Jens Friebe ist der wohl lässigste Diskurspop-Songwriter dieser Stadt. Auf seinem neuen Album „Wir sind schön“ entwirft er eine Antithese zur apokalyptischen „No Future“-Attitüde, singt über Microdosing und das Ende aller Feiern sowie eine grandiose, ins Deutsche übertragene Version von Leonard Cohens „First We Take Manhattan“. Dies alles verpackt er in ein Elektronikgewand zwischen Soft Cell und DAF. Wir sprachen mit Friebe über giftigen Kakteen, Synth-Pop-Bands und die Frage, wo eigentlich das Zimmer mit den Kacheln und dem hellen Licht ist.
Jens Friebe: „Auf verschiedene Arten auf eine apokalyptische Wirklichkeit reagieren“
tipBerlin Herr Friebe, nach 2010, 2014 und 2018 erscheint mit „Wir sind schön“ ein neues Album von Ihnen. Alle vier Jahre also. Ihr Rhythmus verläuft auffällig parallel zu Fußballweltmeisterschaften, sicherlich ein Zufall, denn fürs Stadion eignet sich Ihre Musik nicht besonders gut.
Jens Friebe Nicht ganz. Mit Fußball hat es nichts zu tun, aber vier Jahre sind irgendwie ein geeigneter Abstand für Großereignisse, Wahlen, Weltmeisterschaften und meine Platten.
tipBerlin Letztes Mal, auf dem Album „Fuck Penetration“ (2018), erkannte Dietmar Dath in der „FAZ“ eine Art thematisches Zentralanliegen, Sex im weitesten Sinne. Diesmal scheint die Sache nicht so klar zu sein, mal geht es um ganz Privates, es gibt politisch agierende Momente, nostalgische Wehmut und Songs über an Klassenunterschieden zerriebene Freundschaften, dann wieder Alltag und Poesie. Wie funktioniert die Friebe’sche Lyrikmaschine?
Jens Friebe Das hatte ich damals irgendwie überlesen, dass „Fuck Penetration“ für Dath eine Art Konzeptalbum war. Ich habe noch nie bewusst ein thematisches Konzept für eine Platte gehabt, auch nicht für diese. Wenn man eins suchen wollte, könnte man sagen, hier sehen wir verschiedene Arten auf eine apokalyptische Wirklichkeit zu reagieren: Microdosing in „Microdoser“, Macrodosing in „Nicht nach Haus“, Wahnsinn in „Der Wahn“, Agitation in „Sing it to the converted“ und Revolution in „Wir sind schön“. Und grade das nostalgisch wehmütige Lied über eine verlorene Freundschaft zeigt ja, wie das Private mit dem Politischen verflochten ist. Die beiden Personen, die seit ihrer Kindheit befreundet sind, leben sich scheinbar einfach so auseinander. Aber in Wirklichkeit hat es eben mit ihrer unterschiedlichen Herkunft zu tun, mit Klassen und ganz konkret mit dem dreigliedrigen Schulsystem.
tipBerlin Trotz der apokalyptische Wirklichkeit lässt sich in alldem die Umkehrung der alten Punklosung von „No Future“ erahnen, es geht also immerzu auch um Hoffnung, doch ohne Klischees und utopische Naivität. Ist da was dran?
„Den Nihilismus sollten wir spätestens jetzt mal den Rechten überlassen“
Jens Friebe Ja, das kann man so sagen. Es gibt ja immer so Sprüche, wir dürfen dies und das nicht den Rechten überlassen. Ich denke, den Nihilismus sollten wir spätestens jetzt mal den Rechten überlassen. Ohne Klischees und utopische Naivität komme ich dabei ganz ehrlich gesagt nicht aus.
tipBerlin Microdosing, geheimnisvolle Säfte aus Kakteen, märchenhafte Abschweifungen, der Wahn. Welche Rolle spielen Drogen – oder besser der psychedelische Eskapismus als Gegenentwurf zur Realität – in Ihrer Musik?
