Starsänger beim russischen Militärmusikfestival in Moskau, trauert ebenfalls diffus der DDR nach: Dort habe es so viel Solidarität gegeben, die er nun vermisse. (Auch im Flugzeug in Richtung Madison Square Garden?)

Nicht jeder „Gerhard Schöne“ – der mit Abstand beliebteste Liedermacher in der DDR und der einzige, der bis zum heutigen Tage die Säle landauf, landab weiter füllt, weil er an seinen Programmen und Texten gar nichts zu ändern brauchte –, nicht jeder konnte, musste ein Wolf Biermann sein, um dennoch anständig, aufrecht, mutmachend und menschlich durch den Kommunismus zu kommen. 

AfD, Kommunismus, DDR-Verklärung, Putin-Verherrlichung

Sollte Rammstein – nur ein Gedankenexperiment – je ein Lied von Wolf Biermann adaptieren wollen, so würde ich lautstark protestieren. Ich wünschte dem aufrechten Liedermacher die fetten Tantiemen, aber ich käme nicht mit der Unaufrichtigkeit der Weltenrocker zurecht. Warum ich auf diese abwegige Idee komme? Ich frage mich schon lange, warum keiner der DDR-Altrocker (mit Ausnahme von André Herzberg!) und auch keiner dieser Weltstars aus dem früheren Untergrund je zu einer Art Neu-Biermann wurde. Warum hat niemand von denen genug Arsch in der Hose, um dem ostdeutschen Mainstream mit der Kraft ihrer Prominenz zu widersprechen und AfD, Kommunismus, DDR-Verklärung, Putin-Verherrlichung anzuprangern? Nein, die haben nicht nur Angst davor, dass ihnen ihr wichtigster Mark wegbricht (was für Rammstein natürlich nicht zutrifft, da gilt das aber mit Abstrichen für  Russland). Nein, es ist schlimmer. Sie sind ganz gewöhnliche Ostdeutsche.

Text: Ilko-Sascha Kowalczuk


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