Musik in Bars

Jukeboxen in Berlin: Sie stiften Frieden in den Eckkneipen

Die Jukebox ist noch längst nicht Geschichte. Sie ist ein Symbol für kulturelle Umbrüche, sie fördert den Austausch und sorgt für Frieden in der Bar. Ob in der Eckkneipe, Kult-Gaststätte oder Tüftler-Werkstatt: An diesen Orten gibt es noch Jukeboxen in Berlin. Eine beschwipste Expedition durch die Welt der Musikmaschinen.

An der Jukebox kommt man schnell ins Gespräch. Foto: Lena Ganssmann

Jukeboxen in Berlin: Britney Spears am Leopoldplatz

Ein Futschi wandert durch den Schinken. „Für den DJ!“– das Weddinger Kiezkneipen-Urgestein an der Theke freut sich über AC/DC. Der Student an der Jukebox bedankt sich mit einem „Prost“. In der Schultheiss-Pinte am Leopoldplatz, zwischen Schnapsregal und Blechschildern, lernt man voneinander: Nach „T.N.T.” läuft „Toxic“ von Britney Spears. Kein Protest, kein Gepöbel. „Wir kommen ja alle mal ran“, sagt der Stammgast in Jeanskutte, „ein bisschen Abwechslung schadet auch nicht.“ Im Gegensatz zu so ziemlich allem im Traditionslokal Zum Schinken kommt die Jukebox aus der Zukunft: Marke MaxFire HD+, 32 Zoll Touchscreen, 2.000 vorinstallierte Lieder, Playlist-, Shuffle-, Loopfunktion, Münzprüfer, Banknotenlesegerät. Ein Song kostet 40 Cent, 1,25 Euro mit Video.

Viele Features zum Schnäppchenpreis von 7.949 Euro. Für die Sozialarbeit, die die Maschine leistet, das Zusammenführen von Berufspichlern, Alt-68ern, Bikern, Schnaps-Senioren, Touris, Kreativen und Studierenden, ist das allemal angemessen. Nicht zufällig stehen Jukeboxen oftmals in „harten” Kneipen, die oft rund um die Uhr geöffnet haben: Magendoktor, Rote Rose, Hecht, sie alle vertrauen der vereinenden Kraft der Musik. Und erhalten sich gerne den Charme vergangener Zeiten. Wenn auch mit LED-Screen.

Kneipenwirt Deniz Vurgun: „Im Genossen wird nicht geskippt”

Jukeboxen in Berlin: Das Auswählen ist ein magischer Moment. Foto: Lena Ganssmann

„In das gute alte Teil hier passen 100 CDs rein“, sagt Deniz Vurgun, Wirt im Zum Genossen am Frankfurter Tor, „die Alben habe ich alle von meinen Gästen.“ Die Auswahl in der NSM Performer aus den 1990er-Jahren ist so vielfältig wie die Menschen an seinem Tresen. Deutsche Schlager neben Italo Pop, türkische Hits neben NDW, kubanische Musik, Hip-Hop-Klassiker, 50s-Rock’n’Roll, Punk, Synth-Pop, Boybands, Girlbands und allerhand Obskuritäten. Einige Plätze sind noch frei und reserviert für Bands, die hier schon mal aufgetreten sind.

Sieben Songs kosten zwei Euro. Schon das Durchblättern der Cover mit Hilfe der zwei roten Knöpfe ist ein Erlebnis. Neonlichter blinken, mit einem Zahlencode lässt sich das Lieblingslied auswählen, die CD dreht sich im Fenster. Nostalgie pur. Was gerade noch im Hit-Radio dudelte, spielt keine Rolle mehr. Aus den Boxen erklingt Grauzone in voller Lautstärke: „Ich möchte ein Eisbär sein im kalten Polar.” Mitsingfaktor inklusive.

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Ein Lederjacken-Pärchen an der Bar beginnt zu tanzen. Der Klassiker läuft bis zum atonalen Ende. „Da muss man halt durch“, sagt Deniz Vurgun, „im Genossen wird nicht geskippt.“ Während man sich zwischen James Brown und Wolfgang Petry entscheiden muss, werfen gerahmte Porträts von Genossen wie Karl Marx und Che Guevara strenge Blicke von den Kneipenwänden. Welchen Song die beiden wohl ausgesucht hätten?

