Interview

Judith Holofernes: „Berlin war immer ein Schutzraum für mich“

Musikalisch haben sich Wir sind Helden in den Nullerjahren schnell ein Denkmal gebaut. Die Sängerin Judith Holofernes drohte am Erfolg und den Anforderungen jedoch zu zerbrechen. Mit „Die Träume anderer Leute“ hat die 45-Jährige nun eine Biografie vorgelegt, in der sie erzählt, wie eine Heldin lernen musste, dass nicht immer alles geht und wie man es schafft, wieder auf sich zu hören.

Judith Holofernes hat ihre Biografie „Die Träume anderer Leute“ veröffentlicht. Foto Christoph Voy

Drei Jahre arbeitete Holofernes an dem Buch, das sich vor allem auch damit beschäftigt, wie sie allein und ohne Band ihren Platz in ihrem Leben und der Musikindustrie (wieder)findet. Wir sprachen mit ihr über den Ruhm, die Zeit danach und ihre Heimat Berlin.

Judith Holofernes‘ Biografie: Helden-Aus, weil sie „aus der Tiefe meines Seins nicht mehr wollte“

tipBerlin Ein Kollege erinnerte sich, als er Sie das erste Mal sah. In den 90er-Jahren, auf der Lesebühne “Mittwochsfazit” des Schlots in Prenzlauer Berg, Sie sangen ein Lied namens “Hirnwichserei”. Was würde Judith von damals denken, wenn man ihr das prophezeit hätte?

Judith Holofernes Das hätte mich, denke ich, gefreut, aber vielleicht auch gar nicht so gewundert. Weil Schreiben darin vorkommt, und auch machen. Ich würde vielleicht denken: Sag ich doch, dass ich das machen will. Ich war damals sehr monointeressiert und hatte auch keinen anderen Plan.

tipBerlin Der Plan ist zu gut aufgegangen. Im Buch heißt es, Sie hätten 2012 mit Wir sind Helden aufgehört, “weil ich aus der Tiefe meines Seins nicht mehr wollte”. Gibt es einen Moment, als Sie merkten: Schluss?

Wir sind Helden 2077 bei der 1Live-Krone: Sängerin Judith Holofernes (2.v.li.), Bassist Mark Tavassol (re.), Keyboarder Jean-Michel Tourette (li.) und Schlagzeuger Pola Roy (2.v.re.). Foto: Imago/T-F-Foto

Judith Holofernes Der Moment hat sich lange hingezogen, beziehungsweise gab es viele Momente. Ich würde sagen, ich habe mich wie ein Terrier an dieser Band festgebissen und viel später aufgehört, als mein Körper und meine Restkräfte mir gesagt haben. Ich hatte mehrere Einsichtsmomente, die ich wegschob. Weil ich das so unbedingt wollte. Der Moment, in dem ich wusste, dass ich es nun wirklich nicht mehr machen sollte, war der, in dem ich dachte: Wenn mir jetzt jemand was anbieten würde, das mich wach und gut fühlen ließe, dann nähme ich es. Und da ich sonst keine besondere Hingezogenheit zu Drogen habe, hat mich das beeindruckt. Da war Pola (der Ehemann und frühere Helden-Drummer, die Red.) dann aber auch alarmiert.

tipBerlin Sie schreiben, Sie waren voller Scham, “nicht dankbarer sein zu können” für all das, was Sie bekamen. Vom Schlot auf die größten Festivalbühnen. Wie groß war der Druck?

Judith Holofernes Riesig. Ich habe so an der Band gehangen, sie war mein Hirnbaby und genau so, wie ich mir das gewünscht und ausgedacht hatte. Es fühlte sich zu toll für ein Ende an, und ich habe darüber nicht auf mich schauen können. Wie die meisten schreibenden Menschen denke ich auch in Narrativen – und das Ende hat nicht zu meinem eigenen gepasst.

Große Nummer: Wir sind Helden 2008 bei einem Festival in St.-Peter-Ording. Foto: Imago/Hoch Zwei/Christians

Der eiserne Wille zu funktionieren: Holofernes und die Kraft der Realität

tipBerlin Haben Sie das Narrativ der Heldin irgendwann selbst geglaubt? Die Heldin, die selbst mit Kind auf dem Arm noch die Festivals rockt, so gleich noch sexistischen Perspektiven widerspricht, weil sie alles easy wegschaukelt?