Jens Friebe Grade auf dieser Platte eine geringe. Microdosing ist ja grade kein Gegenentwurf zum Bestehenden, sondern Drogen sollen hier helfen, noch besser zu funktionieren. Die Medizin aus giftigen Kakteen ist als Bild zu vieldeutig, um es auf Drogen zu reduzieren. Bei den aufgezählten Spielarten von Verrückung in „Wahn“ sind Drogen grade nicht dabei. Das einzige Lied, wo es wirklich um eine Flucht vor der Realität in Rausch und Geselligkeit geht, ist „Nicht nach Haus“. Rausch und Popmusik haben traditionell eine gewisse Affinität als Mittel zur Selbstentgrenzung und Verbindung mit anderen, das findet sich auch bei mir immer mal wieder. Aber wenn Drogen zu zentral und identitätsstiftend werden in einer Subkultur, finde ich es nervtötend.
tipBerlin Wo ist eigentlich das Zimmer mit den Kacheln und dem hellen Licht, von dem Sie in „Nicht nach Haus“ singen?
Jens Friebe Am Zigarettenautomaten vorbei links.
„Disco-Philosophie klingt schon irgendwie scheiße“
tipBerlin Natürlich, verzeihen Sie die doofe Frage. Dann vielleicht so, die absurde Ambivalenz des Freiheitsbegriffs kommt in dem Song „Frei“ gut heraus. Ist Ihre Musik Disco-Philosophie?
Jens Friebe Ich fühle mich schon Songwritern nahe, deren Songs einen nicht nur berühren oder packen, sondern auch mal den ein oder anderen Gedanken enthalten. Extremes Beispiel ist hier etwa der von mir sehr verehrte Momus. Aber Disco-Philosophie klingt schon irgendwie scheiße.
tipBerlin Entschuldigen Sie den Begriff. Doch die Songs könnten als eine Form urbaner Poetik durchgehen, die Verankerung in Berlin spürbar. Machen Sie Musik für diese Stadt?
Jens Friebe Das Gefühl habe ich eigentlich nicht, während ich sie mache. Wenn ich die Besucherzahlen in Berlin und anderswo vergleiche, ist aber vielleicht doch was dran.
tipBerlin Hätten diese Texte woanders, im Sinne von Thomas Brasch, entstehen können?
Jens Friebe Ja.
tipBerlin Zum Beispiel in New York. Lassen Sie uns kurz über Leonard Cohen sprechen. Warum covern Sie Cohens ins Deutsche übersetzten Song „First We Take Manhattan“?
Jens Friebe Mein guter Freund Hans Narva hat einen Leonard-Cohen-Abend veranstaltet. Dafür habe ich „Who by Fire“ und eben dieses Lied übersetzt. Das ging erstaunlich einfach und hat Spaß gemacht, das Ergebnis hat mir so gut gefallen, dass ich es auf der Platte haben wollte.
„Ich glaube, das macht Berlin als Stadt auch aus, dass es sich auf so vieles reimt“
tipBerlin „First we take Manhattan, then we take Berlin“ ist die berühmte Zeile aus dem Song. Cohen hat aber wohl nur „Berlin“ geschrieben, weil sich das so schön auf „within“ reimte. Ihm ging es gar nicht um die Stadt selbst.
Jens Friebe Es reimt sich ja auf alles Mögliche im Song. Ich glaube, das macht Berlin als Stadt auch aus, dass es sich auf so vieles reimt.
tipBerlin Diese kühle reduzierte Elektronik, die Cohen in den 1980ern für sich entdeckt hat, der dennoch so viele Emotionen transportiert, zieht sich auch auf Ihrem Album durch alle Songs. Man muss immerzu an Soft Cell oder DAF denken. Hat Sie das geprägt?
Jens Friebe Naja, wen die 1980er erzogen haben, der kriegt sie wohl schwer raus. Meine Lieblings-Synth-Pop-Bands waren Erasure und Yazoo. Für mich ist diese Platte aber vielmehr geprägt von so wholesome Sachen wie Gospel auf „Wir sind Schön“ oder Blue Eyed Soul auf „Microdoser“. Aber das ist wohl so wie wenn man zum Friseur geht und denkt, man hätte sich als Typ ganz neu erfunden, und die Anderen merken es nicht mal.
tipBerlin Kommt das nächste Jens-Friebe-Album 2026 oder haben Sie andere Pläne?
Jens Friebe Jetzt ist die Phase, in der ich immer sage, ich mache nie mehr ein Platte. Aber so wie bei Leuten mit schwerem Kater oder welchen, die grad entbunden haben, darf man nicht alles so eins zu eins glauben.
- Jens Friebe Wir sind schön (Staatsakt)
Konzert
Jens Friebe im Festsaal Kreuzberg, Am Flutgraben 2, Treptow, Sa 12.11., 20 Uhr, VVK: 21,50 €
Mehr Musik, mehr Berlin
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