Der Autor testet die Jukebox in der Friedrichshainer Kneipe „Zum Genossen“. Foto: Lena Ganssmann

Jukeboxen in Berlin: Nie wieder Helene Fischer

Verschiedene Geschmäcker versprechen Abwechslung. Nur an ein Erlebnis erinnert sich der Wirt mit Schaudern: „Vor ’ner Weile hat so’n Typ sechs Euro reingeworfen und 21 mal ‚Atemlos’ angemacht“, erzählt er. „Seitdem ist Helene nicht mehr in meiner Jukebox.“  Und auch in der Ankerklause hat Helene Fischer schlechte Karten. Schließlich steht hier die am besten kuratierte Jukebox der Stadt. Ludger Schallenberg, Co-Chef des Kultlokals, bestückt die Schatzkiste seit 1995 mit zeitgenössischen Juwelen – Sleaford Mods in der Jukebox, wo gibt’s denn sowas? Legenden wie die Beatles und Bowie sind aber auch dabei.

Jukeboxen in Kneipen haben eine lange Tradition. Foto: Imago/UIG

Kein Wunder, dass man in der urigen Kneipe am Landwehrkanal nicht nur wegen Korn und Kümmel schnell ins Schunkeln kommt. Fast wie in Hamburg: „Ich bin großer Fan vom FC St. Pauli“, sagt Schallenberg, „bei meinen Kieznächten habe ich so einige Markstücke in den Musikboxen versenkt.“

Auf dem Kanal nachts um halb eins

Die spontanen Tanzpartys funktionieren immer. „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ und auf dem Kottbusser Damm. Den berühmten Shanty von Hans Albers musste Schallenberg übrigens aus der Jukebox schmeißen, „weil bei entsprechender Stimmung nur noch dieser Gassenhauer gespielt und gesungen wurde.“

Ankerklause-Stammgast Hunny (Haustier der langjährigen Mitarbeiterin Barbara) bewacht die Jukebox. Foto: Aylin Kohlbecher

Wenn die geliebte Musikmaschine mal geflickt werden muss, was bei den Oldtimern im Dauereinsatz öfter vorkommt, geht’s nach Schöneberg zum einzigen Jukebox-Doktor der Stadt. Seit mehr als drei Jahrzehnten wartet und repariert Gerhard Mizera die Kultobjekte.

In seinem Jukeland in der Crellestraße scheint die Zeit langsamer zu vergehen. Erleuchtet von Neonröhren, untermalt vom Schellackknistern bahnt er sich seinen Weg durch neun Jahrzehnte Musikgeschichte. „Jede Jukebox ist ein Relikt ihrer Zeit”, sagt Gerry, wie ihn hier alle nennen, beim Kaffee zwischen einer 40er-Wurlitzer und der 50er-Rock-Ola.

Gerry Mizera, der Jukebox-Doktor vom Jukeland in Schöneberg. Foto: Lennart Koch

Symbole, Designs, Musikrichtungen und technische Innovationen dokumentieren gesellschaftliche Umbrüche und Trends. „Egal ob Marschmusik im Festzelt oder Rock’n’Roll im Diner, die Jukebox war immer dabei“, sagt Gerry, während er Song-Codes aus dem Gedächtnis eingibt. „Wenn heute noch gelegentlich eine in der Eckkneipe hängt, überlegen, diskutieren, wählen, plaudern und tanzen die Leute wie ihre Großeltern vor ihnen.“ Die Magie der Jukebox ist zeitlos. 

  • Zum Schinken Luxemburger Str. 5, Wedding
  • Zum Magendoktor Reinickendorfer Str. 111, Wedding
  • Rote Rose Adalbertstr. 90, Kreuzberg
  • Gaststätte Zum Hecht Kaiser-Friedrich-Str. 54, Charlottenburg
  • Zum Genossen Warschauer Str. 83, Friedrichshain
  • Ankerklause Kottbusser Damm 104, Neukölln
  • Jukeland Crellestr. 14, Schöneberg

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