Judith Holofernes Das ist ein lustiger Gedanke. Der Bandname war immer ein bisschen als Verdrehung des Heldenbegriffs gedacht. Ich habe in meinen Texten viel über Verweigerung nachgedacht, übers Nichtmitmachen von heroischen Idealen, hatte dann aber doch einen recht eisernen Willen zu funktionieren, niemanden zu ärgern. Und nun fragen mich Menschen, ob ich sagen würde, dass das alles zusammen nicht geht. Bei einer solchen Verallgemeinerung bekomme ich auch Probleme – diejenige zu sein, die belegt, dass ein ambitionierter Beruf mit Kindern nicht zusammengeht. Ich bin einverstanden mit der Schlussfolgerung, dass es nicht geht, wenn man beides 100-prozentig machen will, wenn man nicht sehr, sehr viel sanfter und realistischer mit sich und seinen Kräften umgeht.

tipBerlin Das letzte Helden-Album “Bring mich nach Hause” erschien 2010, es ist sehr dunkel. Sie schreiben im Buch von einer Schwärze, in die Sie sich fallen ließen. Waren Sie depressiv, ging es um die Frage: springen oder fallen?

Judith Holofernes Neulich las ich vom “Burn-on” statt “Burnout”. Menschen machen jahrelang in einer Vorhölle vorm Burnout weiter, ich glaube, da war ich drin. Erschöpft, ängstlich, ich habe wenig geschlafen – dann wird es immer brenzlig. Ich hatte das Gefühl, mein Schlaf ist vergeblich. Dann denkt man: “Ach, ist ja auch egal”.

Jean-Michel Tourette (von links), Judith Holofernes, Pola Roy und Mark Tavassol bei der Vorstellung ihres Tour-Tagebuchs in Berlin. Foto: Pop-Eye/Gabsch

tipBerlin Welche Rolle hat Berlin für Sie in dieser ganzen Entwicklung gespielt?

Judith Holofernes Berlin war immer ein Schutzraum für mich. Ich bin hier geboren, aber meine Teenagerzeit habe ich nicht hier verbracht, sondern in Freiburg im Breisgau. Mit dem Rückzug zum Studium hatte ich das Gefühl: Es passt wieder. Als ich wiederkam, fiel ich in eine Umarmung. Als ganz junge Frau war ich hier auch überfordert, als ich studierte und schon ernsthaft musizierte, weil ich auch immer alles machen wollte. Jede Party, alles mitnehmen. Da hatte ich, glaube ich, schon einen ersten kleinen Crash, bevor das mit den Helden anfing. In den Band-Jahren wurde die Stadt dann enorm wichtig, weil wenn man irgendwo Popstar sein kann, dann hier. Weil es den Leuten hier egal ist. Das ist schon einzigartig. Aber auch absurd, weil zuhause so normal war, dass man Dienstag auf einen Elternabend stolpert und am Wochenende vor 30.000 Menschen spielt bei einem Festival.

Stereotyp Kreuzbergerin: „Ich war ja nie Veganerin“

tipBerlin Was stört Sie am Alltag in Berlin?

Judith Holofernes Dass es dauert, bis man im Wald ist, was so mein zweites Zuhause ist. In anderen Städten muss man nicht eineinhalb Stunden fahren, um im Wald zu sein.

tipBerlin Kommt drauf an, welcher, der Grunewald ist ja schon nah.

Judith Holofernes Stimmt. Aber das ist Pola zu unwaldig. Ich bin da toleranter, was Straßengeräusche angeht.

tipBerlin Stichwort Bioladen: Als die Helden anfingen, waren Sie eine Stereotypin für die freche Bio-Kreuzbergerin, für die einen liebenswert, für die anderen lästig, obwohl Sie ja auch nicht über Veganismus sangen…

Judith Holofernes …ich war ja nie Veganerin! Und über große Strecken auch nicht vegetarisch. Das wurde dann immer so dazuerfunden. Ich kriege immer noch automatisch im Catering Veganes. Aber Leute haben mir auch immer gern den Prenzlauer Berg angedichtet, als ich dann Kinder hatte. Doch ein Stadtteil, der mir eher wenig passen würde. Wobei ich auch albern finde, wenn es feindselig wird. Ich fahr’ auch gern in andere Stadtteile, weil es sich wie kurze Städtetrips anfühlt. 

Wir sind Helden „in letzter Sekunde durch eine sich schließende Tür“?

tipBerlin Würden Sie heute überhaupt noch provozieren können in einer sich komplett gewandelten Musikwelt, in einer viel diverseren Gesellschaft?

Judith Holofernes Ich habe das Gefühl, dass wir in letzter Sekunde durch eine sich schließende Tür in die Industrie gekommen sind. Das Radio heute ist ja noch formatierter als heute. Mit unserer Musik hätten wir keine Chance. Vielleicht wären wir dann aber auch dort, wo wir hingehören. Es sind im Pop ganz oft einfach auch glückliche Fügungen.

tipBerlin Und heute mehr denn je Selbstvermarktung, oder? Sie sind zum Beispiel auf Twitter.

Judith Holofernes Das macht mir Spaß, wenn ich es nicht zu oft mache, Instagram manchmal auch. Ich bin da noch unentschlossen, ich habe aber Momente, in denen ich mich frage: Müsste ich das jetzt machen? Als jemand mit einem hohen Unabhängigkeitsbestreben ist es schön, dass man dort die Illusion hat, dass man seinen eigenen Kanal gestalten kann. Das ist ja aber sehr begrenzt. Man arbeitet am Ende für diese Kanäle und ist abhängig. Neulich hat sich bei Instagram der Algorithmus geändert und plötzlich brachen meine Zugriffe ein. Eine Sache, die mir sehr klar ist, die glaube ich vielen Künstler:innen nicht klar ist: Es geht nur um Reichweite, was aber eine verzerrte Wahrnehmung ist, weil es sich nicht zwingend in was Wertvolles überträgt. Ich kenne Bands, die Spotify-Hits haben, weil sie auf der richtigen Playlist waren. Und dann buchen sie Konzerte – und keiner kommt. Zugriffe heißen nicht, dass die Menschen sich mit ihnen auf einer tieferen Ebene verbunden haben. 

Judith Holofernes bei einem Solokonzert 2017. Foto: Imago/Viadata

tipBerlin Sie nutzen Twitter in politischer Sache, zu Themen wie Klima, aber auch Grundeinkommen. Was ist Berlins größtes politisches Problem?

Judith Holofernes Die Miethaie. Das müssen wir in den Griff bekommen, weil es die Wurze istl. Ich interessiere mich sehr für Stadtplanung und städtebauliche Visionen, was man da alles machen kann. Da schaue ich viele TED Talks und höre viele Podcasts zu – und bin immer erstaunt, wie wenig davon umgesetzt wird. Ich bin lief neulich an einem Haus vorbei, an dem ein Banner hing: “Wir haben unser Haus zurückgekauft”. Eserklärt, was sie alles gemacht haben. Neben anderen tollen Dingen etwa: das Dach begrünt. Da hat es geklickt, natürlich hängt das alles zusammen. Wenn die Stadt Investoren gehört, dann muss niemand darüber nachdenken, wie das Klima in der Straße und Stadt ist, ob vor Häusern Autos stehen müssen, ob es Radwege gibt. Bei dem Thema ist auch einiges zu holen.

tipBerlin Wobei da ja viel passiert.

Judith Holofernes Ja, so teilweise und punktuell. 100 Meter Fahrradparadies und dann wieder fünf Kilometer nur Huckelpiste. Das ist so ein bisschen uneben verteilt.

tipBerlin Warum haben Sie sich entschieden, das Pilotprojekt Grundeinkommen zu unterstützen?

Judith Holofernes Ich finde, das ist die spannendste und plausibelste soziale Idee. Und meist bekomme ich die Leute dazu, nachzuvollziehen, dass nichts dagegen spricht, es zumindest mal überschaubar zu versuchen. Ich wäre da für mich noch radikaler, weil ich es einfach superspannend finde. Viele Gegner sind es aus einem Menschenbild heraus, dass die Menschen dann faul würden. Das teile ich nicht. Klar, ich bin Künstlerin, aber ich kenne auch andere Menschen. Ich glaube, dass existenzielle Sorgen noch niemanden proaktiv und kreativ gemacht haben. Und dass ein gewisses Maß an Elendsvermeidung sinnvoll ist. Steht für mich gar nicht zur Debatte.

  • Die Träume anderer Leute von Judith Holofernes Kiepenheuer&Witsch, 416 Se., 24 €; Lesung mit Nora Tschirner: Heimathafen Neukölln, Fr 23.9., 20 Uhr, Karl-Marx-Str. 141, Neukölln, 20 €, Abendkasse 23 €
  • Judith Holofernes ist aktiv bei Patreon, einer Plattform für Künstler:innen. Fans können hier Abos abschließen, um die Personen bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Als Gegenleistung erhalten sie Zugang zu exklusiven Inhalten. Das Profil findet ihr hier.

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